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  • Day 8

    Feuer und Wasser in Varanasi

    May 1, 2023 in India ⋅ ☁️ 30 °C

    Im Schlafwagen fuhren wir von Agra bis Varanasi. Eine doch eher gewöhnungsbedürftige Art der Fortbewegung. Die Klimaanlage bliess ohne Unterlass kalte Luft in unseren Hals und die Familien nebenan redeten lauthals und ununterbrochen. Abschliessbare Abteile gab es nicht, sodass wir unsere Wertsachen umklammernd ein paar Stunden ruhen konnten. Wir konnten jedoch nur bis Jaunpur mit dem Zug fahren, sodass wir für die letzte Strecke bis Varanasi gegen 5 Uhr morgens den Bus nehmen mussten. Insbesondere Matthias hatte damit seine Mühen. In Varanasi angekommen durfte er im Hotel zum Glück nochmal schlafen bevor es dann auf Stadttour ging.

    Unser Guide Kush erzählte uns von der Geschichte und Bedeutung Varanasis. Sie ist die spirituelle Hauptstadt der Hindus und seit Jahrhunderten werden Rituale und Zeremonien hier abgehalten. Dem Glauben nach kommt jeder, der in dieser Stadt stirbt, ins Nirvana d.h. kann so dem endlosen Kreislauf aus Tod und Wiedergeburt entfliehen. Der Tod wird dabei nicht als ein Ende sondern als Reise gesehen, weshalb die Bestattung selbst eher eine Feierlichkeit ist, anstatt ein Akt der Trauer, und jeder ist eingeladen ihr beizuwohnen. Das erklärte die einladenden Gesten einer Familie während wir zusahen, wie der Leichnahm eines verstorbenen Familienmitglieds auf Holzbalken gehoben und danach angezündet wurde. Der Anblick liess uns einen Schauer über den Rücken laufen. Gleichzeitig fühlten wir uns inspiriert durch den feierlichen und friedlichen Charakter dieser Bestattung.

    Die restliche Zeit der Stadttour verbrachten wir mit Schlendern durch die oftmals kleinen Gassen von Varanasi. An einem öffentlichen Platz in der Nähe der Krematorien konnten wir Inder beobachten, die mutmasslich zum ersten Mal in ihrem Leben eine Rolltreppe nutzen. Das erklärte jedenfalls ihre angsterfüllten Blicke und die nebenstehende Security, die Menschen beim Betreten und Verlassen half. Dinge, die für uns Europäer so selbstverständlich sind, dass wir niemals auf die Idee kämen sie zu hinterfragen.

    Als nächstes ging es auf eine Bootsfahrt auf dem Ganges Fluss auf welcher wir den Sonnenuntergang, die Abendgebete mit Feuer und die speziellen Häuser am Ufer des Flusses betrachten konnten. Wer in Varanasi stirbt, der kommt ins Nirvana. Dieser Glaube verleitete insbesonders wohlhabende Menschen im hohen Alter nach Varanasi zu pilgern um dort ihren Lebensabend zu verbringen. Diese Menschen benötigten jedoch Unterschlupf, sodass sie sich Häuser am Ufer des Ganges bauen liessen. Diese Häuser wurden dabei im Stile und Gusto des Erbauers gebaut und schlussendlich innerhalb der Familien bzw. Kasten weitervererbt. So kommt es, dass an diesem Fluss eine beträchtliche Zahl Häuser mit verschiedener Architektur zu sehen sind. Selbst römische oder tibetisch-chinesische Stile sind dort zu finden. Allen ist gemeinsam, dass sie mit einer Treppe zum Fluss verbunden sind, um dort Wasserrituale durchführen zu können. Auch heute noch kann man Menschen dabei zusehen, wie sie diese Rituale durchführen. Männer sind dabei in Badehose, Frauen in ihrer Ganzkörperbekleidung.

    Am nächsten Morgen wurde Matthias' Wunsch nach Schlaf erneut mit Füssen getreten. Der Wecker klingelte um 4:30 Uhr und wir fuhren mit Rikschas zum Fluss um dort den Morgengebeten mit vedischen Gesängen beizuwohnen. Dabei führen die jungen Männer Kreisbewegungen mit verschiedenen Lampen aus, während junge Mädchen im Kreis dazu sangen. Tatsächlich handelte es sich hierbei jedoch nicht um eine uralte Tradition sondern um eine seit 2014 von der Assi Kaste durchgeführte Zeremonie um den Leuten die Spiritualiät des Ortes greifbarer zu machen (oder mehr Touristen anzulocken). Im Anschluss ging es erneut auf eine Bootsfahrt auf den Ganges. Hier durften wir gespannt den Erzählungen von Kush lauschen, der uns die Lebensweisheiten von Buddha näherbrachte und uns weitere Geschichten über Varanasi erzählte.

    Den Rest des Tages verbrachten wir mit einer geführten Tour durch das Weberviertel in Varanasi. Tatsächlich ist die Weberei ein grosser Industriezweig der sonst so spirituellen und touristischen Stadt. Wir waren fasziniert von der Komplexität der automatischen Webstühle und dennoch überrascht, wie die hier gewobene Seide trotzdem so günstig angeboten werden kann. Sharleen konnte es sich natürlich nicht nehmen lassen einen Seidenschal für sich zu ergattern.
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