• In der Reichsbäckerei & andere Probleme

    9. august, Tyskland ⋅ ☀️ 22 °C

    Liebes Tagebuch. Bevor ich vom heutigen Tag erzähle, erst einmal die weiteren Erlebnisse der Nacht. Nachdem die Loser Truppe abgezogen war wurde es ruhig und langsam dunkel. Ab und zu kam ein Mountainbiker vorbeigeradelt. Gegen zehn ging ich in die Ruine und wollte gerade mein Zelt aufschlagen, als ich Stimmen hörte. Sie kamen immer näher und ein älteres Pärchen mit einem Beutel Bier machte es sich ein paar Meter von mir gemütlich. Sie grüssten freundlich. Nach etwa einer Stunde war der letzte Kasten getrinkt und die beiden zogen beschwipst und kichernd ab. Das war mein Startschuss. Ich musste schlafen. Alles schnell hingeknallt, Zähne geputzt, gegurgelt und ab in die Falle. Das Essen hatte ich sicher aufgehängt. Neben mir machten ein paar Mäuse Quatsch. Ich lag vermutlich auf ihrer Wohnung. Mir fielen die Augen zu. Irgendwann wachte ich auf, weil ich wieder Stimmen vernahm. Aber irgendwie war ich zu fertig um irgendwie zu reagieren. Sie kamen in die Ruine und ich sah noch wie eine Lampe auf nein Zelt schien. Sie fingen sofort an zu flüstern. Was sie sagten konnte ich nicht verstehen, denn ihre Sprache konnte ich nicht. Auf jedenfall sehr rücksichtsvoll im Vergleich zu Adolfs verkommenen Abkömmlingen. Sie suchten sich einen anderen Platz. Ich hörte sie leise reden und schlief dabei ein.
    Um 4:40 bimmelte der Wecker und eine halbe Stunde später war ich unterwegs. Nichtsahnend was für Kreaturen mir heute begegnen würden. Aber bis dahin beschäftigte mich etwas anderes. Ich hatte ein Problem. Wie konnte ich die Tage besser ausfüllen, damit ich nicht immer sechs Stunden oder so aufs Schlafen warten muss. Ich könnte natürlich weiter gehen, aber überreizen wollte ich meine Haxen ja auch nicht sofort. Ich versuchte mehr und längere Pausen zu machen. In meinem Kopf flogen die Gedanken darüber und mein Hirn versuchte noch die letzte Nacht zu verarbeiten. Irgendwie kann ich gar nicht so viel zu den ersten Kilometern sagen. Nur das ich klitschnasse Füsse hatte, weil der Weg durch eine Art Wiese ging. Das gute daran: ich sah ein Reh und ein Fuchs sprang aus dem Nichts in das Maisfeld nebenan. Irgendwann verließ ich den Waldecker Weg und schwenkte auf den Diemelsteig und ich hatte schon einige Erwartungen. Leider ging es erstmal auf der Wanderautobahn weiter. Ich kam am Trekkingplatz Renaquelle oder so vorbei. Ein paar Wanderer kamen gerade aus ihren Zelten gekrochen. Ich grüsste im Vorbeigehen, Happy Trails!
    Eine Person grüsste zurück. Die anderen guckten zerknittert.
    Ach da war ja was. Pause machen. Also nahm ich die nächstbeste Bank und gönnte mir ein zweites Frühstück. Tortillas mit Erdnussbutter, zerkrümelten Maischips und Veggi Wurst. Ein Gedicht. Nebenbei konnten die Füße etwas trocknen. Gegen Zehn erreichte ich Flechtdorf. Knapp 17km drin. Es war halb zehn. Ups. Das realisierte ich, als jemand Guten Morgen sagte. Mein Tag ging gefühlt schon viel länger. Der örtliche Bäcker erzwang die nächste Pause. Schön ne Bretzel reingedrückt und die Elektronik etwas laden. Die zwei Opas am Nebentisch entpuppten sich als die nächste menschliche Katastrophe. Und das ist noch nett formuliert. Hier mal eine kurze Zusammenfassung des Gesprächs: Die BRD gibt es nicht und es gab nie eine Demokratie, weil alle Kommunisten sind. Nur ein toter Grüner ist ein guter Grüner. Die Grünen sind mit dem Bündnis90 an der aktuellen Lage schuld. Und auch an der Wiedervereinigung, die das schlimmste für Deutschland war. Orban und Erdogan sind schlecht, weil das Diktatoren und Faschisten sind (hier würde ich ihm ja noch zustimmen). Die SPD ist Schmutz, weil das müsse er ja wissen, denn er kommt aus einer SPD Familie.
    Es fehlten komischerweise die Kampfbegriffe AfD und die Ausländer. Aber wer weiß was wirklich in seiner matschigen Birne abgeht.
    Mir schlackerten die Ohren und ich war kurz davor ihn mal mit ein paar Fakten und Anmerkungen zum Zeitstrahl zu machen, aber er war es nicht wert. Solche Leute sind verloren. Ich nahm meinen Rucksack und bevor ich zur Tür raus ging sagte ich, dass er sich für seine menschenverachtenden Aussagen schämen solle. Ich musste mich hart zusammenreißen nicht ableistisch zu werden. Ich ging.
    Was war das nun wieder? Ich war so perplex, dass ich erstmal den falschen Weg genommen habe. Das merkte ich 1km später, nachdem ich meine Gedanken über die Dinge, die ich ihm gerne noch an den Kopf geworfen hätte, abgeschlossen hatte. Dieser ganze Hocus Pocus brachte mich wieder zu meinem Problem. Ich strich "Pausen in Ortschaften" von meiner geistigen Liste. Fickt euch.
    Mittlerweile ballerte die Sonne und ich fing an den Tag zu genießen. Mir vielen die weiten grünen Wiesen auf. Durchzogen von schönen Buchenbeständen, in denen ich wunderbare Hexenröhrlinge und Steinpilze sah. Leider war der Weg plötzlich mit Flatterband versperrt. Durchgang verboten. Holzfällarbeiten. Lebensgefahr. Ich lauschte. Keine Kettensäge oder Harvester zu hören. Hmm. 12 Uhr. Vielleicht Mittagspause? Oder wieder einfach vergessen das Absperrband zu entfernen? Also Karte raus und einen Umweg finden. Lecker extra Kilometer. Das schmeckt. Das ganze war aber halb so wild, denn ich landete in einem Tal mit jungen Buchen, Moos und einem kleinen Bach. In mir schlug der Steinpilzsensor Alarm. Und da waren sie dann. Bestimmt 15 Stück. Leider etwas ausgetrocknet, aber trotzdem wunderschön. Als ich den Diemelsteig wieder betrat grüsste er mich mit einer schattigen Bank und erinnerte mich daran Pause zu machen bevor der Lenkenberg, eine riesige Weide, bestiegen wurde. In der ferne sah ich zwei Wanderer über die Kuppe auf mich zukommen. Oh bitte bitte normale Menschen. Sie entpuppten sich dann als Vater und Tochter. Holländer. Zuckersüss. Wir führten ein ganz normales Gespräch über das Wandern. Als Team Hotel waren sie sehr daran interessiert wie ich das so mache. Ich musste nichts fragen. Der Vaddi erzählte locker flockig von seinen Touren in der Gegend.
    Unsere Wege trennten sich. Für sie ging es in den kühlen Wald. Für mich auf den Hügel in der Mittagssonne. Schöne Weitsichten gab es. Ich tapste vor mich hin und entdeckte das Paradis. Ein Spielplatz, Hütte, Bänke, ein Tretbecken und ein Kompostklo. Und das beste: keine Orks in der Nähe. Eigentlich alles was ich gerade brauchte um wieder eine Pause zu machen. Ich breitete mein Zelt zum trocknen aus, bestieg den Thron und dann Füsse baden und Kopf eintauchen. Das Wasser aus dem Bach, der das Becken speiste, war wunderbar kalt. Anschließend ein paar Snacks. Ich blieb bestimmt über eine Stunde. Von dort war es nicht mehr weit bis Adorf. Die Realität hatte mich zurück. Es galt nicht nur dieses Dorf zu passieren. Nein. Ich musste in den Edeka. Morgen ist Sonntag und die nächste Möglickeit auf Essen scheint in Winterberg zu sein. Der Besuch war wieder ein völliger Abfuck. 😅 Jedes Kind am Schreien, super schmale Gänge, genervte Boomer und an der Kasse ne Schlange bis nach Meppen. Im Gepäck lecker Ramen und einen frischen Salat, den ich mir direkt vorm Laden in die Luke schaufelte. Ich hatte tierisch Bock auf was frisches. Einige Menschen guckten komisch. Ich ebenso. Nachdem alles verschlungen war machte ich mich sofort startklar. Nichts wie weg hier. Aber mein Darm meldete sich. Ein Spiel mit dem Feuer, ich weiss, aber ich ging in das nächstgelegene Wirtshaus und erzählte von meinen Nöten. Für einen Euro durfte ich den Abort entweihen. Und dann nichts wie weg. Es waren noch etwas fünf Kilometer bis zu der Hütte, die ich mir ausgesucht hatte. Natürlich musste ich erstmal steil den Berg hoch. Ja und die Hütte machte einen sehr guten Eindruck. Schöne Sicht, etwas versteckt, luftig und sauber. Im Mülleimer keine Bierpullen und auch sonst kein Unrat. Das sind gute Zeichen dafür, dass die Dorfjugend oder andere Gestalten hier hoch kommen.
    Es war kurz vor sechs und ich bekam wieder bei meinem Problem an. Noch so viel Zeit bis zur Dämmerung. In der Zeit könnte ich noch 12 Km bis zur nächsten schönen Hütte machen. Kurzentschlossen ging ich weiter, aber nach ca 500 Metern blieb ich stehen und drehte um. Meine Beine und Füsse taten weh. Ich war über 35km oder so gelaufen. Denk an die Beine Junge. Heb dir eine Monsteretappe für später auf. Morgen oder so. Mach kein Quatsch. Und so ein Bericht braucht ja auch etwas Zeit zu schreiben. Bauer Horst hat gerade seine letzte Runde gedreht. Zwei Rentner auf Ebikes fuhren vorbei. Es scheint ruhig zu werden.
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