• Tag 81: Erdbeben & Zerstörung

    August 22, 2024 in Turkey ⋅ ☀️ 30 °C

    Heute gefahren: 52km
    Bisher gefahren gesamt: 4.503km
    Heute Höhenmeter im Anstieg: 644hm
    Höhenmeter im Anstieg bisher: 42.412
    Platte Reifen: 4
    Pausentage gesamt: 21
    Fahrtage gesamt: 60

    Es war nachts weiterhin so warm und schwül, dass wir sogar ohne Inlet geschlafen haben und der Tag beginnt mit Gegenwind. Den haben wir ja gar nicht vermisst.
    Der Küstenweg ist schön aber mit dem Wind auch anstrengend. Den Radweg lassen wir rechts liegen, es kostet zuviel Energie die Scherben von den Steinen zu unterscheiden und auszuweichen.
    Links der Straße sind nur Stein- und Berghänge und dementsprechend liegen viele Steine auf der Straße, teilweise scheinen ganze Felsbrocken herabgestürzt zu sein - zumindest sehen die Krater in der Straße so aus.
    Links zwischen den Felsen tauchen plötzlich riesige Schuttflächen auf - Überbleibsel von eingestürzten Häusern. Menschen laufen mit Säcken umher und sammeln verwertbares ein.
    Auch kommen uns sehr viele LKWs mit noch mehr Schutt entgegen.

    Mit Gegenwind gehts es bis nach Samandåg, einen Küstenort, wo wir das letzte Mal baden und uns vom Mittelmeer verabschieden.
    Und die ersten Containerdörfer beginnen. Hunderte von Containern nebeneinander - ein Container für eine Familie mit Kindern mit bis zu 6 Personen auf 14qm! Geteilte Waschmöglichkeiten und das seit 1,5 Jahren!

    Es geht Richtung Antakya ins Landesinnere und es wird noch viel schlimmer: Es geht gut bergauf und bergab mit recht viel Verkehr. Vor allem vielen LKWs mit Beton, Kies oder anderen Baumaterialien.
    Mehr und mehr zeigt sich auch warum:
    Zweispurige Fahrstreifen sind abgestürzt und wir fahren einspurig auf der Gegenfahrbahn.
    Zunehmend auch Schuttflächen und eingestürzte, beschädigte und unbewohnte Häuser. Und hohe, neue und unbewohnte Neubauten. Ganze Stadtviertel, die hier gebaut werden.
    Kurz vor Antakya machen wir bei einem Döner-Imbiss Pause. Hier scheint alles normal, als wir dann bergab nach Antakya fahren, ist gar nichts mehr normal. Es staubt überall und sieht aus wie im Kriegsgebiet und definitiv nicht so als wäre das Erdbeben 1,5 Jahre her sondern eher letzte Woche gewesen.
    Wir haben uns in eines der wenig verfügbaren Hotels eingebucht. Der Weg dahin eine Herausforderung, denn nur große Straßen sind befahrbar, kleinere Straßen gibt es nicht mehr und sind weiterhin voll mit Schutt belagert. Wir sind sehr bedrückt und können uns kaum vorstellen, wie man hier leben kann.
    Für die Menschen scheint es normal zu sein, über Schuttberge, Absperrungen und sich an Stützvorrichtungen, die Häuser stützen, vorbeizudrängen. Das Leben geht weiter. Was sollen sie auch tun?!
    Ca. 13 Mio. Menschen sind vom Erdbeben betroffen gewesen, mehr als 60.000 sind gestorben. Hunderttausende sind weggezogen oder leben in Containerunterkünften (Schätzungen zufolge 500.000). Allein die Region Hatay mit der Hauptstadt Antakya hatte 2,2 Mio. Einwohner. Aktuell leben vermutlich nur noch rund 800.000 Menschen in der Region.
    Abends werden wir zufällig auf der Straße angesprochen, ein Mann, der als Deutschlehrer gearbeitet hat, lädt uns zu sich ein.
    Wir finden uns auf einer Dachterrasse gegenüber unseres Hotels wieder. Uns wird Tee und frisch gebackener Guglhupf serviert - ein Stückchen Heimat! (Wir freuen uns schon wieder auf deutschen Kuchen - Käsekuchen von Mama und Streuselkuchen von Oma! 😘)
    Sie erzählen, dass ihre Wohnung zwar nicht ganz zerstört aber noch nicht bewohnbar ist. Sie renovieren noch immer, bis dahin leben sie bei der Schwiegermutter im Haus.
    Es klopft und weitere Familie kommt hinzu , auch ein junger Mann, der in den Niederlanden arbeitet und auf Familienbesuch ist. Er sagt, alle 6-8 Monate komme er, uns seit den letzten 8 Monaten hat sich nichts verändert. Die Situation ist schwierig aber die älteren sind hier verwurzelt und wollen nicht weg. Sein Ziel ist 5 Jahre in den Niederlanden zu leben, um dann einen niederländischen Pass zu bekommen. Eine Perspektive sieht er für sich in der Türkei nicht.
    Einen guten Blick auf die Lage bietet auch die Doku: https://www.ardmediathek.de/video/Y3JpZDovL2Rhc…

    Besonders in der Region Hatay gibt es keine Industrie - die Menschen schlagen sich mit kleinen Jobs durch oder leben von der Hand in den Mund. Der pensionierte Deutschlehrer zum Beispiel schreibt nebenher Strafzettel.
    Trotzdem haben wir das Gefühl, dass wir hier bei einer Familie zu Gast sind, denen es besser geht. Sie müssen zumindest nicht nach verwertbaren in den Trümmern suchen.

    Wir sind bedrückt durch die Situation und gleichzeitig bewundern wir, wie die Menschen das Leben meistern und weitermachen. Das typisch deutsche „sich beschweren“ liegt den Leuten hier nicht.

    Auf dem Weg zum Supermarkt - dem einzigen weit und breit (Google stimmt vorne und hinten nicht mehr) treffen wir zwei Deutsche, die 8 Wochen durch die Türkei reisen - spannend! An so einem Ort hätte ich definitiv keine anderen Touristen erwartet.

    Wir wagen uns etwas die Hauptstraße entlang und landen im Basar - auch hier alles wieder intakt, wenn auch provisorisch und ein scheinbar normales Leben - bis man den Basar durch eine der kleinen Straßen verlässt.
    Wir probieren noch die lokale Spezialität: Künefe. Eine Portion normal und einmal mit Pistazie und Eis (Dondurma). Es wird frisch gemacht und warm serviert. Es ist sehr lecker aber wir haben danach auch einen kleinen Zuckerschock - das Abendessen brauchen wir nicht mehr.
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