• Tømmerneset

    Jun 19–20 in Norway ⋅ 🌫 8 °C

    Diese Reise ist anders. Wir sind viel alleine, treffen hin und wieder auch Menschen im Gespräch, leben aber eigentlich ziemlich zurückgezogen, was sich in einer großen Nähe zwischen Hilde und mir widerspiegelt. Oft spielen wir zusammen, gerade wenn wir am Schlafplatz ankommen, will sie mit mir hinten auf den Bett toben. Das ist sehr lustig.

    Tagsüber ist sie sehr entspannt, nachts schläft sie selten noch bei mir unter der Bettdecke, mit der neuen, dicken Matratze ist die Lage bei jeder Bewegung unruhig, das nervt sie schnell ab, sodass sie sich auf einem der beiden Sitzen einrollt, oder auf dem Boden davor ausstreckt.

    Hilde sucht oft meine Nähe, damit ich sie streicheln kann, sie meinen Arm ableckt, oder sich ganz dicht zu mir legt. Wir starten erst gegen Mittag, nach dem Ichbinausgeschlafen - Spaziergang, und kommen früh genug nachmittags irgendwo an, um in Ruhe zu essen, den Abend zu gestalten, nochmal vor der frühen Bettzeit rauszugehen.

    Um halb elf sollte ich mich unter die Bettdecke legen, denn der Wecker klingelt um halb fünf, um die Standheizung anzuschalten. Dann ist es spätestens eine Stunde später warm genug für die Körperwäsche und das Anziehen, um halb sieben gibt es die erste Medizin.

    An der ehemaligen Anlegestelle machen wir einen Abschiedsspaziergang, weil alle Fahrzeuge weg sind. Lediglich in der Ecke kommt ein Mann aus seinem Camper, weil er meinte, Schweinswale in der Bucht gesehen zu haben. Es regnet heftig, als wir losfahren, und der Bus kommt nicht auf Touren. Wir sind gleich ein Verkehrshindernis, und dann kommt der erste Tunnel.

    Norweger sind inzwischen ebenso wie die Deutschen unzufriedene Autofahrer. Sie hupen, schneiden dich beim Überholen, sind ständig unter Strom. Die frühere Gelassenheit ist dahin, seit die politische Situation sie beschneidet. Hohe Strompreise, teure Stellplätze, hohe Steuern, jeder hält die Hand auf und will sich bereichern. Es gibt eine zunehmende Unzufriedenheit im Land, und damit einhergehend eine größere Umweltverschmutzung, Müll in einem sauberen Land. Nicht in dem Maße wie im südlichen Europa, und auch nicht vergleichbar mit Deutschland, aber wahrnehmbar.

    Ich fahre auf den nächsten Parkplatz, starte den Motor neu, der gleich abgeht wie Schmidts Katze, was mir auch nicht gefällt. Nebel legt sich über die Fahrbahn, da sind Tunnel fast angenehm. Nochmal achthundert Meter, dann links eine Brücke, wir sind auf der Halbinsel.

    Engan, Sorfold, die asphaltierte Straße endet in Strøksnes, weiter fährt die Postbotin auch nicht. Dann zurück bis zum Abzweig nach Bonnå, und von dort zurück auf die E6 bei Mørsvikbotn. Am Anfang treffen wir einen jungen deutschen Radfahrer, der völlig durchnässt keine Zeit zum Reden hat, weil er gleich friert. Das vergeht ihm dann, als er zwei Kilometer eine zehnprozentige Steigung hat, da wird er trocken, und es ist ihm warm, erzählt er später, als wir uns nochmal treffen. In sieben Tagen will er am Nordkap sein, dass ist bei 900 km ziemlich sportlich. Er hat nur dreieinhalb Wochen Urlaub und ist in mehreren Jahres - Etappen von Tarifa in Spanien gestartet. Seine Sorge ist, was er im nächsten Jahresurlaub dann macht.

    Wünsche ihm Gesundheit und wir fahren weiter. Kurz vor der E6 halte ich an, um nach Schlafplatz und Tunneln zu schauen. Und dort erkenne ich, dass wir beide einen 4.500 Meter langen Tunnel umfahren haben, der kurz hinter der Brücke, wo wir abgebogen sind, begonnen hat.

    Auf einer schmalen Straße zwischen hohen Felsen mit vielen Wasserfällen und der steilabfallenden Küste in Grün mit manchen Häusern, fahren wir einsam unseren Weg geradeaus bis nach Sorfold. Zwischendurch Nebel, aber an ein Umdrehen ist nicht zu denken, zu schmal ist die Straße, und es hat keine Seitenwege. Die Landschaft ist bizarr, aber wunderschön, es geht rauf und runter, natürlich auch die zehn Prozent bergauf.

    Wir kommen an die ehemalige Anlegestelle, die auch hier Geschichte ist, und sehen auf dem Rückweg, im klaren Licht der Sonne, unseren Stellplatz auf der anderen Seite des Fjords. Dann biegt die Straße in Sorfold ab und ich staune über die wunderschönen Meerbilder, die das helle Licht hervorbringt. Es hat sich gelohnt.

    Als wir den Radfahrer überholt hatten, bemerke ich eine Landschaft, die mir bekannt vorkommt. Der Berg, der wie ein Schildpanzer bis runter zum Wasser führt, den kenne ich doch, und den Tunnel im Berg bin ich schon mal gefahren, da bin ich ganz sicher. Das gelbe Haus, die Seen und grünen Wälder.

    Und dann fällt es mir wie Schuppen aus den Haaren. Jener eiskalte Oktobertag im Jahr 2017, als wir im schon geschlossenen Campingplatz im Ort um Asyl gebeten haben, die alte Besitzerin unsere Reifen betrachtet hat, und für den nächsten Tag Eis und Schnee vorhergesagt hat, der dann zum Glück erst später eingesetzt hat.

    Fast wäre ich in Nostalgie nochmal auf den Platz gegangen, aber das schminke ich mir ja gerade ab, und lasse Erinnerungen ihren Raum, ohne eine Schleife zu drehen. Aber, es wird mir bewusst, wie weit im Norden wir schon sind. Und ich stelle fest, dass in grade mal acht Jahren eine besondere, einsame Herbstreise zu einer fast normalen Kaffeefahrt geworden ist, selbst wenn es jetzt Juni ist.

    Dass wir 1972 schon mal hier oben waren, wird dagegen fast unwirklich. Das ist wie eine andere Zeit, besonders mit welcher Selbstverständlichkeit wir damals unter widrigen Umständen überhaupt unterwegs waren. In einer Gegend, die selbst für meine norwegischen Freunde, zwar eigenes Land war, aber fast soweit entfernt wie ein Flug nach Spanien.

    Abends schreibt mein Sohn, dass wir 2246 km von Braunschweig entfernt sind. Und das fühle ich heute auch. Wenn ich den Verkehr ausblende, und diese karge Landschaft betrachte, dann kommen viele Erinnerungen an frühere Fahrten auf. Denn am gewählten Schlafplatz waren wir im Sommer 2018 mit meinem Sohn, dem Peter mit seiner Hummel, und anderen Reisenden, aber keinem weißen Camper oder einem der vielen Roadsurfer, diesen gemieteten Wohnmobilen. Heute bin ich der einzige VW Bus auf dem Platz, umgeben von eben jenen Wohnmobilen, deren Insassen für sich bleiben wollen. Wie sich die Zeiten ändern.

    Man braucht den anderen Menschen nicht mehr, so meint man in dem Verhalten erkennen zu können, dabei übersehen die meisten, wie bereichernd Gemeinschaft sein kann, und wie schön es ist, nicht alleine auf der Welt zu sein.

    Der Platz ist voller Pfützen, es regnet immer mal leicht, der Himmel ist grau und es scheint windstill zu sein. Wir sind kurz unterhalb von Tømmerneset und eigentlich wollte ich von hier aus nach Westen fahren, aber da es hier gleich einen 8000er Tunnel gibt, hat sich das erledigt. Mal sehen, was stattdessen auf dieser Halbinsel möglich ist.

    Parkplatz (frei)
    Google Maps Code
    WV24+6MW Tømmerneset, Norwegen
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