• Saint Jean Pied de Port

    Jan 11–12 in France ⋅ ☁️ 10 °C

    3.120 TAGE AUF UNSERER
    LEBENSREISE IM BLAUEN BUS (Fahrtstrecke 155 km/ Gesamt 378.430 km / Ø121,29 km)

    Wohnmobilstellplatz
    64220 St Jean Pied de Port
    Frankreich

    Es regnet. Ganz still und leise. Kein Wind, dunkler Morgen, kaum Verkehr. Und wenn, dann nur in der Ferne. Es regnet geräuschlos. Lediglich im Widerschein der Straßenlaternen sehe ich die Tropfen fallen wie Striche, erst in den kleinen Pfützen machen sie einen kleinen Kreis. Manchmal kommt Wind auf, dann nehmen sie Fahrt auf, und fallen aufs Dach mit einem kleinen Geräusch wie langsam kochendes Wasser.

    Reste von unruhigen Lichtern aus der vergangenen, festlichen Zeit spielen in einem Baum an der Straße, eine helle Glocke erkennt die siebte Stunde des Tages. Die Pilger schlafen noch. Ein paar wenige sind es immer, die von hier aus aufbrechen. Und oft genug bin ich mit einem Kribbeln durchs Dorf gefahren.

    Pilgern liegt außerhalb meiner körperlichen Möglichkeiten, und als ich es gekonnt hätte, war es nicht innerhalb meines Denkens verwurzelt. Trotzdem fasziniert mich der Brauch, berühren mich die Menschen auf dem Weg, auch wenn ich die Eile zeitweise nicht verstehe.

    Manchmal trifft man auf Menschen, die mit mir reden wollen. Das ist selten wie bei Radreisenden. Wenn sie dir zunicken, dann ist das schon viel. Ich bin von ihrem Weg fasziniert, der Art, wie sie nah am Leben vorbeigehen, vorbeifahren. Ich meine fast, sie seien dichter an den Menschen als ich. Aber vermutlich täusche ich mich, wenn ich sehe, wie zügig sie es haben. Sie haben ihre Aufgabe.

    Aber die, die anhalten, mit mir reden wollen, bleiben oft lange in meinem Leben. Heute morgen ist niemand unterwegs. Es sei ein Wetter, bei dem man Hund und Katze nicht vor die Tür lässt. Im Nu bist du bis auf die Haut durchweicht. Der Regen ist warm wie die Luft, zwölf Grad frühlingshaft auf hundertfünfzig Meter Höhe, der erste lange Anstieg auf den Ibañetapass bei über tausend Meter wird die Temperatur senken, aber kein Schnee wird fallen.

    Wir kommen von unserem schönen Frühstücksplatz außerhalb von Tarbes, auf dem wir zum Schluß noch ein aufregendes Erlebnis hatten, kaum dass ich die kleine Tontafel fotografiert hatte. Ein riesiger, schneeweißer Husky tobt durchs Gestrüpp, gefolgt von einem jungen, wilden Radfahrer. Eigentlich ganz schlechte Voraussetzungen für eine entspannte Begegnung, aber es geht so schnell, dass ich es nicht verhindern kann.

    Zuerst eine harmlose Begrüßung, dann wütet Hilde los, während der Husky sich einfach nur wegdreht. Ich schreie Hilde an und kann sie wegziehen, der Husky läuft weiter, während der junge Mann mit einem Redeschwall neben mir anhält. Der Hund würde immer von zuhause weglaufen, da müsse er sich beeilen, um hinterher zu kommen. Er entschuldigt sich, obwohl der Husky die Streiterei nicht angefangen hat.

    Vermutlich hat er einfach so gerochen wie der Husky, der damals Hilde überfallen hat. Wir gehen zum Bus und fahren los, Hilde legt sich schlafen. Bis Pau ist die Landschaft noch melodisch, dann biegen wir ein auf die Fernstraße nach Saragossa, und der Verkehr nimmt zu. Lastwagen kommen aus den Bergen, fahren eiligen Tempos hinter mir her. Ich muss sehr konzentriert bleiben, weil die defekte Spiegelsicht eingeschränkt ist. Hilde schläft. Oloron. Abzweig Richtung Bayonne. Pause auf einem langgezogenen Parkplatz an einer Wiese, gut für Hilde.

    Dann geht's Richtung Saint Jean Pied de Port. Und auch hier sind alle schnell unterwegs. So auch wir. Und bezeichnend dabei ist, dass ich erst wenige Kilometer vor dem Ziel einige Bilder mache. Der Stellplatz liegt mitten in der Stadt, neben einem Footballfeld, auf dem Hunde nicht spazieren gehen dürfen, aber zwei Störche "grasen", bis abends die jungen Männer im Licht der Flut sich um einen Ball streiten, der nicht mal rund ist.

    Wir haben auf einem Spaziergang über den Platz die Bouler beobachtet, denen das sichtlich unangenehm ist, weil sie meinen, ich möge ihnen nicht zuschauen. So deute ich ihre Reaktion und Gestik, er habe schlecht geworfen, weil wir da gestanden haben. Vielleicht war es eher der Rotwein in Verbindung mit dem geschotterten Boden.

    In der andere Ecke stehen einige Schafe erhöht auf der Wiese und schauen Hilde zu, die im getrockneten Laub sich erleichtern will. Vermutlich ist es eher die mangelnde Bewegung, die das erschwert, denn die neugierigen Schafsaugen, aus denen die Geschichte von einer dunklen, abhängigen Vergangenheit in den braunen Gesichtern zu sehen mich dünkt. Denn die Enge ihres Geviert ist bedrückend angesichts der Weite der Wiesenflächen auf den Hügeln um den Ort.

    Und ja, ich weiß, manchmal geht die Stimmung mit mir durch an bestimmten Orten auf unserer Hemisphäre, von denen ich mir eher eine heilige Atmosphäre wünsche, denn die nüchterne Geschäftigkeit egoistischer Selbstverständlichkeit. Aber warum soll es hier anders sein als dort, wo der Lebenslauf eben keinen Jakobus hingebracht hat.

    Gerade jetzt erkenne ich über den Bäumen mit den blinkenden Lichtern einen silbernen Stern gegenüber einer gelben Straßenlaterne. Das ist er wieder, dieser besondere Moment in der Endlichkeit unseres Daseins. Es kommt einfach nur auf die Perspektive an.

    Auf der kleinen Tontafel im Wald steht, 'wer nicht weiß, wohin er geht, ist immer überrascht, woanders zu sein.' Der Morgen ist erhellt, der Platz ist immer noch still. Wir werden jetzt die Stadt verlassen, wie Diebe in der Nacht. Nur unser Müll verbleibt. Und just, als ich das schreibe, verlöschen die Straßenlaternen und auch die blinkenden Lichter, selbst der silberne Stern gehört meiner Vergangenheit an. Und für diejenigen, die jetzt aufwachen, hat es all das nicht gegeben. Ist das nicht wunderbar.
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