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  • Mit rotem Gesicht in San José

    September 11, 2018 in Costa Rica ⋅ 🌧 25 °C

    Nach dem Frühstück machten Laura und ich uns auf zum Museum für moderne Kunst (Museum of Contemporary Art and Design), welches jedoch unerwarteterweise geschlossen war. Sie teilte meine Vorliebe, sich durch Städte einfach treiben zu lassen und so bummelten wir durch das belebte aber nicht gestresste San José. Kamen dabei an verschiedenen Plätzen und Parks, sowie dem Nationaltheater vorbei. Im Vorhinein hatte ich nicht viel gutes über die Stadt gehört, was mich inzwischen aber in Keinstem mehr beunruhigte. Wir (Jan und ich) hatten auf unserer gemeinsamen Reise mehrmals die Erfahrung gemacht, dass wir mit dem negativen Urteil anderer über Städte nicht einverstanden waren. Das liegt vermutlich daran, dass wir andere Maßstäbe zur Bewertung von Städten haben. Nicht touristisch interessante Sehenswürdigkeiten, sondern die Einzigartigkeit, die Echtheit und der Flair einer Stadt waren für uns entscheiden; außerdem die Möglichkeit, einen Einblick in das Leben der Menschen zu bekommen. San José erfüllte diese Kriterien und gefiel mir daher sehr gut. Ein aufziehendes Gewitter ließ uns in eine Bar flüchten. Dort erwiderte der Wirt auf die Frage von Laura, ob es um 12:00 nicht etwas zu früh für Bier sei, "Bienvenidos en Costa Rica". Ihm eifrig zustimmend bestellten wir also zwei Bier - man passt sich ja den örtlichen Gepflogenheiten an. Ein Missverständnis bei der Bestellung stellte einen fatalen Rückschlag da und ich erhielt ein Lightbier. Laura meinte, es sei die richtige Tageszeit für ein Lightbier. Ich erklärte ihr, dass die richtige Tageszeit nicht existiere, um ein leckeres Bier mit Wasser zu verunreinigen, fügte mich aber meinem Schicksal. Kämpfernatur eben *F2. Nach dem wir - ich mich im stillen selbstbemittleidend - die Bier getrunken hatten, kamen wir an einer Demonstration gegen Korruption und Kapitalismus vorbei. Genauer gesagt: Die Regierung möchte die Unternehmenssteuer abschaffen, dafür die Lohnsteuer erhöhen. Gleichzeitig die Sozialausgaben kürzen. Einfach gesagt: Reich reicher und Arm ärmer machen. Nichts Böses ahnend schoben wir uns durch die Menge, da entdeckte mich die Rednerin, welche auf einem Wagen stand, und rief mich zu sich hoch. Ich ging weiter und dachte, ich könne mich mit einem freundlichen Grinsen der Situation entziehen. Falsch gedacht. Die Menge drehte sich bereits zu mir um und ich wurde ermuntert, der Aufforderung nachzukommen. So blieb mir keine andere Wahl, als auf den Waagen zu steigen. Die Menge jubelte, ich wurde rot *F1. Da die Rednerin zum einen sehr schnell sprach und wir uns zum anderen im akustischen Schatten der Boxen befanden, verstand ich nicht alles auf Anhieb, was die Situation für mich noch peinlicher, für die Menge noch lustiger machte. Die Politik war schnell vergessen und ich bekam von der Rednerin Komplimente über mein Aussehen und einen Heiratsantrag. Die Situation überforderte mich dezent und dass ich mit ihr vor der versammelten Menge tanzen musste, verbesserte die das Ganze nicht gerade. Ich wurde befragt, wie mir Costa Rica und insbesondere die Frauen gefalle. Die Rednerin (ca. 50) wollte ebenfalls wissen, ob ich nur auf die jungen Mädchen stehe oder auch was für die älteren übrig hätte. Meine Antwort "mir gefallen alle Frauen" erzeugte ein hysterisches Gekreische der überwiegend aus Frauen bestehenden Menge. Ich hatte das Gefühl, langsam wieder Herr der Lage zu werden. Das änderte sich abrupt, als ich aufgefordert wurde, mein Bein zu heben und die Rednerin in meiner Hosentasche kramte. Für die Menge sah es aus, als wäre die Hand in meinem Schritt, was mit Gejohle quittiert wurde. Mit den Worten "oh da fühle ich aber was großes" handierte sie einen Moment in dieser Stellung an meiner Hose herum und zog mit dem Schrei "ach das war so groß" meinen Pass aus der Hosentasche und hielt ihn der Menge hoch. Schallendes Gelächter. Meine leicht aufkommende Selbstsicherheit weggeblasen. Nach ca. 30 Minuten und 20 Küssen durfte ich den Wagen wieder verlassen; der Großteil meines Blutes befand sich im Gesicht. Was für eine Erfahrung! Wir gingen in ein Restaurant, in dem wir - wie ich es liebe - die einzigen Touris waren. Umgeben von schweigsamen Arbeitern, aufgeregt tratschenden Frauen und kleinen Familien aßen wir ein leckeres Mittagsmenü. Der Sohn der Besitzerin gab eine - mit etwas Gesangsunterricht opernreife - Ballade zumbesten. Den Nachmittag verbrachte ich mit Lesen und Schreiben. Abends machte ich die Bekanntschaft mit Chris. So verbrachten der aus Montreal stammende 30 Jährige - hätte ihn ähnlich meines Alters geschätzt - , Laura (übrigens ebenfalls 30) und ich einen witzigen Abend bei reichlich Bier.

    *F1: Im "zivilisierten" Mitteleuropa passiert es mir äußerst selten bis gar nicht, dass ich rot werde. Gegen die Frauen in Lateinamerika habe ich allerdings keine Chance und so habe mich nicht das erste mal auf der Reise aus dem Konzept bringen lassen. Ein ungewohntes Gefühl, ansteigende Gesichtstemperatur und Wortlosigkeit. Die Reise ist für jegliche Erfahrungen gut!

    *F2: An dieser Stelle darf der seriöse Leser das Geschriebene nicht zu ernst nehmen.
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