• Tag 57: Wind 2 von 4 & Radrennen

    July 29, 2024 in Turkey ⋅ 🌙 28 °C

    Heute gefahren: 51km
    Bisher gefahren gesamt: 3.347km
    Heute Höhenmeter im Anstieg: 660hm
    Höhenmeter im Anstieg bisher: 29.813hm
    Platte Reifen: 3
    Pausentage gesamt: 13
    Fahrtage gesamt: 44

    Wir wachen früh auf und packen schnell unser Zeug. Jetzt sehen wir die ersten Männer (sie holen Brot bzw bringen Milchkannen von der Weide). Um 08:00 Uhr werden wir zum Frühstück abgeholt. Zuvor bringt uns ein junges Mädel, das am Vorabend bei der Damenrunde dabei war,  von ihrer Mutter frisches und noch warmes  Auberginen Börek vorbei. Kristina ist ebenso fertig, mümmelt erstmal Börek und motiviert sich damit.  Ich fühle mich übermüdet, kaputt, ich stinke und ich möchte meine Ruhe. Die soziale Batterie von uns beiden ist gerade etwas leer.
    Jetzt sitzen wir, im Haus von Fathma, im Wohnzimmer. Ihre Eltern (Ü80) sind auch dabei. Der Mann von Fathma ist verstorben, ihr Sohn ist ausgezogen. Fathma hat Kristina am Vorabend die Dusche angeboten. Fathma wirkt resolut und ich werde kritisch beäugt. Ein Smalltalk mit Händen und Füßen führt uns durchs sehr leckere Frühstück. Da ist sie wieder diese unangenehme und gleichzeitig tolle Herzlichkeit und Gastfreundschaft. Ich kann das nicht richtig annehmen ich muss mich an so viel Freundschaft mit Fremden erst gewöhnen. Ich bin angespannt und traue mich nicht zu reden oder viel zu essen. Ich möchte doch niemandem Umstände bereiten. Meine Schüchternheit trifft auf türkische Gastfreundschaft und am Ende bin ich demütig über das Glück welches und widerfährt.

    Aufgetischt wir selbstgemachter Käse, Honig, Marmelade, Börek (mit Zucchini-Füllung), Kartoffeln vom Blech, frisches Brot und Tomaten-Gurken-Salat aus dem eigenen Garten. Alles sehr sehr sehr lecker. Wirklich.

    Zur Verabschiedung bekommt Kristina eine Umarmung und ich einen kühlen Händedruck. Wir fahren los und nach 3km stoppen wir um uns zu sortieren. Das konnten wir schlecht bei Fathma im Wohnzimmer machen. Wir sind so fertig von der kurzen Nacht und dem Wind am Vortag, dass wir erstmal Kaffee trinken gehen.

    Nach dem Kaffee warten wieder große und reichlich befahrene Straßen auf uns. Die Sonne brennt und gleichzeitig ist der Wind nochmal stärker als am Vortag. Wir sehen wie die Feuerwehr mit Blaulicht in den Wald hinein fährt. Günstige Bedingungen für einen Waldbrand. Ich muss bergab treten, damit ich nicht stehen bleibe, so sehr bläst der Wind uns entgegen. Ich sehe so offenbar so bemitleidenswert aus, dass ein Transporter anhält und uns anbietet, uns umsonst mitzunehmen. Ich verneine und bereue danach die Entscheidung.

    Ich fahre lieber tagelang bergauf, als auch nur eine halbe Stunde gegen den Wind. Ich bin groß, zusammen mit dem Fahrrad bin ich schwer und biete dem Wind eine große Fläche. Ich kann mich für Fahrten gegen den Wind nicht motivieren und bin schlecht gelaunt. Zudem haben wir keine richtige Orientierung wie es die nächsten Tage für uns weitergeht. Nach Istanbul reinfahren? Mit der Fähre nach Istanbul? Gar nicht nach Istanbul? Wo Pause machen? Welchen Weg wählen wir? Wir möchten auch gerne noch Mal einen Tag Pause machen, doch am Meer sind wir nicht mehr und die Straßenverhältnisse sind nirgendwo so richtig gut. Entweder schlechter oder gar kein Asphalt oder Monster-Bundesstraßen. Eigentlich brauchen wir Mal etwas Ruhe und die nächsten Tage zu sortieren und zu planen.

    Apathisch sitzen wir an einer Tankstelle, snacken und überlegen wie es weitergeht. Wir beschließen zuzufahren, kommen aber nur noch wenige Kilometer weit. Der Wind ist so stark und wir zu schwach.

    Wir kommen an dem Tag einfach nicht sehr weit und landen in einem Dorf mit gutem Platz zum Zelten. Ein kleiner Picknickplatz am Ortsrand. Schattig, ruhig und Wasserquelle nebenan. In der Türkei gibt es wieder Marktstände und wir kaufen noch für 2€ eine riesige Tüte mit Obst und Gemüse. Beim Zeltaufbau werden wir wieder angequatscht und uns wird noch Abendessen geschenkt. Die Familie die uns anspricht hat noch Salat und frisch gegrillte Hähnchen über. Diese bekommen wir. Die ziehen ab und wir bleiben und mümmeln unser Abendessen. Endlich Ruhe. Endlich windstill.

    Gegen 22:30 Uhr und gegen 23:00 Uhr sehen wir zwei extrem gut ausgestattete Radfahrer an unserem Zeltplatz vorbeifahren. Wir recherchieren kurz im Internet und stellen fest: An unserem Zeltplatz führt offenbar die Strecke einer Ultracycling-Radrennveranstaltung vorbei. Das Transcontinentalrace (TCR) ist ein Radrennen und führt dieses Jahr von der belgisch-französischen Atlantikküste (Velodrome in Roubaix) bis nach Istanbul. Mehr als 4.000km Wegstrecke und 40.000 Höhenmeter in 8 bis 10 Tagen. Es dürfen nur Nebenstraßen genutzt werden. Ansonsten kann die Strecke frei gewählt werden. Die Teilnehmer fahren ca. 400km bis 500km am Tag und schlafen nur wenige Stunden. Externe Unterstützung dürfen sie nach Reglement nicht in Anspruch nehmen. Das TCR ist eines der schwersten "unsupported" Rennen der Welt: Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen müssen selbst navigieren, Essen besorgen und sich um Schlafmöglichkeiten in Hotels oder im Freien kümmern. Nicht selten leiden die Teilnehmer aufgrund der Belastung und dem Schlafmangel an Halluzinationen. Da ist unsere Reise nix dagegen. Am nächsten Morgen gegen 07:00 Uhr werden wir noch einen weiteren Fahrer sehen. Lt. Live-Tracker sind 3 der Top 10 Fahrer bei uns vorbeigekommen. Wie aufregend!!
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