• Wie aus einer anderen Zeit …

    9 juli, Indonesië ⋅ ☀️ 26 °C

    Wart ihr schon einmal in einem Dorf, in dem gefühlt die Zeit stehen geblieben ist? Wir hatten heute die Möglichkeit das sogenannte „Sade Village“ auf Lombok zu besichtigen – dem Zuhause der Sasak, der Urbevölkerung der Insel. Seit mehr als 15 Generationen leben die Menschen hier in Häusern aus Bambus, Holz und Palmblättern. Nicht zur Show, sondern weil es ihr realer Alltag ist ihre Traditionen zu leben.

    Bereits am Eingang wird uns ein Guide zugewiesen, der uns den gesamten Tag durch das Dorf begleitet und uns auch die Möglichkeit bietet, einen Blick in sein Haus werfen zu dürfen. Er erklärt uns wahnsinnig viel über die Bauweise der Häuser, deren spitze Dächer aus Alang-Alang-Gras bestehen. Für jede Familie wird ein Haus gebaut – sobald man heiratet und ein Kind erwartet, packt das ganze Dorf mit an und erschafft für die neu gegründete Familie ein Zuhause. Auffallend ist hier nicht nur die für uns befremdliche Größe (teilweise leben Eltern, Großeltern sowie das Paar mit Kindern in einem Raum + „Vorflur“, sondern auch der sehr glänzende Boden und die Treppe zum gemeinsamen Raum. Das Geheimnis? Ein Mix aus Lehm und Kuhmist. Klingt schräg, ist aber tatsächlich sehr wirksam, denn so wird der Boden härter und Insekten haben keine Chance. Gerochen haben wir davon nichts, das soll wohl nur am ersten Tag des Auftragens etwas penetranter sein. 🫣

    Während wir durch das Dorf spazierten, sahen wir zahlreiche Frauen, die sogenannte Ikat-Textilien anfertigten, die hier in stundenlanger Arbeit gewebt werden. Für die Sasak ist das mehr als Handwerk: Jedes Mädchen muss das Weben lernen, bevor es heiraten darf. Ohne Webstuhl – keine Hochzeit. Eine sehr freundliche Dame ließ uns direkt an ihren Webstuhl und wir konnten unsere Künste erproben. In mir sah sie angeblich direkt ein Naturtalent. 😅Außerdem wurden wir in den traditionellen Stoffen eingekleidet – ein Anblick an den ich mich kurz gewöhnen musste. 🫣

    Neben der Voraussetzung als Frau weben zu können, gibt es auch sonst ziemlich spezielle Heiratsbräuche: Wer eine Frau heiraten möchte, „entführt“ sie kurzerhand aus dem eigenen Zuhause, während ihre Eltern schlafen. Nur wenn der Schwiegersohn in spe dabei nicht erwischt wird, darf nach der „Entführung“ die Hochzeit offiziell verkündet werden und das ganze Dorf feiert mit.

    Doch so faszinierend die Traditionen im „Sade Village“ auch sind, haben sie wie so oft auch ihre Schattenseiten. Vor allem Frauen stehen unter großem gesellschaftlichem Druck: Wer nicht weben kann, gilt als nicht heiratsfähig – ein sehr veraltetes Rollenbild. Auch das Ritual der „Brautentführung“ wirkt zuerst romantisch – doch beim genauen Hinsehen bedeutet dies in der Realität aber oft, dass Mädchen sehr jung verheiratet werden und kaum Mitspracherecht haben. Hinzu kommt, dass viele Kinder im Dorf als kleine Guides auftreten, um das Familieneinkommen zu unterstützen – Zeit in der sie eigentlich Schulen besuchen sollten. Ganz grundsätzlich ist in den meisten Fällen nur den Jungs gestattet weiterführende Schulen zu besuchen. Für Mädchen gibt es Bildung maximal bis zur 5. Klasse – danach müssen sie die Familie unterstützen und werden im Alter von 15 - 18 Jahren verheiratet. Auf Nachfrage erhielten wir lediglich die Antwort, dass es eben die Tradition sei und angeblich vermehrt Mädchen erst nach Erreichen der Volljährigkeit heiraten. Informationen, die uns mit Bauchschmerzen zurücklassen. Übrigens dürfen Frauen hier auch nur verhüten, wenn sie bereits mindestens ein Kind zur Welt gebracht haben.

    Nachdem wir bereits wieder am großen Platz am Eingang des Dorfes ankamen, sprachen wir noch eine ganze Weile mit unserem Guide zum Zugang zur Bildung, Gleichberechtigung von Jungen und Mädchen, aber auch die Tatsache, dass Männer zwar Frauen von außen heiraten dürfen, diese dann aber mit ins Dorf ziehen müssen – Frauen sich jedoch gegen ihre Familie entscheiden müssen, wenn sie einen Mann außerhalb des Dorfes heiraten wollen – ein zurück gibt es nicht. Bei unserem Besuch spürten wir so oft Unbehagen und auf der anderen Seite respektierten wir selbstverständlich die Traditionen des Dorfes und durften jederzeit unsere neugierigen Fragen stellen. Für uns persönlich wurde es dann nochmal ganz besonders interessant, als ein Reisebus mit ca. 100 Indonesiern von der Insel Java vor dem Dorf hielt und alle Menschen auf den Platz strömten. Parallel führten einige Dorfbewohner unter trommelnder Musik traditionelle Kämpfe vor – doch dafür interessierte sich ehrlich gesagt niemand mehr als wir entdeckt wurden. Unter 100 Indonesiern waren wir plötzlich die einzigen Europäer und wie uns dann erklärt wurde, hatten die meisten von ihnen noch nie Menschen mit heller Hautfarbe in echt gesehen. Ständig wurden wir gefragt, ob wir für Familienfotos zur Verfügung stehen und ehrlich gesagt, kamen wir auch gar nicht so richtig Drumherum, weil gefühlt alle bereits ihre Handys gezückt hatten. Also lächelten wir in unzähligen Konstellationen in die Kamera bis unser Guide zur Hilfe kam und uns in einen ruhigeren Bereich des Dorfes brachte. Er entschuldigte sich vielmals für die Umstände und erklärte uns, dass er die europäischen Besucher immer rauslotst bevor größere andere Gruppen kommen, da es jedesmal so abläuft wie bei uns heute. Natürlich war diese Situation total gewöhnungsbedürftig, aber wir haben es mit Humor genommen und bereits im Hinterkopf vermerkt, da auch die eher untouristische Insel Java noch auf unserer Reiseliste steht.
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