• Paul

    16.–17. jun., Norge ⋅ ☁️ 15 °C

    Beim Abendspaziergang sehe ich aus dem Augenwinkel, dass ein Fahrrad neben uns hält. Ich schaue hoch und entdecke Paul, den Engländer, den ich längst auf den Lofoten vermutete. Wie Fritz, denn mit Beiden habe ich auf der Fähre nach Ørnes den Fjord überquert.

    Nein, erzählt er, am nächsten Morgen habe er sich sehr müde gefühlt, und wäre nach 25 Kilometern auf einen Camping gegangen, hätte den gestrigen Regentag einfach dort entspannt. Ich erzähle ihm von meinem Weg heute am Meer entlang nach Lødingen, und tatsächlich findet er dort einen schönen Campspot, und die Besitzer des letzten Platzes bringen ihm noch ein leckeres Essen vorbei, als sie auf dem Weg nach Bodø sind.

    Wir unterhalten uns über die Eile der Bikepacker, die selbst an solch heftigen Regentagen unterwegs sein müssen. Auch wenn ich selber jeden Tag fahre, achte ich viel auf die Zeiten, die wir unterwegs sind, und auf die Stunden, die wir uns zwischendurch am Ort gönnen. Ich denke immer, wir sind die Radfahrer unter den Campern, denn unsere Entfernung entsprechen ihnen.

    Als Paul auf sein Rad steigt, sind seine Bewegungen langsamer, er braucht länger, um mir aus den Augen zu fahren. Ach, das hat mich sehr gefreut. Die Sonne scheint, und wir haben eine so milden schönen Tag gehabt, der in der Nacht vom Winde verweht wird.

    Ich wollte an Bodø vorbei nach Norden fahren, habe in Lødingen aber erst die Wasserflaschen beim Camperhändler Kroken kostenlos aufgefüllt. Leider verspüre ich schon die ganze Zeit ein inneres Unwohlsein, was meine Route angeht, gehe aber darüber hinweg, weil die Strecke nach Tårnvika einfach zur Umrundung dazu gehört. Jetzt bin ich natürlich nicht so verbohrt und quäle mich über Wege, die mir nicht gefallen oder gefährlich sind, aber ich gebe auch nicht gleich auf.

    Wobei Sonntag keine gute Lösung ist. Heute wird gewandert, gebadet, Auto gefahren, was zur Folge hat, dass sämtliche, selbst kleinste Möglichkeiten, schräg und schief zu parken, ausgenutzt werden. Und du überlegst dir jedesmal, wohin denn die Insassen gewandert sind, denn Wege gibt es nur selten. Oft musst du erstmal durchs Gestrüpp etliche Meter bergauf klettern, bis sich ne Elchspur findet, die durch Wald und Fjell führt. Ich habe schon oft erlebt, dass sich das Unterholz bewegt und mitten aus einem Wald kommt ein Wanderer, der auf der anderen Straßenseite wieder eine minimale Öffnung betritt.

    Hunderte Fahrzeuge und nur wenig Menschen, mal ein paar Frauen an einem kleinen Badestrand im Handtuch, oder zwei verschwitzte Gesichter unterm Rucksack kurz vorm Pkw. Die Landschaft ist spektakulär. Unbenommen. Blaues und grünes Wasser, Berge mit und ohne Schnee, aber mit Moos und Krüppelkiefern bedeckt. Versteckte Häuser, meist Holzhütten in schönen, entspannten Farben. Weiches Rot, Dunkelgrün, gesundes Eidottergelb.

    Unsere Bergundtalfahrt ist kurvenreich, und nachdem wir das unmittelbare Einzugsgebiet von Bodø hinter uns gelassen haben, auch deutlich einsamer, was mich einerseits zusehends entspannt, während ich gleichzeitig sehr enttäuscht bin, für Hilde und mich keine Wege zu finden, auf denen wir spazieren gehen könnten. Dann sind wir in Festvåg und stehen an einem einsamen Fährhafen.

    Tårnvika liegt zwar auf einem Stück Festland, aber die einzig befahrbare Straße ist nur über eine Fähre zu erreichen. Zudem ist der Ort eine vermutliche Sackgasse, denn nur eventuell gibt es ein Möglichkeit, auf das nächste Stück Festland bei Rørstad zu gelangen, aber eventuell nicht. Und für solche Kannseins fühle ich mich heute nicht ausgerüstet.

    Zudem würde ich gegebenenfalls auch von der anderen Seite dorthin gelangen, was sich besser anfühlt. Also schaue ich ins blaugrüne, nasse Rund und verabschiede mich freundlich von diesem Eckpunkt. Zurück sieht vieles anders aus. Das mag ich sehr. Die Dinge von beiden Seiten anschauen. Das ist im Leben wie in der Natur sehr bereichernd und durchaus aufschlussreich.

    Zurück ist weniger Verkehr, und ich entdecke manches Versteckte, Unscheinbare. Von Norden komme ich auch ganz anders in Bodø an, sehe rechter Hand ein großes Schiff, das ich mir anschauen will. Das bringt mich zwischen Industrie und Handel zu einem wilden Stück Brachland am blauen Meer, bei dem nicht klar ist, ob etwas gebaut oder aufgegeben wurde.

    Mitten zwischen Industrieanlagen und riesigen Zäunen, die die Straße vom Hafenbecken trennen, steht ein Haus hinter einem Baum. Ein rotgrünes Potpourri an Gemütlichkeit, die ausstrahlend mich fast zärtlich berührt, obwohl es sich nicht sagen lässt, ob hier überhaupt jemand wohnt.

    Das ist auf der anderen Straßenseite vermutlich schon so, denn die bunten Häuser, die wie Hühnerleitern auf dem Berg zu hängen scheinen, machen so einen Anschein. Zwei junge Leute üben Rollerfahren, das heißt, die junge Frau entdeckt die Möglichkeiten, die ein solches Gefährt ihr bieten könnte, und schafft es auch rechtzeitig, an der Abzweigung zu halten, damit wir vorbeifahren können.

    Dieses Mal nehmen wir von Lødingen aus die 17 zum Saltstraumen, wo wir noch eine Nacht bleiben wollen. Wir treffen Paul und haben ein gutes Gespräch mit einem Ehepaar aus Dresden, das über Nacht mal unser Buch anschauen will. Abends kommt Wind auf, der sich über Nacht verstärkt, der Himmel hat sich zugezogen und Regen fällt in kleinen Schauern vom Himmel wie Sternschnuppen. Hilde steckt noch lange unter der Bettdecke, nachdem ich aufgestanden bin, gestern waren wir dann erst kurz vor 22 Uhr im Bus zurück.

    Der Sturm hat an Kraft zugelegt, das wird später spannend, über die hohe Brücke zu fahren, die sich über den Saltstraumen erhebt. Wobei die Auffahrt von unserer Seite viel sanfter wirkt, als wenn man von Süden kommt. Trotzdem werden oben die Windgeschwindigkeiten schon im zweistelligen Bereich (20m/sec) liegen, aber eine andere Möglichkeit, um nach Rognan zu kommen, habe ich nur durch die Tunnel nach Fauske.

    Die Geschichte habe ich gleich nach dem Aufstehen geschrieben. Jetzt um acht Uhr öffnet sich schon mal die Tür eines anderen Campers, eine Frau im türkisblauen Bademantel setzt ihren kleinen Hund in die Wiese, der ein oder andere Vorhang öffnet sich, mal hier und da die erste Zigarette. Möwen im Gleitflug und um den Kirchturm herum drohen dunkle Wolken. Montag am Morgen im Paradies.

    Google Maps Code
    6JMC+6FR Saltstraumen, Norwegen
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