Satellite
Show on map
  • Weltoffenheit & Herzlichkeit erfahren

    April 3, 2022 in Nepal ⋅ ⛅ 20 °C

    Das Leben auf der Teefarm ist ein einfaches. Es gibt fließend Wasser von einer nahegelegenen Quelle (entsprechend kalt und erfrischend ist das Duschen). Es gibt eine Stromversorgung, die ist allerdings immer wieder von Ausfällen geprägt. Neben Licht und de Aufladen der Handys wird allerdings nur wenig Elektrizität benötigt und das kleine Solarmodul auf dem Dach garantiert zumeist Licht durch eine Glühbirne in der Küche. Fürs Kochen gibt es einen Lehmofen, der so etwas wie den Mittelpunkt des Gemeinschaftshauses darstellt. Eine Waschmaschine oder einen Kühlschrank gibt es nicht. Die Kulungs haben kein Fahrzeug. Weder ein Moped, ein Fahrrad oder gar ein Auto. Letzteres hätte auf den holprigen Erdstraßen sowieso nur eine kurze Lebensdauer. Das Hauptverkehrsmittel hier in Arubote ist das Moped gefolgt von Sammeltaxis (Jeeps). Der Schulweg in die nächstgelegene Dorfschule wurde sowohl von Deepak als auch von seinem Sohn entsprechend zu Fuß zurückgelegt. Ihr Sohn, mittlerweile 16 Jahre alt, besucht derzeit die Schule im 600 km entfernten Kathmandu. Etwa zweimal pro Jahr würden die Eltern ihn besuchen, etwa drei- bis viermal könne er zu ihnen kommen. Es ist unklar, ob ihr Sohn die Arbeit auf der Teefarm eines Tages fortsetzen wird. Er interessiere sich für den IT-Bereich. Bildung ist in Nepal allerdings eine teure Angelegenheit: Bereits in der Pflichtschule müssen die Eltern die verpflichtende Schuluniform für ihre Kinder selbst bezahlen. Das zweijährige Masterstudium von Deepaks Nichte Dipa, kostet rund € 3.700,- (in Österreich kostet es, wenn man in Mindestzeit studiert, gerade mal € 80,-) und das bei einem täglichen Durchschnittslohn von weniger als € 3,- pro Tag (Stand 2018). Zudem erschwert das vom Hinduismus geprägte Kastensystem die (sozialen) Aufstiegschancen.

    Nepal hat geografisch eine schwierige Lage. Im Westen, Süden und Osten vom Nachbarland Indien begrenzt, bildet im Norden das Himalaya-Gebirge die Grenze zum noch mächtigeren China. Beide Länder ringen um Einfluss, wie sich vielleicht auch an der derzeitigen politischen Situation widerspiegeln mag, wo kommunistische Parteien mit starker hinduistischer kultureller Prägung die Regierung bilden.
    Die Entwicklung des Landes ist eine schwierige Aufgabe. Ereignisse wie das Erdbeben 2015 oder die Covid19-Pandemie treffen ein armes Land wie Nepal deutlich stärker als wohlhabende Länder in Europa. Und so machen sich die Menschen des Landes auf die Suche nach Perspektiven und suchen ihr Glück im Ausland und arbeiten dabei teils unter widrigsten und lebensbedrohlichen Bedingungen beim Bau der Fußballanlagen in Katar oder wie eine Verwandte und Nachbarin der Familie als Haushaltshilfe in Zypern (Monatsgehalt für eine 6-Tage-Woche und 48 Wochenstunden € 315,-). Und auch gut ausgebildete Nepalesen verlassen oftmals das Land.

    Kaushila und Deepak sind mit dem Konzept von Freizeit nicht vertraut. Sie arbeiten sieben Tage die Woche. Lediglich wenn Treffen oder Termine in Phikkal sind, verlässt Deepak den Hof und Kaushila geht einmal pro Woche (Donnerstags) zum Markt, wo wir sie auch einmal begleiten, um den Wocheneinkauf zu erledigen.
    Kaushila hat einmal in einem Büro gearbeitet, doch sie bevorzugt das Leben auf der Farm. Sie findet es schön, dass sie das was sie tut für sich selbst tut und dass sie damit eigenverantwortlich und selbstständig ihr Leben bestreiten können.

    Wir sind immer wieder erstaunt darüber, wie es Kaushila in ihren Erzählungen gelingt die Anstrengungen und Einfachheit ihres Lebens, wie auch das Glück (für sich selbst und ihr Leben selbstständig sorgen zu können) und die Zufriedenheit damit, in einer schönen, ehrlichen und klaren Balance zum Ausdruck bringt.

    Kaushila und Deepak gehören zur Volksgruppe der Kirat (etwa 1 Millionen Menschen in Nepal). Neben der dominierenden Hindu-Religionen (etwa 80% der nepalesischen Bevölkerung) und dem (tibetischen) Buddhismus gibt es eine Vielzahl weiterer religiöser Traditionen. Ihr Glaube sei geprägt von einer Naturreligion und der Ahnenverehrung. Der wichtigste Leitsatz lautet die Natur bzw. die Erde zu schützen. Als wesentliches Ritual im Alltag gilt das Anzünden des heiligen Feuers am Morgen und am Abend. Für uns scheint das irgendwie weit weg, aber durch den Lehmofen in der Küche und das selbstständige Kochen der Mahlzeiten hat das Feuer im Leben von Kaushila und Deepak einen ganz anderen Stellenwert. Außerdem betont Deepak, dass Frauen in ihrer Kultur den Männern gleichgestellt sind.
    Einen sehr guten Eindruck von der Lebenshaltung ihrer Religion gibt auch eine Aussage Deepaks als wir uns über ihr Haus unterhalten. Er betont: „Das ist nicht unser Haus. Das Haus gehört der Welt.“
    Und so wie die Kulungs ihr Leben gestalten, ist nichts zutreffender als das. Seit 9 Jahren haben sie ihre Türen für bereits mehr als 800 Menschen aus der ganzen Welt geöffnet. „Die ganze Welt war bereits bei den Kulungs“, hat Claudia treffend dazu gesagt und sie führen uns auf eine wunderbare Weise vor Augen, was Weltoffenheit meinen kann.
    In einer sehr ländlichen und doch abgeschiedenen Region vom Zentrum des Landes lernen wir zwei so offene, herzliche und fürsorgliche Menschen kennen, die einen so klaren und ehrlichen Blick auf sich selbst, ihr Leben, ihr Land und die Welt haben, dass wir nur so staunen und sehr berührt sind.

    Dabei sind wir auch immer wieder überrascht von der Freundlichkeit und Herzlichkeit mit der wir auch in der Umgebung wahrgenommen werden. So zum Beispiel als wir an einem freien Tag eine Wanderung in ein anderes Dorf machten und uns viele Menschen mit „Hello!“ und einem strahlend-lachenden Gesicht willkommen heißten. Als wir gerade durch ein Dorf spazierten, hörten wir noch das Wort „Tourist“ und sahen lächelnde Gesichter, die uns zu sich winkten und nur wenige Augenblicke später standen wir im Innenhof der Familie und es wurden zwei Plastikstühle für uns gebracht und hauseigener Schwarztee für uns serviert. Rund um uns scharten sich in wenigen Minuten 8, 9, 10 weitere Familienmitglieder und obwohl wir nur wenige (englische) Worte mit einem 9-jährigen Mädchen austauschen konnten, wurden wir sehr herzlich empfangen und besonders von der (vermutlich) Großmutter der Familie angestrahlt und bekamen viele Erzählungen auf Nepali zu hören. :-D

    Und erneut dürfen wir in einem uns völlig fremden Land eine wunderbare Art der Gastfreundschaft und Herzlichkeit erleben. Dürfen uns wohl, aufgenommen und sicher fühlen in der Fremde, die seit Monaten und frei gewählt unser Leben ist. Erfahrungen, die wir auch bereits im Oman, in Rumänien, in Georgien, … machen durften. Und dabei fragen wir uns, wie häufig das wohl in Österreich passiert, wenn ein Fremder oder eine Fremde in einem Dorf die Straße entlang geht. Wer würde grüßen? Wer würde ein einfaches „Hallo“ sagen? Oder wer würde den Menschen gar zu sich hinein bitten auf einen Kaffee oder einen Tee?
    Read more