• Schüttorf

    Sep 7–8 in Germany ⋅ 🌙 20 °C

    (English Version Below)

    Während die meisten Paare kurz nach der Ankunft in ihrem Camper nach hinten verschwunden sind, sitzt ein älteres Ehepaar mir gegenüber direkt hinter ihrer Windschutzscheibe, beobachtet das Geschehen auf dem Platz, und gestikuliert weitschweifig die Ereignisse.

    Sie im Quergestreiften, er Feinripp von Schiesser. Ihr Platz ist ideal, besser als jedes Fernsehprogramm, aber letztendlich ist das Geschehen genauso weit entfernt. Allemal unterhaltsamer als der eigene Garten, die Wohnung im ersten Stock. Auch für mich. Das muss ich ehrlich zugeben. Zumindest für einen Moment.

    Denn eigentlich möchte ich meine Geschichte schreiben, von unserem heutigen Tag, die aber eher im Rückblick beginnt. In den ersten Jahren habe ich Lesesessions veranstaltet, ein Mitbringsel aus meinem Berufsleben. Zehn, zwölf Bücher gleichzeitig zu lesen ist ausgesprochen spannend, insbesondere wenn das Genre eine große Bandbreite hat. Jeweils ein Kapitel, da sind wir schnell bei vier, fünf Stunden. Manchmal länger. Möglichst einmal pro Woche, damit der zeitliche Abstand nicht zu groß wird.

    Heute ist Konzentration angesagt, um überhaupt ein Buch in einem absehbaren Zeitraum zu lesen. Einhalten einer konsequenten Ordnung ist etwas, was mir deutlich schwer fällt. Das fängt schon beim Zähneputzen an, zieht sich über die Fenster, bis hin zum Kochen, das ich ja längst eingestellt habe.

    Demgegenüber steht Hilde, deren Tage sehr unberechenbar sind, die meine ganze Aufmerksamkeit braucht. Während gestern der Eindruck entstanden ist, dass das Schmerzmittel wirkt, ist heute das Gegenteil der Fall.

    Wieder große Ängste, fast körperliche Anhänglichkeit, dass ich kaum meine Beine bewegen kann. Erst nachmittags ist ein entspannter Spaziergang möglich, ein längerer Schlaf folgt. Vorher geht's nur für beim Fahren, da liegt sie still zwischen den Sitzen, lang ausgestreckt.

    Nur viel Fahren ist grad nicht gut, deshalb braucht es ruhige Schattenplätze mit kühlen Seitentürwind. Die Nacht ist voller Licht, der Morgen ein Gedicht, in Farb und Ton, mit Vogelflug und Glockenläut.

    Ein Spaziergang im Viertel, eine weiße Feder auf dem Trottoir, Hilde frisst, ich bin leicht verschwitzt, das Aufziehen der Spritze ist Geschichte. Für heute.

    Wir fahren ein Stück der Straße, mit dem Wald und der Christusfigur, das Wasser für mein Porridge kocht derweil. Am nächsten Parkplatz ist Schatten, eine Jugendmannschaft in Blau begrüßt ihren Trainer, Fahrt zum Spiel. Sonntagsgeschichten.

    Telgte mit dem beschrankten Bahnübergang mitten im Ort, das Bioenergetische Zentrum bei Saerbeck schenkt uns eine Leseecke nach dem Spaziergang unter hohen Bäumen. Wir suchen einen Schlafplatz, finden einen spurenreichen Wiesenweg am Maisfeld, einen Stellplatz nicht fern der niederländischen Grenze.

    Das alte Ehepaar ist beim Abendbrot, zwei Finnen machen einen Spaziergang im Ort, dazwischen kommt jemand aus Mainz, lässt den großen Oyster drehen, bis das Fernsehbild scharf ist. Heute gibt es Fußball, Tatort und Nachrichten. Man weiß auch nicht, was besser ist, habe ich reden hören.

    Wir spazieren ein letztes Mal um den Block. "Krisen gehören zum Wachstumsprozess des Lebens", schreibt Anselm Grün, "es gibt keine absolute Sicherheit. Wie die Schiffe ist auch der Mensch nicht dazu geschaffen, sicher im Hafen zu liegen."
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    While most couples have disappeared to the back of their camper van shortly after arriving, an older couple sits opposite me directly behind their windshield, observing the activity on the campsite and gesticulating ramblingly about the events.

    She's in her horizontal stripes, he's in fine rib from Schiesser. Their spot is ideal, better than any TV program, but ultimately the action is just as far away. Certainly more entertaining than their own garden, their first-floor apartment. Even for me. I have to honestly admit that. At least for a moment.

    Because I actually want to write my story, about today, but it begins more in retrospect. In the first few years, I organized reading sessions, a legacy from my professional life. Reading ten or twelve books at once is extremely exciting, especially when the genres are broad. One chapter at a time, and we quickly reach four or five hours. Sometimes longer. If possible, once a week, so the time gap doesn't become too great.

    Today, concentration is required to even read a book in a foreseeable period of time. Maintaining consistent order is something I find particularly difficult. This starts with brushing my teeth, extends to cleaning the windows, and even cooking, which I stopped doing long ago.

    In contrast, Hilde has very unpredictable days, demanding my full attention. While yesterday it seemed like the painkillers were working, today the opposite is true.

    Again, I feel so anxious, almost physically clinging to myself, that I can barely move my legs. A relaxed walk isn't possible until the afternoon, followed by a longer sleep. Before that, it's only possible while driving, where she lies still between the seats, stretched out.

    But a lot of driving isn't good right now, so I need quiet, shady spots with a cool breeze from the side door. The night is full of light, the morning a poem, in color and sound, with birds flying and bells ringing.

    A walk in the neighborhood, a white feather on the sidewalk, Hilde is eating, I'm slightly sweating, drawing up the syringe is history. For today.

    We drive a bit along the road, past the forest and the statue of Christ, while the water for my porridge is boiling. There's shade at the next parking lot, a youth team in blue greets their coach, and the drive to the game. Sunday stories.

    Telgte, with its gated railway crossing in the middle of town, the Bioenergetic Center near Saerbeck offers us a reading corner under tall trees after our walk. We look for a place to sleep, find a track-filled meadow path by a cornfield, and a parking spot not far from the Dutch border.

    The elderly couple is having dinner, two Finns are taking a walk in the village, and in between, someone from Mainz arrives, turning the large Oyster until the TV picture is sharp. Today there's football, Tatort (a crime scene), and the news. I've heard people talk about it.

    We take one last walk around the block. "Crises are part of life's growth process," writes Anselm Grün, "there is no such thing as absolute security. Like ships, humans are not designed to lie safely in harbor."
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