Amstetten

Eine Joggerin Anfang sechzig, mit strahlend grüner Jacke, läuft den Weg hinunter an uns vorbei. Nach wenigen Metern dreht sie sich um.
"Wo geht's denn ihr hin?", ruft sie uns nach. Mama und ich bleiben stehen.
"Nach Santiago", sage ich.
"Also, sie, ich nicht", fügt Mama hinzu und deutet dabei auf mich.
"Das wollte ich auch immer Mal machen!", sagt die Frau begeistert. "Von Wolfsthal weggehen, durch ganz Österreich, bis Santiago. Und wo geht's heute hin?"
"Nach Wallsee", sage ich und zeige ihr die Karte im Reiseführer, die sie interessiert studiert.
Die nächsten Minuten verbringt die Frau damit, uns den Weg genauer zu erklären, den sie scheinbar sehr gut kennt. Im Anschluss unterhalten sich Mama und sie noch über den Jerusalemweg und weitere Pilgerwege in Österreich, die sie beide schon gegangen sind. Als wir uns schließlich voneinander verabschieden, sind wir bereits per du und die Frau, Theresia, ist ein wenig wehmütig. "Ich wollte das auch immer machen", wiederholt sie. "Aber jetzt hab ich die Enkelkinder..."
"Wer weiß, irgendwann", sagt Mama.
Wir umarmen uns und die Frau läuft weiter den Feldweg hinunter.
Mama und ich setzen uns ebenfalls wieder in Bewegung, in die entgegengesetzte Richtung. Wir kommen zunächst durch ein kleines Waldstück, bevor wir anschließend zwei größere Straßen queren.
Ich bin gerade dabei, die Begegnung mit Theresia aus dem Gedächtnis festzuhalten, um sie später niederzuschreiben, als sich hinter uns schnelle Schritte nähern.
"Da hat mir mein Herz g'sagt, ich hab noch was vergessen!", ruft Theresia und verlangsamt neben uns ihre Schritte. "Wenn's euch Recht ist, geh' ich noch ein Stückerl mit euch. Und könnt ' ich vielleicht deine Nummer haben?", fragt sie mich.
Ich strahle. "Natürlich!"
"Und wenn ihr heute Abend irgendwo stranden solltet, spiel' ich gerne Taxi. Ruft's mich an", sagt sie.
Wir plaudern noch eine ganze Weile, während sie uns ein Stück auf dem Jakobsweg begleitet. Nach einer Unterführung verabschiedet sie sich schließlich erneut. "Man sieht sich immer zweimal im Leben!", sagt sie.
Theresias Energie ist so positiv, dass sie uns noch den Rest der Etappe trägt.Read more