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  • Day 12

    Über Caltanisetta nach Ragusa

    February 9 in Italy ⋅ ☁️ 14 °C

    Ich möchte nach Pozzallo, aber nicht auf dem gleichen Weg wie ich gekommen bin. Ich muss die Fahrplan Apps ganz schön austricksen, bis ich eine Verbindung quer über die Insel finde. Es gibt nur eine mit fünf Stunden Aufenthalt in Caltanisetta, daher ist die streckenmäßig längere Verbindung an der Küste über Messina natürlich zeitlich kürzer. Mich stört der lange Aufenthalt nicht - dann habe ich noch eine weitere Stadt zu besichtigen.

    Eine Recherche über Caltanisetta ergibt nicht viel, außer das Goethe auch da war (Wikipedia schreibt über ein Missverständnis bei einer Konversation Goethes mit Einheimischen auf dem Marktplatz). Ich habe die Italienische Reise leider noch nicht gelesen, aber bin jetzt doch ziemlich fasziniert. Aufbruch in Nacht und Nebel, ohne sich richtig zu verabschieden, inkognito reisen, weil keinen Bock auf den Prominentenstatus. Unterwegs in der Postkutsche, meistens ohne Bedienstete. Wie war’s denn, Johann - auch immer dreckig gewesen? Stress gehabt, den Weg von A nach B zu finden? Wie war das Gefühl, immer wieder Essen und Unterkunft suchen zu müssen, nicht zu wissen was morgen ist? “Jetzt fühl' ich wohl die Verwegenheit, unvorbereitet und unbegleitet in dieses Land zu gehen.” And I feel you.

    Die Fahrt von Palermo geht zunächst entlang der Küste, wunderschön (habe ich auf dem Hinweg in der Dunkelheit nicht sehen können) und dann ins Inland, gewissermaßen Hinterland. Wieder sehr schöne Ausblicke, viele Berge, immer wieder Tunnel. Es ist fast niemand in diesem Zug, der weniger als eine Handvoll Male pro Tag fährt. In Caltanisetta ist die Innenstadt und Goethes Marktplatz schnell erreicht, sagt mir nicht zu diese Ecke. Ich bin mit dem großen Rucksack nicht gerade unauffällig und so spricht mich einen Italiener an, der mal in Bozen gelebt hat und deswegen meint, Deutsch sprechen zu können, aber da ist nicht mehr viel. Englisch auch nicht. Er empfiehlt mir noch die Kirche von innen anzusehen und wir wünschen uns einen schönen Tag. Ich gehe weiter durch die Stadt und finde eine nette Parkbank für ein Nickerchen. In der Nähe noch eine Burgruine auf einen Friedhof, da will ich auch noch hin. Dieser ist mal wieder riesig und wirkt wie ein kleiner Ort mit Gassen, um die „Häuser der Toten“ / Familiengruften teilweise ein kleiner Gartenzaun wie beim Einfamilienhaus und am Stadtrand stehen die “Hochhäuser” mit mehreren Ebenen und vielen Grabstätten. Vor dem Friedhof ein paar Straßenhunde. Sie betteln nicht, sie wedeln nicht mit dem Schwanz, sie erwarten nichts, sie schauen mit traurigen Augen und geben den Blick in ihre gebrochene Seele preis.

    Auf dem Rückweg noch durch das “Arabische Viertel”, was so heißt weil die Architektur a die Zeit erinnert, als die Stadt Qalʿat al-nisā hieß. Aber es gibt auch das “Arabische Viertel”, wo man heute auf den Straßen kein Italienisch hört. Die Armut in machen Ecken insbesondere im Kontrast zu den herausgeputzten trifft mich doch ganz schön. An einer Anzeigetafel sehe ich Wohnungen, die für einen niedrigen fünfstelligen Preis zu kaufen sind. Weniger als ein Jahr meiner Miete in Hamburg.

    Ich gehe zurück in die Innenstadt und finde nach längerer Suche eine offene Bar und esse eine Teigtasche gefüllt mit Käse und Anchovis. Ich habe gerade aufgegessen, als mein Kumpel von heute Vormittag wieder da ist. Caltanisetta ist klein, sagen wir lachend. Er heißt Toni und setzt sich zu mir. Er ist Musiker und will wissen wie es in Hamburg ist. Das Smartphone in seiner Hand, will er alles von mir wissen, mich aussaugen. Ich bin ein Mensch aus einem Ort, wo er noch nie war und vielleicht nie hin kommt. Was macht ihr da, welche Musik hört ihr, was gibt es für Theater? Nun sag schon! Es tut mir so Leid wie noch nie zuvor, dass ich kein Italienisch kann. Goethe konnte halt die Sprache im Verlauf seiner Reise fließend. Ich zeige Fotos der Elbphilharmonie aus dem Internet und die Pferde aus dem Reitstall zu Hause. No, non e mio cavallo pero me piace. Cavallo: amore. Si. Toni möchte mein Essen bezahlen und ich tue so, als wenn ich nicht verstehe. Er holt den Kellner zur Hilfe, der Englisch kann. Als ich versuche abzulehnen, wird Toni böse und seine Augen schwarz. Ich sage schnell zu und bedanke mich vielfach. Wir werden Facebook Freunde - für den Tag, wenn Toni in in Hamburg ist und ich ihn einlade. Er begleitet mich noch zum Bahnhof. Ich fand die Begegnung teilweise anstrengend, aber andererseits ist die Zeit schnell vergangen und außerdem scheint Toni sehr zufrieden zu sein, mich getroffen zu haben, das freut mich dann auch.
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