Satellite
Show on map
  • Day 34–36

    Shkoder

    March 2 in Albania ⋅ ⛅ 16 °C

    Nach der Grenze verteilt der Busschaffner die zuvor eingesammelten Pässe. Ganz pragmatisch geht er den Stapel durch und ruft jeden Namen auf. Sarola (mit scharfem S) - hier!

    Der Bus kämpft sich durch das Gebirge und dann sind wir im Flachland in Küstennähe - und plötzlich ist das Grün wieder da. Hallo Palmen, Hallo Zitrus- und Olivenbäume!
    Außerdem jede Menge Nutztiere, vor allem Hühner, so viele Hühner. Jedes Haus scheint seine eigene Eierquelle im Garten zu haben.

    Shkodra City Center hat nach dem letzten beiden Städten ein wenig Kleinstadt Flair, finde ich ganz angenehm. Was mir schon auf meinem Marsch in Richtung Hostel auffällt: es sind super viele mit dem Rad unterwegs. Später lese ich, dass es zu Zeiten des Kommunismus das einzige Fortbewegungsmittel war und gerade die alten Leute nutzen es auch heute noch ganz gerne, insbesondere als Transportmittel: an jeder Seite des Lenkers zwei Plastiktüten mit den Einkäufen und ab geht’s.

    Das Hostel ist super interessant eingerichtet - nicht gerade mein Stil, aber man merkt, dass jemand seinen persönlichen Geschmack hier eingebracht und nicht für die Besucher dekoriert hat. Die Besitzerin des „mi casa es tu casa“ hat zwar einen Brief über die Entstehungsgeschichte hinterlassen, aber ist zur Zeit gar nicht da. Stattdessen gibt es diverse Leute, die da arbeiten (für Geld oder gegen Übernachtung), aber an Gästen ist außer mir nur ein schottisches Paar da, welche ich allerdings nur einmal 5 min sehe. In meinen Schlafsaal bin ich die erste Nacht alleine und die zweite Nacht hab ich Besuch von der Katze des Hauses.

    Ich wollte eigentlich nur einen Tag bleiben und dann mit dem Nachtbus weiter, aber der online Verkauf wird beendet, bevor ich mich entschieden habe, ob ich das Ticket wirklich kaufe. Ich möchte nicht nachts um halb 11 an einer Straßenecke auf einen Fernbus warten, von dem ich nichtmal weiß, ob er mich mitnimmt und kaufe deswegen ein Ticket für den darauf folgenden Nachmittag. Dennoch ist mir die Zeit in Shkodra zu kurz, um einen Ausflug nach Theth für eine größere Wanderung zu machen, zumal ich mir inzwischen ziemlich sicher bin, dass ich hier in die Gegend nochmal kommen möchte.

    Am ersten Nachmittag schaue ich mir die Innenstadt an, insbesondere die Fußgǎngerzone ist recht nett hergerichtet und am Samstagabend auch gut belebt, aber trotzdem beschaulich - keine Partystadt. Selbst rund ums Fußballstadion kurz vor Anpfiff geht es gesittet zu, die Leute gehen neben, vor und zwischen den rollenden Autos und das klappt alles reibungslos.

    Am nächsten Tag leihe ich ein Fahrrad im Hostel aus, weil ich zur alten osmanischen Brücke fahren möchte. Ich komme erst spät los, weil es vormittags noch regnet, und dann muss ich nochmal umkehren, weil das erste Rad wirklich kaum fahrbar ist. Und dann mittenrein ins Chaos, im ersten Kreisverkehr weiß ich gar nicht, wie es alles funktioniert und fahre also einfach drauf los - ich glaube genau so funktioniert es auch. Am Stadtrand auf einmal ein Mulifohlen, mitten auf der Straße ohne Strick oder so. Dann sehe ich die Mutterstute, die ist angebunden und das Fohlen wird also auch an Ort und Stelle bleiben. Es wird ländlicher und spannender, auf dem Gehweg treibt jemand einen mächtigen schwarzen Ochsen an eine Art Langzügel vor sich her. Ich will nicht immer Fotos machen, weil ich es unhöflich finde; ich will auch nicht immer so glotzen, aber letzteres klappt wohl nicht immer.

    Dass die Brücke toll aussieht, hatte ich schon vorher auf Fotos gesehen, aber dass es so schönes klares Wasser gibt, überrascht und begeistert mich. Ein sehr netter Ort, den auch eine Handvoll Einheimische für ihren „Sonntagsspaziergang“ nutzen.

    Auf dem Rückweg will ich auf der anderen Seite vom Fluss fahren und weiche von meinem Komoot Track ab.
    Da ist doch ein Weg, das sehe ich ja auf der Karte! Es wird noch ländlicher und die einzelnen Kühe, die sonst manchmal im eingezäunten Vorgarten oder klassisch am Pflock mit Strick gehalten wurden, stehen hier mit Glocke um den Hals einfach irgendwo rum. Schafe und Ziegen in kleinen Herden haben aber immer einen Hirten dabei. Ein Bauer und seine Frau kommen auf der Pferdekutsche entgegen. Zwischen den ganzen Hütten immer mal eine größere Residenz, blickdicht abgeschottet hinter meterhohem Zaun. Und jede Menge Kinder auf den Straßen. Die mag ich, sie glotzen mich genauso an wie ich Albanien anglotze. Manche rufen „Hellu!“ und winken (ich auch), manche sind auch mit dem Rad unterwegs und überholen mich, um dann stehen zu bleiben, damit ich sie wieder überhole usw.. Einmal habe ich sogar den Eindruck, dass ich angekündigt werde in der Nachbarschaft. Der Weg wird immer schlechter und ich muss schieben. Es wird noch schlechter und ich muss auf den Trampelpfad ausweichen, der sich neben dem Weg gebildet hat, nachdem die eigentliche Straße vom Fluss übernommen worden zu sein scheint. Ich denke nicht, dass hier noch Autos fahren können. Das sah auf der Karte anders aus! Ich muss das Fahrrad stellenweise tragen, aber ich kann jetzt halt nicht umkehren und den gleichen Weg zurück fahren und nochmal allen Hellu! zurufen. Irgendwann geht es nochmal halb über eine Müllkippe rüber und dann bin ich endlich wieder auf einer normalen asphaltierten Straße.

    Ich fahre wieder nach Shkodër rein und am Kastell vorbei. Das will ich mir morgen ansehen, erstmal möchte ich am Ufer des See entlang in den Ort Shiroka fahren und vielleicht noch bis nach Montenegro, es soll einen kleine Weg über die Grenze ohne richtigen Grenzübergang geben, habe ich zuerst auf Komoot gefunden. Ich hole mir noch ein Picknick (Kekse und Eiskaffee), aber bevor ich überhaupt das Ufer des Sees erreiche gibt es einen heftigen Regenguss. Unter dem Dach einer Tankstelle finde ich Schutz, nehme meine Kekse aus dem Rucksack und packe sie direkt wieder weg, weil ich von einem Hund angebettelt werde - ich mag ihm keinen Keks geben, weil ich denke, dass es nicht gesund für ihn ist (was dumm ist, die fressen großteils, was sie im Müll finden). Während ich noch mit dem Hund diskutiere, kommt ein Albaner auf dem Rad, der auch vor dem Regen Schutz sucht und haut raus „Ist dein Hund, ne?“ Er will mir nicht so richtig verraten, wie lange und wo in Deutschland er gelebt hat, aber er spricht ziemlich gut deutsch und wir plaudern eine Weile. Als der Regen weniger wird, fahren wir zusammen zurück in die Innenstadt und er zeigt mir die guten Wege (gibt einige neu ausgebaute Radstreifen) sowie den richtigen Style (im Kreisverkehr gegen den Strom). Als ich im Hostel bin, scheint wieder die Sonne, aber ich habe jetzt keine Lust mehr nochmal mit dem Rad rauszufahren.

    Abends gehe ich essen, nachdem ich in den letzten Tagen 500g Spaghetti gegessen hatte und jetzt wirklich mal wieder was anderes wollte. Es gibt einen großen Salat, ein mit Cheddar gefülltes Pljeskavica vom Grill und Kartoffeln. Danach bin ich kugelrund und zufrieden, gehe nach Hause und schnarche mit der Katze um die Wette.

    Ich habe noch einen halben Tag in Shkodra und heute hat das Museum „Site of Witness und Memory“ auch wieder auf. In dem ehemaligen Gefängnis befindet sich im vorderen Teil eine Ausstellung über die kommunistische Ära, die Zerstörung der Kirchen und Moscheen, die Opfer des kommunistischen Regime und die wie es gelang, das Regime zu stürzen. Im hinteren Teil sind Briefe und persönliche Gegenstände von Opfern und schließlich die Original Zellen zu sehen. Es handelt sich Zellen für Untersuchungshaft und auch der Verhörraum mit Folterinstrumenten sind zu sehen. Es ist bedrückend und ich freue mich, dass danach eine albanische Schulklasse die Räume betritt. Sie verhalten sich wie Teenager es eben tun, sie sind laut und kauen Kaugummi und sie werden’s nicht vergessen, was sie hier sehen und fühlen.

    Danach mache ich mich auf den Weg zum Kastell. Mir geht’s psychisch nicht so top. Zuerst hatte ich morgens einen Bericht von jemandem gelesen, der gerade gestern gar nicht so weit von mir entfernt mit dem Rad unterwegs war und viel bedeutendere Begegnungen gemacht hat. Dann dieses Museum und das Wissen, dass Terror und Unterdrückung anderswo noch nicht Vergangenheit ist. Und ich? Mache hier einfach nur Urlaub, ohne Konzept, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen, ohne eine Hilfe für irgendjemanden zu sein. Ich weiß zwar, dass es auch in Ordnung ist, etwas einfach nur zum persönlichen Vergnügen zu tun, wenn’s niemandem schadet. Und ich spüre auch, dass die Reise mir sehr viel gebracht hat, eine Art (Ur-)Vertrauen (wieder) zu bekommen. Aber wenn das Gefühl der Nutzlosigkeit einschlägt, muss ich aufpassen, dass es nicht alles andere überdeckt.
    Oben am Kastell ist es leichter, auf andere Gedanken zu kommen. Ich dachte, es würde sich nur wegen der Aussicht lohnen, aber finde es auch so sehr nett, ein relativ großes Gelände mit Ruinen und dazwischen wildes Grün. Unten im Souvenirladen kaufe ich eine Ansichtskarte für meine ehemalige Therapeutin.

    Ich muss zum Bus und hatte mich schon gefragt, wie alles klappt, da es keinen Busbahnhof gibt und einfach nur eine Position an der Straße angegeben war, und es ist sehr gut organisiert: es steht einer da, der gut englisch spricht und alle einweist und in den richtigen Bus schickt. Mein Bus hat Verspätung und ich fotografiere für 10 min alle auf meiner Straßenseite vorbei fahrenden Radler. Ist eine nette Sammlung zusammen gekommen.
    Read more