• Herzberg/Mark

    17.–18. Mai in Deutschland ⋅ ☁️ 14 °C

    ,Es ist still im blauen Bus. Gestern mochte ich Musik hören, den ganzen Nachmittag über, aber heute mag ich nicht reden. Hilde schläft, manchmal so Kopf an Kopf mit mir, wenn die Müdigkeit übers Lesen hinausgeht, mich schläfrig macht. Mein Buch ist gut, in einer gewissen Weise, aber manchmal tut es mir weh, weil es das Leid in sich trägt, für das ich grade keinen weiten Horizont in mir trage.

    Hilde's Erkrankung geht mir nah, und ich frage mich manchmal, ob sie sie so schläfrig macht. Innerlich versuche ich mit Gott im Gespräch zu sein, und äußerlich schaue ich dem Wind zu, wie er die Wolken bewegt. Es ist so still im Bus, dass ich Hilde's Atem höre oder den Wind rauschen, manchmal meine ich, meine Gedanken Worte sprechen zu hören, wenn ich die Luft anhalte.

    Eine der Schülerinnen hat mich gefragt, ob ich aufhören würde zu reisen, wenn Hilde nicht mehr da ist. Nein. Wohin sollte ich denn gehen. Die Straße und der blaue Bus sind mein Zuhause. Auch wenn es einsam wäre. Aber irgendein Zimmer wäre auch leer, selbst wenn ich dort leben würde, ich könnte es nicht mehr mit meinem Dasein füllen.

    Ich habe die Frage nicht gestellt, ich stelle keine Vermutungen an, mache keine Pläne in eine Zukunft, die sich mir völlig entzieht. Ich gebe manchmal eine Antwort, auch wenn sie fiktiv sein würde. Denn wer weiß schon, was morgen ist, was hinter dem nächsten Blick zum Horizont sich vor meine Augen legt.

    Wir waren drei Tage in Liebenwalde, schöne Tage und schöne Bilder, gute Gedanken zum Lesen und zum Sein, ruhige Nächte und morgens ein Sonnenaufgang. Stille Spaziergänge, ein paar Worte mit dem Hafenmeister, und einigen Anglern am Kanal. Die meisten Menschen hier reden nicht mit mir, antworten nicht auf einen Gruß, schauen an mir vorbei. Herzlich willkommen. Steht auf dem Schild neben der Gaststätte, für die Bootfahrer, wenn sie unter der Brücke hervorkommen.

    Meine Knie schmerzen, ihnen ist das Wetter mittlerweile egal, sie haben sich an diesen Lebensabschnitt gewöhnt. Wenn wir langsam gehen, können sie sich entspannen, und in der Nacht ausruhen. Obwohl meine Beine angewinkelt sind, weil Hilde immer vor meinem Bauch schläft.

    Die Bilder gehören zu den Tagen hier, wir brechen bald auf. Besuchen Ute am Abend und sind morgen früh bei lieben Menschen in ihrem Schrebergarten. Dann eine Woche im Goldenen Dreieck von Familie, Arzt und Freunden, sozusagen im Land zwischen Harz und Heide, da ist ein Fußballclub bekannt, der morgen ums Überleben in der zweiten Liga kämpft.

    Als wir vom Stellplatz in Liebenwalde abfahren, weint der Himmel, und vorm Gut Liebenberg reißt eine Sturmböe einen kleinen Ast ab und wirft ihn durchs offene Fenster in der Bus. Die Kerzen der Kastanien schwingen im Wind wie leuchtende Lichter auf hoher See. Die Wolken sind dunkel, das schwarze Eisentor links schwingt wie von Geisterhand nach außen, hält sich standhaft an der Mauer fest. Ein Fetzen Blau blickt erstaunt über den Horizont auf wogende Wiesen, dessen Grün ins Gelbliche überzugehen scheint.

    Am Gasthaus Charlottenhof fährt langsam ein Ice vorbei, während unsere Schranken geschlossen sind. Da, wo die Brücke verloren gegangen ist, lassen junge Männer ihr Leben. Im gleichen 18. Jahrhundert wurden die Fenster in der spätgotischen Feldsteinkirche in Herzberg/Mark erneuert. Gerade als meine Geschichte rund ist, legt sich das warme Sonnenlicht schützend über alle Zeiten, aber wir stehen ein bisschen im Schatten.
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