• Wittingen

    Nov 5–6, 2024 in Germany ⋅ ☁️ 4 °C

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    LEBENSREISE IM BLAUEN BUS (Fahrtstrecke 89 km/ Gesamt 369.921 km / Ø121,16 km)

    Wohnmobilstellplatz
    29378 Wittingen
    Deutschland

    In Amelinghausen liegt der Friedhof außerhalb des Ortes, dessen Kirche aber bis hier rüber schaut. Die Pferdekoppeln sind tatsächlich näher, und da lässt sich ein schönes Bild zeichnen, wie die Seele nach dem Tod über die Wiesen des Lebens reitet.

    Ich habe eine Kerze angezündet und mir einen Tee eingeschüttet, es ist gerade sechs Uhr durch. Hilde schläft noch unter der Bettdecke, der Morgen trägt das Dunkel der Nacht.

    Kurz nach dem Friedhof, wo wir einen schönen Spaziergang gemacht haben, und Hilde über den weiten Platz rennen konnte, halte ich an einer Birkenallee. Eine gerade Straße, ein kleines Kreuz vor dem Bus, ein junger Mann hat hier vor über zwanzig Jahren sein Leben verloren. An einem Tag im Februar, mit neunzehn Jahren, am sechsten Sonntag in diesem Jahreskreis.

    Ich denke an meine Kinder, meine Enkel, meine guten Freunde. Für die einen, dass sie alt geworden sind, und für die anderen, dass Gott sie täglich bewahrt. Das kann kein Glück gehabt sein, weil es durchaus in vielen Situationen anders hätte kommen können. Das weiß ich aus meinem eigenem Leben nur zu genau.

    An einem Feldweg wachsen Pusteblumen, die dem Sturm des Jahres zwar standgehalten haben, ihren Samen aber nicht weitergaben. Auf einer sitzt ein kleines Männchen mit einem Hut, du musst nur genau hinschauen, wie der berühmte Münchhausen auf seiner Kanonenkugel.

    Hilde gräbt einen kleinen Rübenrest unter der aufgeworfenen Erde hervor, den aufgetürmten Rübenberg übersieht sie grinsend, und mampft ihre Beute auf dem Weg. Der blaue Bus wartet am Straßenrand unter den hohen Bäumen auf uns.

    Hankensbüttel, ein Hof spiegelt sich im kleinen See, ein spießiger Gartenzaun grenzt den Besitz zur Straße ab. Der Stellplatz in Wittingen ist mir erst wieder bekannt, als wir uns dem Freibad am Ende der Straße nähern. Hier haben wir vor einigen Monaten mit netten Menschen gestanden, wir waren gerade aus Norwegen zurückgekommen.

    Heute ist das Laub vertrocknet, ein kleines Wohnmobil parkt schon, sie wären in der Lüneburger Heide gewesen, ein letzter Stop vor ihrer Wolfsburger Heimat. Er wirft mir einen fragenden Blick zu, ich hätte nicht so ausgesehen, als würde ich hier übernachten wollen.

    Wir spazieren über den Platz in der späten Dämmerung, die nur einen spaltbreit Licht übrig lässt. Kurz nach 17 Uhr ist es dunkel, vierzehn Stunden Nacht liegen vor uns. Lange Schlaf und Traumphasen, ich bin heute auf widerspenstigen Wegen unterwegs, ein Löwenbändiger mit einer Mission.

    Als ich aufwache, rennt Hilde im Schlaf, der ganze Körper wird durchgeschüttelt, ich lege meine Hand beruhigend auf ihren Bauch, der Morgen schält sich aus der Nacht, der Blick nimmt Konturen wahr.

    Mein Sohn hat gestern festgestellt, dass wir von ihm und seiner Schwester gerade gleichweit entfernt sind. Das gefällt mir gut, sind sie doch beide meine Kinder. Einen Handbreitweg vom Herzen, fast so nah wie die kleine Kerze vor meinen Augen.
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