• Das große End-Resume

    August 20, 2023 in Germany ⋅ ☀️ 18 °C

    End-Resume

    # Vorbereiten
    Ich war gut vorbereitet. Sowohl inhaltlich, als auch körperlich.
    Zur körperlichen Vorbereitung: mir hat es sehr geholfen, dass wir vorher in den Alpen wandern waren, denn dadurch haben sich meine Muskeln und Sehnen in den Unterschenkeln schon für das Bergauf- und Bergabgehen gedehnt.
    Was hätte man ansonsten noch tun können? An eine Steilküste fahren und mit schwerem Rucksack von Stein zu Stein hüpfen, das ganze 8 Stunden lang. Oder eine große Sanddüne mit schwerem Rucksack hochlaufen. Oder einbeinige Kniebeugen (auch als Balance-Übung). Muss man aber auch nicht machen…

    # Alleine Gehen
    Ich habe mich ja ganz bewusst dazu entschlossen, das Abenteuer alleine anzutreten. Ich bin mir – das ist bei mir über's Älterwerden gekommen – selbst genug. So gern ich auch andere Menschen mag und so wichtig sie mir auch sind.
    Es ist einfach mal schön, keine anderen Stimmen zu hören und ganz für sich allein zu sein und die Stille zu hören. Darüber hinaus war es mir wichtig, einmal keine Rücksicht nehmen, keine Verantwortung übernehmen zu müssen. Sich einmal nicht nach anderen richten zu müssen. Und auch niemanden motivieren zu müssen, nur mich selbst.
    Aber was ich nicht im Blick hatte, ist, dass man allein auch den vollen Fokus auf "das eigene Elend"hat. Das ist mir vor allem bei den letzten Etappen aufgefallen, die technisch oder körperlich nicht besonders herausfordernd waren (die Etappen 2-4, wenn man vom Norden kommt). Aber die geistig sehr ermüdend sind, weil sie nur über Geröll und Fels gehen. Geröll in allen Formen, kleine, lose Steine, hoch oder runter rutschen, über große Steine klettern, über mittlere Steine hüpfen – all das ist für eine gewisse Zeit ganz nett aber nicht für mehrere Stunden. Und allein ist man durch kein Gespräch abgelenkt. Da gibt es niemanden, der die eigene Unterstützung braucht oder der einen unterstützen kann.
    Vielleicht würde ich diese Etappen mit diesem Wissen besser überstehen, ohne dieses haben sie meiner allgemeinen Begeisterung einen ziemlichen Dämpfer gegeben.

    # Was hat am meisten gestört/belastet?
    Am meisten gestört (auf die Dauer)hat mich, dass man quasi auf der staubigen, trockenen Erde lebt. Mit der Zeit ist alles sehr staubig.
    Das Wetter beeinflusst ganz wesentlichen den Trip. Wenn sich mit anderen über die GR20-Erlebnisse austauscht, kommt das sehr stark heraus. Auch die Schwierigkeit von Etappen hängt extrem von Hitze und Wind ab.
    Ich hatte teilweise extrem starken Wind. Der hat nicht nur am Zelt bzw. an den Wanderern gezerrt, sondern auch an den Nerven. Am schlimmsten war aber die Hitze vom ersten Tag. Hätte die angehalten, wäre der Trip eine extreme Belastung gewesen. Ich habe von anderen gehört, die zur Zeit dieser Hitze in den felsigen Etappen des Nordens unterwegs waren: sie worden zwischen den Steinen quasi gebacken.
    Etwas bedauerlich war, dass es teils sehr wenig internationale Mit-Abenteurer und dadurch wenig Austauschmöglichkeiten gab. Die meisten Franzosen haben sich gescheut, Englisch zu sprechen. Und für eine tiefer gehende Unterhaltung reicht mein Französisch nicht aus.

    # Neutral
    Die sehr einfachen sanitären Anlagen (in der Regel nur kalte Duschen, Trockenklos – zu beidem entweder weit zu laufen oder "Geruchsnähe"), haben mir überraschend wenig aus gemacht. Es war toll, zwischendurch im Hotel den Luxus eines "Ensuite" Bades zu haben aber viel Wesentlicher war es, einmal seinen Rucksack in einer sauberen Umgebung auspacken zu können und auch mal barfuß gehen zu können (geht im felsigen Gelände nicht).

    # Positiv
    Am meisten bewegt hat mich die Stille unterwegs, die tollen Plätze abseits der Menge, an denen ich mein Zelt aufstellen konnte und natürlich auch die Schönheit der Natur.
    Ich habe sehr viele sehr nette Leute kennengelernt und mit den beiden französischen Pärchen, mit denen ich zeitweise unterwegs war, und auch mit Ariel, der mich auf meinen letzten Kilometern begleitet und nach Calvi gefahren hat, sehr interessante, tiefgründige Gespräche geführt. Auch die Hilfsbereitschaft bzgl. meiner Schlafsituation hat mich berührt: Erst der Gardien, dann Niki und schließlich Thorsten.

    # Ausrüstung
    Ich würde zurückblickend auf einen eigenen Kocher und Trockengerichte verzichten. Das spart locker 600-750g Gewicht. Man kann in jedem Refuge die Kochstellen und Kocher verwenden (um sich z.B. morgens einen Kaffee zu kochen oder ein Tabouleh für unterwegs). Und man kann auch jederzeit seine Vorräte aufstocken. Entweder mit korsischer Salami und Käse oder auch mit Müsli-Riegeln oder sonstigen Reserven.
    Auch auf das eigene Zelt und eine komfortable Isomatte (in den Leihzelten gibt es immer eine einfache Isomatte, eine einfach aufblasbare Luftmatratze zusätzlich reicht dicke aus) könnte man verzichten. Das spart wahrscheinlich auch noch einmal 1,6 kg also zusammen schon über 2 kg. Das spürt man auf die Dauer.
    Kleinere Anpassungen:
    Ansonsten hat alles gepasst, nur bei der Shorts würde ich darauf achten, dass diese elastische Einsätze hat, so das hohe Schritte einfacher sind.
    Anstelle von Outdooractive (war nicht zuverlässig in Bezug auf die Offline-Karten) würde ich Footpath verwenden.
    Wahrscheinlich kann man auf das Solarpanel verzichten und abends die Powerbank am immer vorhandenen Strom laden. 10.000 mAh reichen auch aus, um zur Not mal einen Tag ohne neue Ladung zu überstehen.

    # Körper und Fitness
    Ich hätte mehr körperliche Erschöpfung und Schmerzen erwartet. Morgens hatte ich eigentlich nie nennenswerte Schmerzen oder gar Muskelkater. Abends war ich zwar immer müde und bin auch gerne um 21:00 Uhr in den Schlafsack gekrabbelt – aber nicht total fertig sondern im positiven Sinne erschöpft.
    Über die Zeit habe ich auch gemerkt, dass ich wesentlich besser über den Tag komme, wenn ich jede Stunde eine Pause von 5-10 Minuten mache, in der ich auch meinen Rucksack abnehme. Hätte ich schon früher damit angefangen, wäre ich wahrscheinlich auch um die nachhaltigen Druckstellen an den Hüften herum gekommen. Wahrscheinlich gilt das gleiche auch für die Schuhe: hier habe ich Druckstellen am Spann (ich hatte nie Blasen) und eine kurze Entlastung einmal die Stunde wäre auch hier gut gewesen. Abends fühlte ich ich mich (nach etwa 6 Tagen auf dem Trek) nach der Dusche immer topfit.
    Ich habe, obwohl ich immer so viel gegessen habe, wie ich wollte (was ich normalerweise nie tue), ca. 4 kg abgenommen (was viel für mich ist, 84 kg habe ich wahrscheinlich das letzte mal gewogen, als ich Schüler war). Gleichzeitig habe ich Muskeln aufgebaut und meinen Kreislauf gestärkt. Das merke ich im täglichen, wenn ich drauf achte: Beim Radfahren kann ich jetzt locker 1-2 km/h mehr fahren, ohne dass es mich anstrengt. Und ich messe, dass man Ruhepuls niedriger ist und auch mein Puls beim Schlafen nun unter 50 BPM geht (47/48, vorher gelegentlich 56/57).
    Erfreulicherweise habe ich es jetzt schon zwei Wochen geschafft, das Gewicht und ein erhöhtes Bewegungspensum zu halten. Ich bin gespannt, wie sich das weiterhin auf meinen Fitnesslevel auswirkt.

    # Zielsetzung
    Meine Zielsetzung für dieses Abenteuer war es, den Fokus auf den Moment zu leben. Den nächsten Schritt, im wörtlichen, physischen Sinne, im Fokus zu haben. Das ist voll aufgegangen. Man sieht es auch daran, dass es nur sehr wenig Tage gab, in denen ich meinen Gedanken nachhängen konnte. Das war meistens gar nicht möglich. Zu anspruchsvoll war der (nicht vorhandene) Weg.
    Auch der Wunsch, körperlich an meine Grenzen zu gehen, ist in Erfüllung gegangen. Aber gar nicht so sehr, wie erwartet. Vielmehr ging es auch darum, psychisch mit der Situation (der Eintönigkeit) klar zu kommen. Aber spannend, dass es mir überhaupt nichts ausgemacht hat, tagtäglich die 15 kg zu schultern und damit 1.000 Meter hoch und runter zu gehen. Wie ein gutes Maultier.
    Schließlich hatte ich noch die Idee, dass ich auf dem Trek viele spannende Begegnungen haben, interessante Gespräche führen und emotionale Erlebnisse haben würde. Diese Idee ist auch zu 100% aufgegangen. Besondern spannend fand ich, wie tiefsehende Gespräche ich mit den französischen Pärchen auf Englisch hatte (und insbesondere den Franzosen viel es nicht leicht). Aber vielleicht war es auch gerade die Langsamkeit der Gespräche, die ihnen Tiefe gegeben hat.

    > Kein Kind schreit immer – ehrlich herrlich ein Urlaub ohne schreiende Kleinkinder (klingt fies, hatte ja auch selbst schreiende Kleinkinder, ich weiß)
    > Mein Französisch ist immer besser geworden – toll!
    > Beim Zurückblicken ist mir noch einmal bewusst geworden, wie wesentlich meine Begegnung mit Elise und Ludovic war: Sie haben mit inspiriert, den Genuss in dieses Abenteuer einzubringen.

    Noch mehr Details gibt's auf der Notion-Seite. Hier habe ich meine komplette Packliste, die Etappenplanung und eine Datenbank mit den Refuges, Bergeries und Hotels veröffentlicht und mit Kommentaren versehen (vielleicht wird darauf ja mal eine Community-Projekt).
    https://henemm-gmbh.notion.site/GR20-78196f5f79…
    Read more