• Steinsdalen

    Jul 13–14 in Norway ⋅ ⛅ 26 °C

    Routine. Für einen Moment habe ich tatsächlich überlegt, fünfhundert Kilometer nach Norden zu fahren, um der Hitze zu entfliehen, die die nächsten fünf Tage unser Leben bestimmen soll. Dann habe ich es doch verworfen, weil wir ja in drei Wochen in Deutschland feste Verabredungen haben. Und bin in den nächsten Schatten gefahren, weil die Hitze nur so oder mit fahrender Kühlung auszuhalten ist.

    Während meine Arme zusehends bräunen, trägt Hilde ein nasses Handtuch, um die Körpertemperatur herunterzukühlen. Was für die meisten Menschen die Sommerfreuden sind, bleibt für uns ein notwendiges Übel, das wir ertragen müssen.

    Das war nicht immer so. Als wir jung auf Reisen waren, hat uns Hitze weniger ausgemacht, aber nun sind diese Zeiten vorbei. Am See wird es lebendig. Tatsächlich jede Generation umschwirrt uns binnen Minuten, die Hunde bellen, der Lärmpegel steigt, wir verabschieden uns, fahren los. Zum nächsten Schatten.

    Vormittags brauchen wir einfach Ruhe, vielleicht ne Stunde zwei nach dem Frühstück, dann sieht der Tag wieder besser aus. Die Bilder um uns herum sind vielfältig und intensiv, das muss man irgendwie verarbeiten, um aufnahmefähig zu bleiben.

    Hinzu kommen ja immer noch die inneren Abläufe des Denkens und Erinnerns, über Bilder, Eindrücke und Erfahrungen. Norwegen hat da viel beizutragen, fast eine lebenslange Geschichte trage ich dazu in mir. Wenn ich mal ein bisschen erzähle, öffnet sich die Schatztruhe reicher Erlebnisse.

    Die Geheimnisse behalte ich bei mir, die sind nicht für andere Menschen gedacht. Die Tiefen und Höhen seelischer Erinnerungen kann man nur selten teilen, diese Momente größter Intimität mit Natur und Mensch sind sorgsam in meinem Herzen verpackt, das langsam schlägt.

    Abends koche ich eine Thermoskanne Wasser für für das morgendliche Waschen. Wenn der nasse Waschlappen dann meine Augen berührt, ist dies ein Moment von großer Intensität, auf den ich mich sehr freue. Das fast zu heiße Wasser weckt ganz besondere Emotionen in mir. Wie der laute Hahnenschrei in der Herrgottsfrühe, wie man zu sagen pflegt. Ein plötzlicher Moment der Lebendigkeit zwischen Nacht und Tag.

    Das eine geht, das andere kommt. Auch wenn der Tag zu heiß wird, sind doch die Träume der Nacht Vergangenheit. Ein lebensnotwendiger Cut, ein tiefer Einschnitt, um mich Mensch von der dunklen Seite zu befreien, um im Licht zu erstrahlen.

    Wir fahren durch ein Land in Blau, Grün und Gelb mit Felsen, die ihre eigene Farbe haben, um in Licht und Schatten sich zu verändern. Zuviel Himmel, zuviel Erde, das monotone Geräusch des Motors, die plötzlich, fast greifbare Stille, wenn er erstirbt. Wie im Video. Oder auf den Bildern, die immer schweigsam sind, um dich im deinem Sein zu berühren.

    Wir sehen den ganzen Tag, aber manchmal ist eine Aufnahme dabei, die aus der Tiefe unserer Seele eine Erinnerung heraufholt, die nicht mal direkt mit dem Bild zu tun hat. Ich bin oft den Tränen nahe, berührt mich doch ein Bild, eine Geste, Worte oder Musik, in einer Ecke meines unverarbeiteten Seins. Ich bin dünnhäutig geworden, wo es sich die Seele erlauben kann, sich zu öffnen, während sie andere Erfahrungen noch tiefer in die Falten der Zeit schiebt, dass sie eines Tages mit dem Menschen einschlafen.

    So wird dann kein Leid mehr sein, wenn die Menschen den Tod überwinden, um bei Gott zu sein, sondern nur Freude. Weil wir eben wieder bei Null anfangen, gereinigt vom Leben, geheilt durch den Tod, ein lichtdurchscheintes Wesen, das nur aus heilvoller Gegenwart besteht.

    Über dem Bus schweben die Möwen. Ich habe das früher nie so beachtet, wie sie es lieben, mit der Luft zu fliegen, wie sie Freude daran haben, für sich oder in der Gemeinschaft. Ich kenne sie nur als nervige Gesellen am Strand, im Wettkampf mit den Raben, wer am aufdringlichsten sein kann. Hier zeigen sie mir ihre seelenvolle Lebensfreude, ihre Anmut des Schwebens.

    Das Meer ist blau. Sehr wohl in Unterschieden von Farbtönen aus Tiefe und Durchsichtigkeit, Wellen und Bewegung, Ferne und Nähe. Über Nacht stehen wir in einer Bucht des unbewohnten Reisebusses, der schon vor Jahren sein menschliches Leben verabschiedet hat, sie sind ihm sozusagen entwachsen.

    Doch morgens entfaltet er seine wahre Größe im Angesicht der Sonne, die über sein Dach ins Tal scheint, über dem Wasser sich mit den Tropfen vereint. Dann steht er wieder völlig still, ein Symbol von Bewegung in Ruhe.

    Ein neuer Tag hat begonnen.

    Parkplatz (frei)
    Google Code
    8G25+337 Steinsdalen, Norwegen
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