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Travelers at this place
    • Day 1

      Was lasse ich zurück - Was nehme ich mit

      September 1, 2022 in Germany ⋅ ⛅ 21 °C

      Heute ist Donnerstag, der 1. September 2022. Es ist der erste Tag meines sieben-monatigen Sabbaticals. Sechs davon möchte ich reisen, mich treiben lassen, völlig frei fühlen. Frei von Pflichten. Frei von Zwängen. Frei von Plänen. Frei von Briefkästen (ganz überwiegend finde ich dort sowieso nur Werbung, Rechnungen und Mahnungen - Memo an mich selbst für nach dem Sabbatical: Rechnungen bezahlen!). Frei von Nachrichten. Waren Nachrichten früher bereits so dystopisch? Krieg in Europa, Pandemie, Inflation. Das Wort Krise kann man mit einem nahezu beliebigen Substantiv seiner Wahl ergänzen und hat gute Chancen, den Nerv der Zeit zu treffen. Sei es Klima-, Migration-, Wirtschaft-, Energie- und seit neuestem auch Wasser. Gibt es bald Räumschilde als Sonderausstattung für Neufahrzeuge ala Mad Max? Für meinen Bob vermutlich nicht mehr. Er hat übrigens die 281.000 km geschafft. Die mittlere Entfernung zwischen Erde und Mond beträgt 384.000 km. Noch gute hunderttausend Kilometer, mein treuer Gefährte, und du bekommst die „Apollo-Plakette“… Ich schweife ab.
      Das Seltsame an diesen bedrückenden Nachrichten ist, dass ich davon kaum etwas in meinem täglichen Alltag spüre. Pandemie? Ich nehme sie nicht (mehr) wahr. Inflation? Energie- und Wasserknappheit? Ohne Medien bekäme ich davon nichts mit. Ich bin mir meiner privilegierten Situation bewusst dafür dankbar, meinen Konsum wegen der Preissteigerungen nicht entscheidend ändern zu müssen. Krieg? Städte wie Kharkiv, in deren Parks ich vor nicht allzu langer Zeit noch spazieren war. Cafés, in denen ich zu dieser Zeit saß und ähnliche Gedanken wie diese hier notiert habe. All das wird gerade bombardiert und beschossen oder ist vielleicht schon zerstört. Menschen, die mir nah sind, machen sich plötzlich nicht mehr Gedanken über Karriere oder Reisen sondern denken bis morgen und kämpfen um ihr Leben und ihre Heimat. Diese Gedanken bedrücken mich - mal mehr und mal weniger. Einfluss auf meinen Alltag haben sie selten.
      All diese Dinge möchte ich zurücklassen. Was nehme ich mit?
      Neben den offensichtlichen Dingen, wie meinem neuen Fahrrad namens Camino (ich mag es, persönlichen Dingen Namen zu geben), meinem Zelt (ohne Namen - warum eigentlich?) und weiterer Ausrüstung nehme ich vor allem meine Beziehungen zu den Menschen mit, die mir in meinem Leben wichtig sind. Es ist das Wertvollste, was ich habe. So sehr mich manchmal die Möglichkeit der ständigen Erreichbarkeit und Informationsflut mit der heutigen Technologie stört, freue ich mich andererseits doch sehr, hierdurch mit meinen Lieben verbunden sein zu können. In einsamen Momenten fühle ich mich dann nicht allein. Auch wenn ich räumlich entfernt sein werde, fühle ich mich dadurch ganz nah. In Form von Abschieden packe ich diese Verbindungen zu meinen Lieben wie kleine Reisepäckchen ein.
      Ich bin gerade in Guben und verabschiede mich von meinen Eltern. Ich werde hier bis Samstag bleiben und dann wieder nach Berlin fahren. Die vergangenen und kommenden Tag sind sehr von Abschieden geprägt.
      Gestern habe ich mich von Susi verabschiedet. Sie wird Freitag in ihre Heimat nach Bayern fahren. Somit werden wir uns am Wochenende nicht mehr sehen. Wir haben gestern das Wetter genutzt, um noch eine kleine Runde mit Bob und Biene zu drehen. Susi hat sich letzte Woche eine Vespa zugelegt - Biene (Susi gibt persönlichen Dingen wohl auch gern Namen). Wir waren im Jagdschloss Grunewald und am Grunewaldsee. Es war besonders und tat uns beiden gut, dass wir uns diese Zeit füreinander genommen haben.
      Viele kleine und große Geschehnisse der letzten Tage lassen ein Gefühl der Zuversicht in mir Aufkommen, welches mir sagt, es ist richtig, jetzt loszuradeln.
      Sei es, dass ich - nach langem Kampf - im letzten Moment eine Zusage meiner Wohnungsgesellschaft bekommen habe, meine Wohnung unterzuvermieten. Sei es, dass ich auf Arbeit alles erledigen und mich verabschieden konnte, um mich jetzt ohne dienstliches „Gepäck“ auf die Reise zu begeben. Dies hat nur funktioniert, da meine Kollegen, Sacha vorweg, in den letzten Tagen neue Sachen von meinem Schreibtisch fern hielten. Danke dafür!
      Sei es, dass Niko sich am Montag spontan dazu entschlossen hat, die ersten drei Tage auf dem Rad mitzukommen. Eigentlich hatten wir uns im „Gestrandet“ getroffen, um einen (bei einem bleibt es nie - doch diesmal alkoholfrei) Scheidebecher zu nehmen. Als ich ihm sagte, dass ich kommenden Montag (5. September) starten möchte, realisierte er, dass er da ebenfalls eine Woche Urlaub und noch nichts festes geplant hat. Kurz entschlossen werden wir die ersten hundert (oder mehr) Kilometer gemeinsam radeln. Ich freue mich darüber sehr, da es mir den Aufbruch merklich erleichtert. Wenn wir einmal rollen, fällt es mir sicher leichter, allein weiterzuradeln.
      Oder sei es, dass ich vergangenen Samstag spontan zu Ronja‘s letztem Auftritt bei der Müritz Saga 2022 gefahren bin und wir so die Möglichkeit hatten, uns noch einmal zu sehen. Wir hatten uns während meines ersten Sabbaticals 2019 in Neuseeland kennengelernt. Dort hatte mir Ronja von ihrem Engagement bei der Müritz Saga im Sommer 2020 erzählt und ich hatte mir vorgenommen, sie dort zu besuchen. Aufgrund von Corona fielen die Müritz Saga 2020 und 2021 aus. Vergangenen Samstag war somit die erste und letzte Möglichkeit, sie als Gräfin Amanda von Bimel zu sehen. Es war sehr schön, diese Verbindung auf diese Weise einzupacken.
      Alles fühlt sich derzeit gut und stimmig an.
      Sonntag werde ich mich auch vom Berlinprojekt und den dort lieb gewonnen Menschen verabschieden. Eingepackt habe ich bereits viele berührende Lieder meiner Gemeinde, die mich unterwegs begleiten.
      Es wird Zeit aufzubrechen. Ich freue mich darauf. Ich freue mich auf das was kommt - auf die Weite, die Entschleunigung, die Natur, fremde Städte, große Gedanken (Problem: kleines Gehirn), interessante Begegnungen. Ebenso freue ich mich bereits jetzt ein Wiedersehen mit vielen meiner Lieben - daheim oder in der Ferne.
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