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  • Day 7

    Ruhe des Sturms

    August 24, 2023 in France ⋅ ☀️ 29 °C

    In der Nacht habe ich das Gefühl jemand ist in meiner Kabine. Als ich zu den Klos trotte, blicke ich in unentzifferbare, dunkle Gesichter, welche mich mit bekannten Stimmen grüßen. Wieder im Zelt bin ich wütend, meines Schlafs geraubt worden zu sein. Am nächsten Morgen kann ich es verstehen.
    Nachdem ich alle Zutaten für Baguettes plus Lunchpaket auf den Deckel meiner Brotdose geladen habe, kostet mich meine Faulheit und mein Stolz einen extra Spülgang. Zum Glück sind alle, wegen des Vortags, noch etwas länger im Bett. Mit einem neu beladenen Tellerersatz, werde ich beim Frühstückstisch wieder von der Zähneputzengang daran erinnert, dass meine Lieblingssteigerungsform "end", wie in "end schön", zu sein scheint. Ich dachte immer, das wäre in Deutschland end verbreitet.

    Wir haben spät Kurs. Das Aufwärmen wird heute wieder nicht von Chris geleitet, laufen müssen wir dennoch nicht. Heute sind die Dehnübungen nötig.
    Die Wellen brechen spät und laufen kurz, dadurch sammeln sich alle eng beieinander, nah am Strand. Passend dazu erklärt uns der Ire wie man stehend lenken kann, oder eben ausweichen kann. Viel hilft das nicht. Die kurzlebigen Wellen lassen kaum Zeit für Reaktion und ich muss mehrmals abspringen; so auch der Junge, dem ich fast gegen den Kopf fahre. Letztendlich schnellt die Spitze eines Bretts gegen meine Schulter.
    Ich setze meinen Hintern in den Sand. Lange bleibt er dort nicht, da mir noch der Erfolg vom Vortag durch den Kopf geht.
    Etwas weiter draußen ist nicht ganz so viel los, dafür lassen die Wellen auf sich warten. Auf denen, die gut laufen, sehe ich den rotgebrannten Surflehrer am Strand einen Backside-Turn nachahmen, für mich eine Drehung der Schultern im Uhrzeigersinn. Gleich machen kann ich es ihm nicht. Die Rotation meines Körpers gelingt zwar, aber das Board kippt nach rechts weg, statt sich zu drehen.
    Für die letzte Welle zeigt Chris stattdessen grinsend zwei Daumen nach oben. Am Strand geben wir uns einen High-Five.

    Die Muschelkette, die mir Marie und Nadine aus Spanien mitgebracht haben, ist schöner als die an der Promenade; für 4€ auch günstiger. Jetzt sehe ich aus wie ein Vollblutsurfer.
    Einigen ist schon aufgefallen, dass manche unserer Strähnen durch die Sonne aufgehellt wurden. Die verdreckten "Molietsfüße", wie sie Bernie und der Rest vom Team nennen, sind unvermeidbar.
    Ich dusche nur vor manchen Veranstaltungen, bei denen ich ein schönes Outfit tragen möchte. Mit dem Atlantik als fester Bestandteil unserer Routine wird der Sand, Schweiß und Schmutz häufig genug abgewaschen. Stören tun sie nicht; es ist Teil der Natur. So wie wir Campierenden.

    Vom Team angedacht ist eine Müllsammelaktion. Da heute die letzte Möglichkeit ist, in den Sonnenuntergang zu surfen, klinken einige, mich eingeschlossen, sich aus. Von der Sonne ist jedoch nicht viel zu sehen. Am Vortag hatte jemand schon angedeutet, dass es Richtung Amerika wohl stürmen soll. Die Wellen bestätigen die Vermutung.
    Als ich mich aufgewärmt habe, sind die anderen von der Strömung bereits Richtung Norden getrieben worden. In Erinnerung an Bernies Theorieunterricht suche ich nach einem Channel, um dem starken Gewässer entgegen ins Grüne paddeln zu können. Bis dorthin schaffe ich es nie. Anfangs halten sich die Wellen tatsächlich klein, aber direkt dort wo sie brechen, werde ich wie eine Socke in der Waschmaschine umhergeschleudert. Als ich entschließe mit auf dem Weißwasser zurückzukehren, verliert dieses nach kurzer Zeit sämtliche Energie. Es bleibt nichts übrig, als das gesamte Becken zu Fuß zu durchqueren.
    Die am Strand aufgereiht sitzende Truppe scheint von meiner Vorführung mehr beeindruckt als enttäuscht zu sein, was mich motiviert es nach einer Pause noch einmal weiter rechts, in der Sandbank, zu versuchen.
    Hier brechen die Wellen weiter Richtung Land, was es ermöglicht näher heranzukommen. Vor der Kraft der Brecher habe ich jetzt allerdings zu viel Respekt. Ein paar Weiße schaffe ich zu befahren, bis die Dunkelheit mich zurück zu den anderen zwingt.
    Das laute Meer und mein erschöpfter Körper schlagen Ruhe in mir breit, wo ich Frust erwarte. Hier draußen wirkt das Meer entspannend. Das Wetter verstärkt die Ferne des Horizonts. Ein wolkenfreier Sonnenuntergang wäre nicht viel schöner gewesen.

    Lara, Joana und Hannah vom abendlichen Zähneschrubben schlagen vor, noch an die Promenade zu laufen. Mir wird bewusst, dass die übrige Zeit kürzer ist, als mein Körper müde.
    Wir bestellen Eis. Ich nehme Cassis und etwas, das wohl das Gleiche ist, wie die anderen mir mitteilen. Mir scheint, alle hätten Französisch in der Schule gehabt. Es ist wohl auch nicht in jedem Bundesland üblich, Latein in die Auswahl der zweiten Fremdsprachen aufzunehmen.
    Auf dem Weg zum Schwimmer*innenstrand begegnen wir Lija, Annika und Kathi, welche mit anderen Deutschen, von den einer einen großen Lautsprecher als Rucksack trägt, im Sand einen Rave veranstalten wollen.

    Nur Hannah und Ich kommen nicht mit. Wir gehen über den Strand zurück zum Zeltplatz. Das Tor durch welches wir diesen normalerweise betreten, ist bereits geschlossen worden. Das stört nicht weiter.
    Die ganze Zeit bisher waren wir immer in Gruppen unterwegs. Jetzt, da wir zu zweit sind, fällt schnell auf, dass wir schneller tiefgründigere Gespräche führen. Etwas weiter die Straße entlang, ist das Tor, durch das der Reisebus uns am ersten Morgen auf das Camp gebracht hat. Hier ist es leichter über den Zaun zu steigen.
    Bisher habe ich jede Nacht versucht, zeitig ins Bett zu gehen, damit ich den Tag mit mehr Energie besser genießen kann. Heute scheint das unwichtig. Die Couch auf der Miniramp lässt einen ins Polster sinken und die Aussicht wirkt echter als die Abende zuvor. Alles wirkt fern. Das Camp wirkt unendlich.

    Beim Zähneputzen zeigt mir Hannah "Heiliges Fernweh" von Fortuna Ehrenfeld. Fernweh ist etwas, das ich bisher nie wirklich nachvollziehen konnte. Hiernach werde ich es können.
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