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  • Day 62

    Auschwitz - Gedenkstätte/Touriattraktion

    October 9, 2022 in Poland ⋅ ☀️ 14 °C

    Heute fahren wir mit einer geführten Tour nach Auschwitz und Birkenau.
    Naja, was soll ich schon gross zu Auschwitz sagen? Ich glaube die meisten sollten es kennen. Man geht nicht unbedingt hin, um sich einen schönen Touristentag zu machen, es heisst aber, man soll da einmal hinfahren. Damit sich die Geschichte nicht wiederholt, um sich selber ein Bild des Grauens zu machen, um den Opfern zu gedenken oder andere aber meist ähnliche Gründe werden genannt.
    Die Zahlen, die man eigentlich ebenfalls bereits kennen sollte, sprechen für sich: 1,1 - 1,5 Mio Menschen liessen hier ihr Leben. Es war das grösste Konzentration, später auch Vernichtungslager. Vieles steht noch im Original.
    Aber ganz ehrlich: Mir kommt das ganze extrem surreal vor. Der Gebäudekomplex in Auschwitz ist fast schon idyllisch. Die vielen grossen Herbstbäume, die roten Backsteingemäuer, die Sonne, die verhalten durch die Wolken scheint. Nur die Schilder erinnern an die Gräueltaten, die hier begangen wurden. Und das einzige, was die Idylle stört, sind die Ströme von Touristen, die hier, irgendwie respektlos alles abknipsen, was ihnen vor die Linse kommt.
    Ich dachte, mich würde es mehr bedrücken, hier zu sein. Schon zu oft, habe ich von anderen Menschen gehört, was für ein belastendes Erlebnis der Besuch dieses Ortes sei. Nur, warum fühle ich denn nichts? Klar, die Zahlen, die uns von der Führerin (sollte man das hier so nennen?) durch das Mikrophon über die Kopfhörer direkt in den Schädel getrichtert werden, klingen extrem. Doch ich kannte die Zahlen ja schon. Und irgendwie verblassen sie auch gleich wieder. Ob nun 1,1 oder 1,2 Millionen. Was machen denn die 100'000 Unbekannten für einen Unterschied. Wir sind hier, damit sich die Geschichte nicht wiederholt, wird immer wieder gesagt. Doch tut sie das nicht sowieso? Gibt es nicht noch unzählige, weitere Beispiele seit dem zweiten Weltkrieg für Geschichten, wie diese hier? Ich kann mich erinnern, dass ich in Kambodscha an einem ganz ähnlichen Gedenkort und das ist noch nicht so lange her. Wissen wir nicht von einigen Internierungs-, Arbeits-, Umerziehungslagern? Tun wir denn etwas dagegen? Oder redet man sich nur jedes Mal ein, dass es wohl nicht so schlimm ist?
    Daher drängt sich mir hier in Auschwitz immer wieder die Frage auf: Ist das nicht einfach eine Form von Dark-Tourism? Die Touris knipsen auf jeden Fall eifrig weiter Bilder von Bergen von Schuhen, die hier gefunden wurden, von einem ganzen Zimmer voller Haare, die den Frauen abgeschnitten und nach Deutschland gebracht wurden, ja sogar von den hunderten von Porträts an den Wänden, von Häftlingen, die den Aufenthalt hier meist nur 2-3 Monate überlebt haben. Was machen sie mit diesen Fotos? Zuhause der Familie zeigen? Oder einfach auf Instagram posten für ein paar Likes? So wie ich die meisten Besucher auf unserer Tour einschätzen, haben sie weder das historische Hintergrundwissen, noch das intellektuelle Fassungsvermögen, das hier Geschehene einzuordnen, geschweige denn richtig zu verstehen. Doch sie scheinen unterhaltet zu sein. Und die zwei Millionen Besucher pro Jahr, die je zwischen 30 und 40 Euro Eintritt bezahlen, sind in dem kleinen Ort sicherlich gern gesehen.
    Wir werden durch Gaskammern geführt, Verbrennungsanlagen, Folterzellen und so weiter. Das, wir hören Geschichten von Menschen, die fliehen wollten (200 haben es in der gesamten Zeit geschafft), die ihr Leben für andere gelassen haben und von solchen, die bereits die Zugfahrt hier hin nicht überlebt haben. Die Zeit verstreicht und ich mache mir langsam Sorgen um meine eigene Gesundheit. Bin ich wirklich schon so abgestumpft, das die Geschichten einfach an mir abprallen? Ich stehe zwar vor all den Gebäuden, in denen all diese schlimmen Dinge passiert sind, doch ich müsste die Gräueltaten wohl tatsächlich vor mir sehen, um noch geschockt zu werden. Die Geschichten alleine, von Tot und Zerstörung, kenne ich von den Nachrichten, den Geschichtsbüchern, von Filmen und Büchern. Alles nichts neues.
    Als wir zurückfahren fühle ich mich sehr ernüchtert. Das stärkste Gefühl, das Auschwitz bei mir auslösen konnte, ist das Ärgernis gegenüber den anderen Menschen, die hier waren. Vielleicht liegt der Grund für die fehlende Empathie für vor 80 Jahren verstorbenen Menschen auch in der Abneigung gegenüber vielen Menschen, die heute leben.
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