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  • Day 47

    Babyschildkröten in Sukamade

    December 3, 2023 in Indonesia ⋅ ☁️ 29 °C

    Ellen und Björn aus Belgien lernten wir im
    Hostel in Yogja kennen. Sie gaben uns den Geheimtipp den Nationalpark Meru Beteri zu besuchen. Genauer gesagt gab es am
    Strand von Sukamade einen besonderen Grund den weiten Weg auf sich zu nehmen: Riesenschildkröten. Denn an diesen wundervollen Ort kamen sie seit Jahrzehnten zurück, um am Strand ihre Eier zu legen. Um die stark dezimierte Art zu schützen, werden die Eier von den Rangern anschließend ausgegraben und in der sicheren Aufzuchtstation ausgebrühtet. Die geschlüpften, winzigen Schildkröten werden dann wieder am Strand frei gelassen. Ein kurzer Weg im Alleingang bis ins Meer ist wichtig, damit auch sie ihren inneren Kompass ausrichten und nach rund 25 Jahren wieder in die Sukamade Bucht zurückkehren.
    Wir hatten Schildkröten schon so häufig beim Tauchen erlebt und jeder von uns hatte bereits seinen besonderen Turtle-Moment. Wir wollten uns einen großen Traum erfüllen und hatten genau noch drei Nächte Zeit auf Java. Perfekt - also auf zu den Turtles!

    Nach der Ijen-Tour holte uns Hadi ab. Rund drei Stunden fuhren wir zu einem kleinen Fischerort, in sein wunderschönes Turtle Homestay. Vorbei an Zuckerrohr- und Drachenfruchtplantagen genossen wir das satte Grün der Natur. Es war Regenzeit und die Natur dreht nun so richtig auf. Weit weg von den Städten waren Strände, Meer und Pflanzen hier viel wilder. Wir fühlten uns direkt wohl. Es war ruhig und friedlich hier.
    Nachdem wir in einem genütlichen Bett unser Schlafkonto wieder etwas auffüllen konnten, aßen wir zu Mittag. Neben uns war eine muntere Truppe von Vespa Fahrern. Wir kamen schnell ins Gespräch und hatten viel Spaß. David durfte am Ende sogar mit einer alten Vespa fahren und wurde bejubelt, als er wieder in die Einfahrt fuhr. Vor der Abfahrt schenkte mir der Mechaniker eine Flagge des Motorbike Clubs als Erinnerung, die bisher im Wind seiner Vespa wehte. Was für ein schönes Erlebnis mit wieder unglaublich offen Menschen.

    Mit Susan gingen wir gemeinsam zum nahegelegenen Strand. Sie begleitete uns als Guide für die nächsten 48 Stunden und organisierte die Tour in den Nationalpark. Durch ihre quirrlige und offene Art verstanden wir uns auf Anhieb gut mit ihr. Wie quasselten so viel, dass es mittlerweile dunkel war und wir immer noch im Sand saßen. Hunderte von Solarlichtern begannen in der Bucht zu leuchten. Sie markierten die vielen Fischernetze und gaben den Fischern Orientierung. Wie kleine Sterne blitzten sie zwischen den Wellen. Wie wunderschön!

    Nach einem kleinen Bootsausflug in die Greenbay, einem versteckten kleinen Strand, ging es mit dem Offroad-Jeep so richtig los. Wir schaukelten uns durch den Dschungel. Die Wege wurden hier bewusst im schlechten Zustand belassen, damit der Zugang zur reichhaltigen Natur erschwert wird und es seltener zu illegalen Rodungen kommt. Wir sahen eine Horde schwarzer Affen in den hohen Baumkronen springen und riesige Adler ganz nah im Gras sitzen. Tiere faszinierten uns auf unserer Reise immer am besonders. Nach einer Stippvisite auf einer Kaffeeplantage und einer kleinen Erklärbär-Stunde von Gina, machten wir an einem Fluss eine kleine Kaffeepause. Hier waren wir wieder ganz alleine, keine anderen Touris weit und breit. Herrlich :)

    In der Rangerstation von Sukamade angekommen warteten wir bis in die Nacht für den ersten Teil unserer Schildkröten-Expedition. Die Zimmer waren extrem einfach und es wimmelte nur so von Faltern, Käfern und Kakerlaken. Mal wieder eine Challenge und definitiv eine neue Insekten-Dimension, als alles andere zuvor. Wir hatten zwar ein großes Mückennetz dabei, aber die Einzelbetten standen so weit auseinander, dass nur einer von uns in den Genuss kam. Nachdem wir zumindest versuchten, das eine Bett an das andere zu schieben, fiel es halb auseinander und es kam Ekliges und Dreckiges zum Vorschein. David erbarmte sich. Ich durfte unter dem Netz schlafen. Danke Amore🙏🏻

    Es ging los, wir machten uns mit einem Ranger auf den Weg zum Pantai Sukamade. In völliger Dunkelheit durchquerten wir einen Weg im Dschungel zum Strand. Huii das hatte ich vorher auch noch nicht gemacht. Aber natürlich galt hier wieder mein Motto, wie schon mit den Haien: was ich nicht sehe ist nicht da. Und zum Glück war … nunja, alles dunkel. Wir warteten artig am Rande des Strandes auf das Zeichen der anderen Ranger. Sie waren vorgelaufen um nach den Spuren der Schildkrötenweibchen zu suchen. Immer wieder betonten sie, dass es keine Garantie gäbe eine zu sehen. Letztendlich waren wir in der Natur und die machte nun mal was sie will.
    Nach kurzer Zeit das Zeichen: es wurden drei Schildkröten gesichtet. Eine hat den Strand für ihren baldigen Nestbau observiert und ist wierer zurück in die wilden Fluten gerobbt. Die Zweite hat angefangen ihr Nest zu bauen, aber leider mittendrin abgebrochen. Die Dritte hat beim ersten Versuch ebenfalls den Nestbau abgebrochen. Oh no! Wir sollten vorsichtig an den Ort der dritten Schildkröte kommen und durften zuschauen, wie sie einen neuen Versuch begann. Leise legten wir uns flach in den Sand und schauten auf den Horizont. Auch hier waren wieder unzählige Fischernetze mit Solarlichtern gespannt. Durch die vielen Lichter konnten wir die Umrisse, der riesigen Schildkröte erkennen. Sie zu sehen, wie sie mit allen Vieren den Sand kräftig hochwirbelte und die Silhouette ihres Panzers langsam in ihrem Loch zum Eierlegen versank, machte etwas mit uns. Wir waren wieder demütig. Diese Tiere waren besonders und wir waren dankbar soetwas erleben zu dürfen. Mit einer Größe von circa 1 x 1,5 Metern war dieses Exemplar majestätisch. Doch plötzlich hörte sie auf. Oh nein oh nein! Sie brach ein zweites Mal ab und schob ihren schweren Panzer wieder in Richtung Meer. Wie konnte das sein? Wir durften näher zu ihr, denn heute würde sie keine Eier mehr legen.
    Wir sahen ihren grazilen Kopf. Ihre großen Augen schauten uns direkt an. Es herrschte absolute Stille, eine traurige Stille. Nur die lauten Wellen brachen wild in die Bucht. Das Tier schleppte sich Stück für Stück in Richtung Wasser. Es dauerte bestimmt 10 Minuten. Denn sie musste immer wieder Pausieren. Zu kräftezehrend waren die beiden abgebrochenen Nestbauversuche für das große Tier gewesen. Wir begleiten sie aus sicherer Entfernung. In uns beiden stieg ein tiefes Gefühl zwischen Trauer und Ratlosigkeit auf. Warum brach sie nach all den Strapazen ab? Warum fühlte sie sich nicht sicher? Wir fragten die Ranger wieviele Nester denn überhaupt in diesem
    Jahr zu Ende gebaut wurden?

    Die Sukamade Aufzuchtstation gab es bereits sehr lange. Entsprechend beobachten die Ranger viel. Alles wird genaustens dokumentiert und jedes Ei wird gezählt. Allerdings ist der Eierbestand bzw. die fertig gebauten Nester mit gelegten Eiern besonders in den letzten Jahren drastisch gesunken. Im Jahr 2021 waren es noch 3000. Ein Jahr später zählten sie schon nur noch 1200 Nester. Im Jahr 2023 waren es bis zum heutigen Tag 602 vollständige Nester!! Es schmerzte diese Zahlen zu hören. Ich fragte nochmal konkret: Warum brechen die Schildkröten ihren Nestbau ab. Die Antwort vom Ranger war ein verbaler Schlag in die Magengrube meines Menschenverstands. “Schildkröten orientieren sich in der Dunkelheit am Schaum der gebrochenen Wellen am Strand als Lichtimpuls. Andere Lichter verwirren sie und lassen sie Orientierungslosigkeit empfinden. Entsprechend fühlen sie sich nicht mehr sicher. Und noch weniger wollen sie ihre Eier hier ablegen.” Ich drehte mich um und sah in das Lichtermehr der Netze. Mir wurde schlecht und es rollten bitterliche Tränen über mein Gesicht. “Seit der Pandemie hatten die Fischer auch in dieser Bucht ihre Netze gespannt.” sagte der Ranger. Und dann war es vorbei. Vor lauter Ekel vor der Menscheit konnte ich mich nicht mehr halten. Wie bei den Eseln in Nepal standen wir da und fühlten uns machtlos und ohnmächtig. Wir hatten den Abbruch und die kraftlose Schildkröte live miterlebt und es war schrecklich. Als mir dann auch noch klar wurde, dass die kleinen Babyschildkröten nach dem Freilassen möglicherweise direkt im Netz landen und ertrinken, ging dann gar nichts mehr. Ich weinte vor Weltschmerz. Und ich wollte und konnte nicht mehr aufhören. Es war verstörend. Wie kann solch eine Situation in einem geschützten Nationalpark passieren? Wieso müssen die Fischer ausgerechnet in dieser Bucht ihre Netze spannen? Wie kann man so rücksichtslos die Natur zerstören? Am Ende lautete eine von vielen Antworten mal wieder: der sehr ärmliche Lebensstandard der Fischer und die nun neue Einnahmequelle gepaart mit der Ignoranz bzw. der Kurzsichtigkeit der Auswirkungen ihres Verhaltens für die Region. Es war ein größeres Problem, das David und ich nicht lösen konnten. Wir sprachen Hadi am nächsten Tag direk dazu an, der bereits Aufklärungstreffen mit der Polizei und den Fischern organisiert hatte. Aber an eine schnelle Lösung glaubte auch er nicht.

    Nach einer kurzen und kräftezehrenden Nacht, trafen wir uns um 6 Uhr wieder mit dem Ranger. In der Nacht hatte noch eine vierte Schildkröte den Strand aufgesucht - und Eier gelegt! Genau einhundert an der Zahl lagen in der Aufzuchtstation bereit von uns verbuddelt zu werden. Wir freuten uns, dass es vom Vorabend überhaupt eine frohe Nachricht gab und legten die tischtennisgroßen, weichen Eier so vorsichtig wir konnten in das Loch. Stolz beschrieben wir das Schild und steckten es neben das zugebuddelte Loch. Denn wir waren ihre Schildkröten-Paten.

    Mit circa 15 Babyschildkröten im Eimer liefen wir wieder in die Bucht. Sie strampelten sobald wir sie aus den Eimer hoben. Mit gemischten Gefühlen nahmen wir eine nach der anderen heraus und setzten sie an eine kleine gezeichnete Startlinie. Von hier aus mussten die Kleinen sich ihren Weg in die große weite Wasserwelt selbst erkämpfen. Sie watschelten los. Einige schneller, andere langsamer. Es war berührend sie in das wilde Meer zu entlassen. Instinktiv liefen sie bis zur Wassergrenze und ließen sich von den Wellen in die Fluten ziehen. Während die ersten bereits im sicheren Wasser waren, blieben drei kraftlos an der Startlinie liegen. Oh nein!! Wir gaben ihnen einen leichten Anschub aber sie hatten kaum Kraft. Also setzten wir sie direkt am Rande der Wellen aus, sodass sie direkt im Sicherheit waren. Aber selbst hier hatten sie zu wenig Energie die Wellen zu durchschwimmen. Immer und immer wieder wurden sie zurück gewirbelt und blieben liegen. Wir starteten immer wieder neue Versuche sie zu retten, ihnen ein Leben zu schenken. Aber das Meer spühlte sie wieder an den Strand, wo sie einfach liegen blieben. Scheiße! Mal wieder mussten wir die harte Realität der Natur ertragen. Als dann noch ein Affe angelaufen kam, stürmte Susann los um die Kleinen zu retten. Aber es war zu spät. Der Affe war schneller, nahm die letzten beiden Schildkröten und biss zu. Susann und ich weinten. So nah lagen Leben und Tod beieinander. Wir wünschen uns von ganzem Herzen, dass die anderen 13 Schildkröten nicht in den Fischernetzen hängen bleiben und hoffentlich ein erfülltes Turtle-Leben führen. Vielleicht sehen wir sie beim Tauchen irgendwann wieder.

    So intensiv und traurig die letzten 12 Stunden auch waren, wir wollten die Augen davor nicht verschließen. Wie auch in Nepal gehört es auf Reisen dazu, nicht nur die schönen Dinge, sondern auch die Missstände bei Mensch und Tier mitzuerleben. Nach einem langen Gespräch mit Hadi, hoffen wir sehr, dass dieser magische Ort erhalten und die wertvolle Arbeit der Ranger weiter unterstützt wird. Aber noch viel wichtiger: Den Locals die Schildkrötenbucht als eine Chance auf ein besseres Leben zu sehen und an der gesunden Natur und Touristen zu partizipieren.

    50 Tage Indionesien liegen hinter uns. Von Lombok, über Flores, Raja Ampat und Java durften wir ein offenes, authentisches und liebevolles Land entdecken. Die wunderschöne und vielfältige Natur faszinierte uns immer wieder aufs Neue und die vielen Begegnungen mit deinen tollen Menschen werden wir nie vergessen. Teri Makasi Indonesien - wir werden uns wiedersehen. Denn du hast noch so viel zu zeigen, das wir noch nicht entdeckt haben.

    Sampai jumpa lagi!
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