• Bortfeld

    February 11 in Germany ⋅ ☁️ 2 °C

    3.152 TAGE AUF UNSERER
    LEBENSREISE IM BLAUEN BUS
    Seitenstraße
    Braunschweig
    Deutschland

    Es schneit. Manchmal denke ich, ich lebe nur dafür. Mitten in einem Schneegestöber vom blauen Bus aus über die Felder schauen, wie die braune Erde weiß wird. Das kann kein heißer Tag am Mittelmeer toppen. Da kommt es ans Licht. Ich bin ein Winterkind.

    Und natürlich gehen wir gleich spazieren, auch wenn der kalte Wind durch jede Faser meiner Bekleidung fegt. Tief in einem Rucksack mit dem Notfallschlafsack vermute ich Handschuhe und Schal, die ich lange nicht gebraucht habe, obwohl es ja in den spanischen Bergen im letzten Winter ziemlich gefroren hatte.

    Wir sind immer noch in Braunschweig, ich warte auf einen wichtigen Termin. Morgen streikt Bus und Bahn, ich habe dem Sohn versprochen, ihn und seine Freundin zur Arbeit zu fahren. Also früh um halb sieben die erste Tour und um 21 Uhr die letzte. Dabei darüber nachgedacht, wie sinnvoll ein solcher Streik für die Menschen ist, die auf Bus und Bahn angewiesen sind. Ne Stunde zur Arbeit laufen oder Taxikosten, die keiner übernimmt.

    So trifft man wieder mal die "Schwächsten", denn die die zahlen sollen, sitzen in ihren klimatisierten Limousinen. Der Segen einer zivilisierten Gesellschaft. Würden stattdessen die Pflegekräfte streiken, würde ein Schrei durch die Gesellschaft gehen. Man dürfe doch nicht.

    Nur manchmal ist der Ruf nach verbrieften Rechten der Abgesang der Mitmenschlichkeit. Der Schnee bleibt auf der Straße liegen. Der Horizont verkleinert sich, die Fenster sind von innen beschlagen, Hilde hat sich schlafen gelegt.

    Wir waren bei Thomas, der den Spiegel reparieren wird. Die neuen Lämpchen im Bus, die er einsetzt, leuchten endlich hell genug zum Lesen. Wir essen zusammen von meinen internationalen Mitbringseln aus dem Kühlschrank. Über Nacht steht der blaue Bus vorm Haus, der Enkelzwerg ist krank, wir können morgens ausschlafen.

    Grade zum Geburtstag meines Sohnes ist das keine gute Nachricht. Erst als die Freundin von der Arbeit kommt, können wir uns treffen, gehen zusammen spazieren. Es macht ihm Spaß, Hilde zu nehmen, und mich ein bisschen zu drücken, länger spazieren zu gehen. Ziemlich verschnauft, aber durchaus zufrieden, komme ich dann auch wieder am Bus an.

    Abends gibt's Besuch im blauen Bus, der Doktor kommt auf einen Sprung vorbei, hat was Leckeres zum Essen mitgebracht. Über Nacht stehen wir nochmal bei Claus, Hilde macht im Dunkel den Garten unsicher, wir haben Strom, die Batterien werden vernünftig aufgeladen.

    Am Morgen Bankwege mit meinem Sohn, den ich dann in der Arbeit absetze, um danach ans Feld zu fahren. Die Zeit anhalten. Wie es weitergeht, weiß ich grad nicht, nur dass die Temperaturen zum Wochenende nachts in den zweistelligen Bereich fallen, aber am Meer bleibt es um null Grad. Warte auf den Kardiologen.

    So ist es halt. Irgendeiner hat früher mal auf Godot gewartet, und diese Botschaft durch die Zeit getragen. Ob es sich lohnt oder nicht, manchmal muss man warten können lernen.

    "Jeder Moment lädt dich ein, bewusst zu leben. Wenn du mit Liebe und Achtsamkeit auf das Jetzt antwortest, löst du dich vom ständigen Rennen gegen die Zeit und findest wahre Freiheit im Moment. Öffne die Tür zum Hier und Jetzt – es ist alles, was du wirklich hast."

    Einfach leben - ein Brief von Anselm Grün
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