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  • Day 82

    Vom Trennen und Zusammenfinden

    May 21, 2023 in France ⋅ ☁️ 15 °C

    Heute Früh wache ich mit einem Brummschädel auf und meine Gliedmaßen fühlen sich bleischwer an. Dabei bin ich gestern gar nicht spät schlafen gegangen, trotzdem bin ich heute totmüde. Noch dazu regnet es draußen in Strömen.
    Ich versuche, mich zu erinnern, wann ich zum letzten Mal einen richtig erholsamen Pausentag hatte und lande gedanklich in Blumenstein. Das ist... lange her.
    Beim Frühstück sehe ich es schließlich ein: ich werde einen spontanen Pausentag einlegen. Magdalena wirkt etwas enttäuscht, aber auch sie ist der Meinung, dass es für mich das beste ist.
    "Wir werden uns schon wiedersehen, und wenn's beim Berggehen dahoam ist", sagt sie zum Abschied. Dann bin ich allein.

    Ich versuche, mir spontan eine Massage für heute zu organisieren - eine Freundin zu Hause hat mir schon in Le Puy eine solche geschenkt, die ich noch nicht in Anspruch nehmen konnte, aber wieder mache ich an einem Sonntag Pause und nicht einmal das Tourismusbüro kann etwas für mich finden. Also statte ich der Kathedrale einen weiteren Besuch ab, wo wir gestern keinen Stempel finden konnten. Hier ist noch die Sonntagsmesse im Gange, die in Frankreich meist recht spät stattfindet. Zu meiner Überraschung wird im Zuge dieser ein Baby getauft. Irgendwie sehe ich das als Zeichen für einen Neuanfang, einen neuen Abschnitt für mich auf diesem Weg. Ohne Magdalena, mit der ich jetzt etwa drei Wochen unterwegs war, und mich endgültig Saint-Jean-Pied-de-Port nähernd, wo ich entscheiden muss, welche Route ich durch Spanien einschlagen werde.
    Einen Stempel bekomme ich in der Kathedrale heute übrigens auch, ein alter Herr drückt ihn mir nach der Messe mit einem strahlenden Lächeln in meinen Pilgerpass.

    Zu Mittag kehre ich in die Jugendherberge zurück und esse in der Küche der Herberge einen Snack. Mit mir am einzigen Tisch im Raum sitzt ein anderer Übernachtungsgast, der aber kein Pilger ist. Wir sprechen außer dem obligatorischen "Bonjour" kein Wort miteinander und mir ist die Situation irgendwie unangenehm. Schnell esse ich mein Brot und meinen Camembert und flüchte wieder in Richtung meines Zimmers.

    Den Nachmittag verbringe ich strikt mit Ausruhen: Tagebuch schreiben, schlafen und Hörbuch hören. Viel mehr mache ich nicht.
    Später bekomme ich zwei neue Zimmergenossinnen, eine hört in Cahors auf und eine geht bis Santiago. Erstere staunt nicht schlecht, als ich ihr erzähle, dass ich seit März auf dem Weg bin.
    "In Frankreich starten nicht viele zu Hause", erklärt sie mir. "Le Puy, Vezelay, ... Die meisten starten an ein paar bestimmten Orten."
    Als ich erwähne, dass viele Franzosen, denen ich begegnet bin, dachten, der Camino beginne erst in Le Puy und vorher gäbe es keinen Jakobsweg, lacht sie und es wundert sie gar nicht.

    Abends mache ich mir in der Küche der großen Herberge eine Suppe warm, in Gesellschaft mehrerer anderer Pilger, die auch hier die Nacht verbringen. Jeder kocht sich sein eigenes Essen und doch essen wir alle gemeinsam. Die beiden Koreaner kochen groß auf: es gibt Austern, Fleisch mit Pilzen, Nudeln und eine Suppe mit Seetang. Ein Franzose isst mit ihnen mit, eine meiner Zimmergenossinnen macht sich einen Reis und die andere isst etwas Kaltes. Ich begnüge mich heute mit einer Packerlsuppe. Einer der Koreaner versucht laufend, das Gespräch der beiden Französinnen mit Google Übersetzer ins Koreanische zu übersetzen und nickt zustimmend. Die Situation hat eine gewisse Komik und die Atmosphäre könnte nicht konträrer sein zu meinem Mittagessen, denke ich mir im Stillen. Wir Pilger finden eben doch immer wieder zueinander, auch wenn wir uns dafür von anderen trennen müssen.
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