Germany
Härtnagel

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Travelers at this place
    • Day 46

      Der ewighungrige Moloch

      May 13, 2021 in Germany ⋅ 🌧 9 °C

      Wir leben in einer Welt, die sich gefühlt immer schnell dreht. Der Grad der (digitalen) Vernetzung, Verflechtung und die Geschwindigkeit nimmt, Jahr um Jahr merklich zu. Virtuelle Räume, die vor wenigen Jahren noch sehr rudimentär waren, gehören in moderneren Kreisen zum Alltag, bieten eine vielzahl von Tools und sind jederzeit und fast überall erzeugbar. Wir als Menschen haben unseren Lebensstil weitgehend daran angepasst. Nicht aber unser Köper und unsere Sinne, die sich in den wenigen Jahren nicht oder kaum merklich verändert haben. Unsere persönliche Ausstattung und unser "Betriebssystem" ist weitgehend dasselbe geblieben und hält dieser Entwicklung in keiner Weise stand, sodass sehr oft eine permanente Überforderung entsteht. Unsere Vorstellungskraft hat ihre Grenzen längst erreicht, weshalb wir in allen Lebensbereichen auf Zahlen und Diagramm, also Vereinfachungen und Abstraktionen zurückgreifen müssen. Viele Konstrukte, die unser Leben massgeblich beeinflussen, existieren längst nicht mehr auf der materiellen Ebene, sondern haben sich als starre Glaubenssätze und Vorstellungen manifestiert, die wir nur noch mit viel Mühe und Not abschütteln und gedanklich durchbrechen können. Der Ebenen der Intuition und des Fühlens, bleibt in diesen zumeist rein rationalen Modellen weitgehen auf der Strecke und führt zu einer Verarmung und Verhärtung unserer Wahrnehmung. Zu einem Kontakt, denn wir intuitiv als nicht vollständig und als weniger erfüllend wahrnehmen. Wir bleiben hilflos zurück und wissen dabei oft gar nicht wirklich, wo der verspürte diffuse Mangel herrührt.

      Die Ressourcen und Menschen die täglich global transportiert werden, die Menge an Daten und Informationen, die Produziert und Verarbeitet werden und auch die Geldflüsse, die im globalen Kontext täglich ihre Bahnen ziehen, liegen inzwischen ausserhalb unserer rationalen Vorstellungskraft. Unsere Märkte, die früher Vereinfachung und Freiheit schaffen wollten, haben sich verselbstständigt und ein eigenes Leben entwickelt. Inzwischen hängen wir an Ihnen, wie an einer Nabelschnur. Wir, ihre einstigen Erschaffer und Meister, sind über die Zeit ganz still und heimlich zu ihren Sklaven geworden. Wir wechseln in immer neu aufkeimender Panik, die mehr und mehr verklemmten Zahnräder dieser gigantischen Maschine, die wir ständig weiter ausbauen, aber deren Zweck wir längst vergessen haben. Eine Beziehung, die sich sich in eine ungesunde existenzielle Abhängigkeit verschoben hat. Wir haben ein gigantisches Monstrum erschaffen, dass ständige und unersättlich nach Nahrung schreit und dessen entfesselte Kraft wir so sehr fürchten, dass wir es auch im Angesicht aller drohenden Konsequenzen emsig und pflichtschuldige immer weiter füttern, in der Hoffnung dadurch zumindest eine kurze Periode der Ruhe zu gewinnen, eine Aufatmen, eine flackernde Illusion von Frieden. Dieser Moloch, den wir einstmals als haltendes Fundament kreiiert und auf dessen Boden wir unsere Lebensträume gebaut haben, knarrt längst unter seinem eigenen Gewicht, rostet und schwankt bei jedem Schritt. Es ist nicht die Frage ob er irgendwann auseinanderbrechen wird, die uns so sehr beschäftigt und antreibt. Es ist die Frage wann er brechen werden. Ein Wettlauf des ewigen Hinauszögerns, mit einem Blutzoll, der stetig steigt. Wir, die Gläubigen dieses grausamen Gottes, hoffen und beten nun einzigmehr darum, dass dieser Preis nicht mehr zu unseren Lebezeiten bezahlt werden muss. Eine Traum, aus welchem die jüngere Generation mehr und mehr erwacht. Wir haben bemerkt, dass wir in einem Bus sitzen, der mit voller Geschwindigkeit auf einen Abgrund zurast. Es wäre dringend notwendig, entweder die Bremse zu drücken, dem Rausch der Geschwindigkeit zu entsagen oder aber die Richtung zu wechseln und die bequeme Strasse gegen einen vielleicht sehr holprigen Feldweg einzutauschen. Doch regt sich Wiederstand bei uns selbst und vielen Mitfahrer/innen, die in ihrer Furcht vor dem drohenden Schmerz, den klaffenden Abgrund ganz einfach ausblenden. Die von der Geschwindigkeit längst Abhängig geworden sind, aber es sich nicht eingestehen wollen.
      Wieder andere sind gelämt von der Angst des Unbekannten, die eine Richtungsänderung mit sich bringen könnte. Sie fürchten sich davor, dass sie ihr Polarstern , dem sie ein ganzes Leben lang gefolgt sind, als Irrlicht entpuppen könnte. Dass sie in ihrem Wirken eine Ruine statt ein gemütliches Zuhause erschaffen haben.

      So lasst uns auf eine Reise gehen:
      Wie könnte ein System aussehen, dessen Grenzen und Innenleben sich gänzlich erfassen und erfühlen lässt? Das sich auch als sinnliche, ganzheitliche Erfahrung erleben lässt? Das nicht unserer Intuition wiederspricht und den Schein birgt, nur von einer Elite verstanden werden zu können, der wir bereitwillig unsere Verantwortung abgeben können? Das einen vollen und befriedigenden Kontakt zulässt, der nicht im Mangel mündet? Das aber auch Schmerz, Wut und Trauer mit sich bringt, neben der der Freude am Leben? Dass uns ermöglicht und ermutigt unseren ganz persönlichen Polarstern zu wählen, in dem wir auch Phasen der orientierungslosigkeit zulassen und uns der Leere hingeben? Was müsste sich verändern damit wir ebendieser Welt ein Stück näher kommen?
      Wir können uns eine vielzahl von Frage stellen um ins tun kommen:
      Wo sehe und spüre ich heute bereits (frei) Räume, in welchen ich dieser neue Welt ein Stück näher kommen kann? Welche Schritte in eine neue Richtung, vermag ich schon heute gehen? Wie sieht der Polarstern aus, dem ich zukünftig folgen möchte und wie kann ich mich nach ihm ausrichten?

      Mehr und mehr können wir dadurch unser Gefühl der Abhängikeit abschütteln und die nötige Distanz gewinnen. Wir lernen die Rolle von Erwachsenen zu übernehmen in dem wir die abgegebene Verantwortung wieder selber aufgreifen. Bis wir es irgendwann vielleicht auch Wagen werden, den ewighungrigen Moloch nicht mehr weiter zu füttern.
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    • Day 68

      Frieden zwischen den Geschlechter

      June 4, 2021 in Germany ⋅ ☁️ 22 °C

      Unsere Villa verwandelt für einmal zu einem Ort der Kunst, Begegnung und Intimität, als Corinna, den Mut aufbringt ihre Erfahrungen des vergangenen Jahres in Form von Bildern aus ihrem Tagebuch in einer Vernissage zu teilen.
      Ein Jahr lang hat sich intensiv mit dem weiblichen Zyklus und ihrer Sexualität auseinandergesetzt, einem Thema, welches mit viel kollektivem Schmerz und Traumata verbunden ist.
      Corinna fühlt und erfährt immer wieder ganz deutlich, welche Gewalt und welchen Missbrauch viele Frauen in unserem heutigen System und durch unserer kulturellen Prägung erdulden müssen und wie sie gebrochen und entkräftet wurden. Wie auch ihr eigenes Selbstbild daran zerbrochen ist und eine Kluft von Zweifel und Selbstverleugnung freilegen hat.
      Es sind tiefe Kerben, die sie an diesem Abend offen vor uns ausgebreitet, unkaschiert und ehrlich. Aber ich spüre auch viel Kraft in Form von Wut und Selbstannahme, die sie durch diesen Prozess mobilisieren konnte.
      Ihre Bilder spiegeln die Verzweiflung, die Hilflosigkeit und Lähmung wieder. Aber auch die den Weg zur Sanftheit im Umgang mit sich selbst und ein tieferes Verstehen ihrer eigenen Natur. Die Reinigung und die damit verbundene Kraft, die aus diesem Prozess entstanden ist. Ganz deutlich zeigt sich in der Reaktion der Besucher auch, dass dieser kollektive Schmerz auch das andere Geschlecht geprägt hat. Scham, Schuld und Schmerz sind deutlich spürbar. Ebenso eine Wut, die sich gegen das eigene Männlichkeit richtet. Diese Form von Gewalt verletzt nicht nur ihr Opfer, sondern sonder hinterlässt auch tiefe Verletzungen in der kollektiven Täterrolle. Was hat dazu geführt, dass ein solches ungesundes Ungleichgewicht entstehen und sich halten konnte? Und noch wichtiger: Gibt es einen Weg auf dem sich sich beide Pole, Mann und Frau, ehrlich und offen begegnen können, ohne vom Schmerz überwältigt zu werden, aber auch ohne ihr Geschlecht dafür zu verleugnen zu müssen?

      Genau damit befasst sich ein Buch, dass mir David-Julian vor einigen Tagen in die Hände gelegt hatte. Bis vor kurzem, war mir nicht bewusst, dass das Thema auch mich, sehr bewegt, dass auch für mich diese Wunde spürbar ist und etwas mit mir und mit meinem Bild von Männern und Frauen auslöst.

      Das besondere an "Wilder Frieden" ist, dass dieses Buch für einmal beide Perspektiven aufzeigt und sich in keinem von beidem in dogmatischen Mass in Verurteilung oder in Verherrlichung verliert oder verbeisst. Das keine starren Opfer und Täterrollen verteilt wird, in der die einen Engel und die andern Dämonen sind. Es ist ein absolut ehrlicher Austausch über Wut, Schmerz, Vorurteile, Ängste, Schwächen und Stärken, Wünsche und die Rollenbilder und Projektionen, welche die beiden Seiten vor der jeweils anderen ausbreiten. Es geht um die Anerkennung und Annahme der Sicht des anderen und auch die Ehrlichkeit und Annahme über jene Seiten des eigenen Geschlechts, die nicht gerne in das Licht des Erkennens gezogen werden, weil sie die eigene Rolle schwächen.

      Für beide Geschlechter gilt es, die eigene Kräfte und Verbindungen zu erkennen und diese zum Wohle beider Seiten einzusetzen und damit keinen Missbrauch zu üben. Das die vorhandenen Unterschiede durch das "gleich machen" keine Erleichterung erfahren können, sondern dies im Gegenteil einen hohen Preis hat. Dass Frauen nicht länger die männlichen Attribute übernehmen müssen, um erfolgreich zu sein und sich als wirksam zu betrachten und dass Sensibilität und das Schützen, Hegen und Pflegen sehr männliche Attribute sein können.

      Tatsächlich ist es so, dass keine der beiden Gruppen nur Privilegien besitzt, sondern durch ihr Rollenbilder im der Gesellschaft auch Vernachlässigung und Schmerz erfahren. Dass ein eigene Haltung, die Wiederstand gegen das andere Geschlecht erzeugt und Unterstützung im eigenen sucht, die derzeitigen Muster reproduziert ohne das ein neues gesundes Gleichgewicht entstehen kann. Und das die Geschlechterbewegung sich für die Bedürfnisse beider Geschlechter einsetzten sollte und nicht ins andere Extrem kippen sollte, wenn wir damit wahrhaftig Frieden finden wollen.
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    You might also know this place by the following names:

    Härtnagel, Hartnagel, Q1642422

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