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  • Dia 7

    Luigi

    27 de abril de 2019, França ⋅ ☁️ 9 °C

    Trip 5, Tag 7, Wandertag 5: Sancoins - Isle-et-Bardais, 25,10 km, Steigung 120 Meter, Gehzeit 6:30, Samstag, 27.4.2019

    Selten war uns ein Ort so unangenehm wie „Sancoins“. Jeder unserer Schritte aber ließ das Unangenehme kleiner werden bis es am Horizont schließlich zur Bedeutungslosigkeit verkam. Irgendwo hier betraten wir die Region „Auvergne“, die Vierte nach „Lorraine“, „Champagne-Ardenne“ und „Bourgogne“.

    Der Unterkunft der letzten Nacht gaben wir die Schulnote 3-4. Personal bemüht, Zimmer scheußlich und ein süßes Frühstück, nur was für Franzosen. Es gab Croissants, garniert mit Bonbons.

    Ziemlich mies gelaunt, denn immer noch erschöpft von gestern, spulte unser „Autopilot“ das Programm des Tages ab. Nur eiserne Disziplin, ohne Chemie kaum möglich, brachte uns auf die kleine asphaltierte Straße, passend nur für ein Auto.

    Wir waren zwei winzige Punkten in einer dunkelgrünen Unendlichkeit, die sich nur durch ihren eigenen Horizont begrenzte. Ihre depressive Stimmung konnte durch nichts überboten werden. Kein Zweifel, wir betraten gerade den „Hades“ (Schattenwelt der griechischen Mythologie).

    Es war kalt in der Schattenwelt, sehr kalt. Der eiskalte Sturm hämmerte uns den Regen nur so ins Gesicht und machte aus den sieben Grad gefühlt minus sieben. Es erforderte unser gesamtes Repertoire der Abteilung „warme Sachen“ uns davor zu schützen. In voller Regenmontur, mit einem Regenhut über der Kapuze und einem wärmenden Schal um das Gesicht gewickelt, ergaben wir uns unserem Schicksal. Unsere nasskalten Turnschuhe bestraften wir mit aufgezwungener Missachtung.

    Unser „Klimaerwartungsindex“ war heute Morgen massiv-, auf den traurigen Wert von Null, gefallen.

    Die wenigen Bäume, die uns entlang der kleinen Straße noch einige Kilometer zögerlich begleiteten, zogen sich mit jedem unserer Schritte mehr und mehr zurück, einer nach dem anderen. Es schien, als ob sie sich davor hüten wollten die Unendlichkeit zu betreten. Nein, damit wollten sie nichts zu tun haben, ganz bestimmt nicht. Lieber würden sie im grausamen „Sancoins“ schmoren als in dieser unheimlichen Gegend.
    Ja, düster war sie in der Tat die Gegend die sich, zugleich aber auch eindrucksvoll, gerade vor uns ausbreitete.

    Ich kann mich nicht erinnern, dass wir uns jemals, während unserer Wanderungen, bei der Bewertung einer Gegend, derart uneinig waren wie hier.
    Während unser waffenfreier Rucksack Marion vor der einen oder anderen selbstverschuldeten Dummheit bewahrte, konnte Günter gar nicht genug kriegen vom Ausmaß der hier reichlich vorhandenen- und unendlichen Melancholie. Aus Marions Sicht war es eher eine unendliche Depression.

    Die Armee der dunkelgrauen Wolken, bis auf die Zähne mit Regentropfen bewaffnet, tauchten das Land in ein tiefes Olivgrün. Sie drohten damit die spärlich vorhandenen- und meist völlig verkommenen Bauernhöfe in ihre gierigen Bäuche zu verschlingen.
    Selbst mit größter Anstrengung vermochten wir beim Anblick der erbärmlichen Gebäude nicht an eine funktionierende Landwirtschaft zu glauben. Noch weniger daran, dass Franzosen hier lebten.

    Es war spannend alle paar Kilometer ein neues „Superlativ“ des Siechtums visuell erleben zu dürfen, genau genommen war es mehr deprimierend. Wir konnten gar nicht glauben, dass Menschen einen derart geringen ästhetischen Anspruch an ihr zu Hause haben. So ärmlich wie das hier aussah, konnten die Bauern gar nicht sein. Immerhin beackerten sie riesige Ackerflächen im Herzen der EU.

    Die Gehöfte unterteilten sich in unterschiedliche „Sektoren“, die Bandbreite reichte von längst dem Verfall preisgegeben historischen Gemäuern, über nicht minder verfallene Holzschuppen die augenscheinlich nur unter Lebensgefahr zu betreten waren und nichtidentifizierbaren Wellblech-Tennen. Dazwischen ein wilder Mix aus Müll, Holzstapeln, ungeschützten- und längst vom Regen durchweichten Strohballen, sowie Unmengen von Schrott und landwirtschaftlichen Geräten, wobei es schwer fiel letztere zu unterscheiden.
    Irgendwo dazwischen wohnte sicherlich der Eine- oder andere französische Bauer, von denen wir auf der gesamten Wanderung nur einen oder zwei, äußerlich passend zu den Bauerhöfen, zu Gesicht bekamen.
    Jeweils ein unbefestigter Naturweg, meist vom Regen zur Schlammpiste herabgestuft, war für die Höfe der Nabel zur Welt, dahinter gab es nichts mehr.

    Vielleicht waren die meisten Gehöfte mittlerweile unbewohnt, weil der eine oder andere Bauer ein Leben im Verkommen „Sancoins“-, dem der verkommenen Einöde, vorzog. Egal, eines war gewiss, hier wurde immer noch Landwirtschaft betrieben.

    Um nicht falsch verstanden zu werden, dass alles hier war für mich, in der Komposition und Menschenleere, maximal mystisch und spannend. Hier waren gefühlt sogar die Kühe auf der Weide irgendwie anders.

    Rückblickend nimmt dieser Tag in meinen Erinnerungen großen Raum ein, in Marions Gedanken reduziert sich dieser vermutlich auf die Größe eines Dixi-Klos, sie mochte es hier eben nicht.

    Wie auch immer, irgendwann bewachte eine unbeaufsichtigte Gang von vier Kötern zähnefletschend und bellend so ein abgrundtief verkommenes Ensemble. Sie waren gerade dabei auf der kleinen Straße ihren für heute gültigen Ranglistenplatz „auszudiskutieren“.
    Zu erwähnen wäre an der Stelle noch, dass die kleine Straße über weite Strecken von hüfthohen Hecken eingesäumt war die ihr, der Straße, kaum noch Luft zum „Atmen“ ließen. Insofern gab es für uns keine andere Möglichkeit als auf alles vorbereitet zu sein und uns hautnah an der Gang vorbei zu quetschen. Halbstark wie sie waren ließen sie keinen Zweifel daran, dass sie jeden Millimeter ihres Claims mit ihren spitzen- und ungepflegten Zähnen verteidigen würden.

    Mit meinem aufgeklappten Taschenmesser in der Hand, die ich, um keine Aggression zu provozieren, mit dem Messer in den Tiefen meiner Jackentasche verschwinden ließ, bewegten wir uns auf die bereits wartende Meute zu. Von der vierer Gang waren drei Tölen beängstigend groß, während der Vierte seinen nicht zu übersehenden Zwergenwuchs regelrecht niederkläffe. Als Schäferdackel wollten er den anderen „Senfhunden“, bei denen viele Hunde ihren Senf dazugaben, wenigstens in dieser Hinsicht imponieren.

    Während wir uns angespannt an der Meute Meter für Meter vorbeimogelten, wurde es bei den Senfhunden unerwartet ruhig, während der Schäferdackel weiter verbal protzte. Ein paar Meter weiter bestrafte uns die Gang nur noch mit unerwarteter Ignoranz.
    Der Kleine jedoch erkannte seine Chance, kündigte seine Mitgliedschaft in der Meute, hörte mit seinem Gekläffe auf, und beschloss ab sofort unserer Gang beizutreten.
    Die neue Gang hatte so seine Vorteile, denn die Ranglistenplätze des heutigen Tages und die der nächsten tausend Tage, waren längst geklärt. Das Gebelle konnte er sich auch sparen, denn so laut hätte er im Leben nicht bellen können, um seine Größe gegenüber unserer zu kompensieren.

    Der Kleine war renitent, jeder Versuch ihn zu verscheuchen oder zu ignorieren scheiterte kläglich an seiner unerträglich loyalen Toleranz.
    Längst hatten wir es aufgegeben seine Herkunft zu ergründen. Hier war weit und breit nichts wo so ein Hündchen hingehören könnte. Die drei anderen vom verkommenen Ensemble waren offensichtlich nur flüchtige Wegbekannte.
    Außerdem hatte die kleine Straße mittlerweile derart viele Windungen und Abzweige, dass es schon ein Superhirn bräuchte, um sich auch nur einen Kilometer des Weges zu merken.

    Nach ein paar Kilometern war der Kleine, mittlerweile auf „Luigi“ getauft, nicht mehr bereit die vielversprechende Mitgliedschaft in seiner neuen Gang zu kündigen. Guter Rat ihn loszuwerden war teuer, eine Lösung nicht in Sicht. Luigi nannten wir ihn weil er uns, klein und mutig wie er nun einmal war, irgendwie an einen italienischen Mini-Macho erinnerte. Der eine oder andere Italiener, der vielleicht einmal dieses Kapitel liest, möge uns bitte an der Stelle, solche, nicht böse gemeinten Vorurteile, verzeihen.

    Mehr und mehr versuchten wir uns vorzustellen wie das Wandern mit Luigi wohl funktionieren könnte. Ein entsprechender Tagesablauf wurde intensiv durchgespielt. Aber allein der Gedanke uns abends todmüde auch noch um das Habi für den Köter kümmern zu müssen, der dann nach einem regenreichen Tag streng müffelnd in unserem Zimmer schläft und dann vielleicht auch noch mitten in der Nacht kurz Gassi gehen muss, erstickte jeden positiv aufkeimenden Gedanken an den neuen Wandergefährten in Nullkommanix.

    Kein Zweifel, der Köter musste weg, und damit basta.

    Dem Gaul, der uns schon wieder im Hirn rumspukte, um dort Köter-Gedanken einzubrennen, haben wir sofortiges „Hausverbot“ erteilt, mit mäßigem Erfolg.
    Visuell und verbal ignorierten wir Luigi folglich, wobei uns, zugegebener Maßen, sein freundliches und loyales Gemüt, mehr und mehr einlullte, er war höllisch süß.
    Der Gaul grinste erhaben und zeigte uns seinen im Huf eingewachsenen Stinkefinger. Innerlich waren wir uns bereits einig, wenn es denn unbedingt ein Köter sein musste, dann so ein kleiner Italiener. Diesen Gedanken jedoch, auch nur ansatzweise, offiziell auszusprechen war verpönt und strikt verboten.

    Nach gut 13 Kilometern, man glaubt es kaum, ließ sich die Sonne blicken und verwandelte schlagartig den Hades in eine freundlichere Zwischenwelt. Und auch die Erbärmlichkeit der landwirtschaftlichen „Betriebsstätten“ verbesserte sich um ein paar Punkte auf ein „französisches Bauernhof-Mittelmaß“, was aber keinen gravierenden Unterschied ausmachte.
    Luigi schwärmte gerne aus und führte uns ebenso gerne an der Nase herum. Immer wenn wir dachten „Jetzt ist er endlich weg“ war er endlich wieder da, ein italienischer Schlawiner eben.

    Ein Abzweig beim vierzehnten Kilometer führte über einen ungewöhnlich gepflegten Privatweg zu einem in der Ferne gelegenen Anwesen. Es war das „Ferme Auberge des Pirodelles“, ein „Chambre d'hôte“ mit Landwirtschaft und Hofladen. In Deutschland so etwas wie „Ferien auf dem Bauernhof“. Für eine Besichtigung hat es dennoch nicht gereicht. Liegen am Wegesrand, bei endlich wieder wärmender Sonne, war deutlich entspannter.
    Die Räudigkeit der Gegend fand hier offensichtlich auch ihr Ende. Ein schöner Platz für unsere Rast garniert mit einem kleinen Teich, rechts des Weges, Balsam für unsere geschundenen Augen.

    Gleich am Abzweig legten wir uns, geschützt vor dem nassen Boden durch unsere wetzenden Regenklamotten, auf den Grünstreifen zwischen Privatweg und Weidenzaun. Autos oder Landmaschinen fuhren hier eh nicht. Es gab nichts als die Ruhe und ab und zu ein angenehm-nervendes-, unsere Ohren umkreisendes Insekt. Die Sonne und die lieblicher gewordene Landschaft waren Vitamine für unsere ausgezehrten Seelen.

    Jetzt hatte das letzte Stündchen unseres Baguettes, dass wir uns heute Morgen noch im „Hotel Du Parc“ in „Sancoins“ eilig belegten, geschlagen. Luigi brachte sich in sicherer Distanz in Stellung, offensichtlich hatte er ein riesen „Loch“ im Bauch. Sein Pech nur, dass wir mindestens genauso hungrig waren wie er und leider nur dieses Eine Baguette für uns zum Teilen hatten. Es würde bei weitem nicht einmal für uns beide ausreichen, um den Hunger mundtot zu kauen.

    Luigis Zähne tropften nur so vor sich hin. Er robbte auf seinen kleinen Beichen und den Bauch am Boden schleifend, Zentimeter um Zentimeter in Richtung Baguette. Und immer, wenn er gerade seine gierige Zunge aus seinem Schlund holte, um den Geschmack des mickrigen Baguettes darauf zu verewigen, verscheuchten wir ihn mit Nachdruck. Das Spiel wiederholte sich einige Male. Wir waren nicht bereit ihm etwas abzugeben, dass hätte seine Mitgliedschaft in unserer Gang nur noch weiter manifestiert.

    Und der Gaul? Na ja, der hat sich gewunden vor Lachen. Ich muss an der Stelle nicht erwähnen, dass wir unter unserer Härte genauso litten wir der kleine Italiener.

    Irgendwann, man mag es kaum glauben, näherte sich langsam ein Auto, um in unsere Allee abzubiegen und schleichend an uns vorbei-, in Richtung Anwesen, zu rollen. Sicherlich waren wir für die Fahrerin genauso exotisch wie ihr Auto für uns.
    Luigi aber stand auf und sah dem Auto hinterher. Man spürte förmlich wie es in seinem kleinen Hirn „ratterte“. Entweder der geizigen Gang, mit ungewissen Ausgang folgen, oder diese Chance nutzen.

    Er lief dem Auto hinterher und ließ uns, nach gut acht Kilometer gemeinsamen Weges und mit all unseren Gedanken, den der „Gaul“ bereits in unser Hirn gepflanzt hat, wieder alleine.
    Unserer Vernunft folgend waren wir froh. Unsere Herzen aber hatte er längst erobert, wir waren glücklich traurig.

    Der Hades gehörte der Vergangenheit an. Fortan zeigte sich „unser“ sonnenverwöhntes Frankreich von seiner schönen Seite. Eine leicht geschwungene Landschaft nur begrenzt vom Horizont, eingetaucht in sattem Grün, ohne jegliche visuelle Verschmutzung und garniert mit einem bayerischen, weiß-blauen Himmel, das war die neue Szenerie. Unsere Regenklamotten schmorten fortan im Rucksack.

    Mit dem zwanzigsten Kilometer querten wir auf der „D 564“, den „Étang de Goule“. Ein flacher See der einen Kilometer für etwas Abwechslung sorgte.
    Die nachfolgende und unbefahrene „D 14“ brachte uns nach dem einundzwanzigsten Kilometer nach „Valigny“, einem ungewohnt modernen und aufgeräumten Ort mit 376 Einwohnern. Eine neue Bank auf dem neu gestalteten Dorfplatz kam uns gerade recht für eine kurze Rast.

    Kurz vor dem Verlassen des Ortes fand Marion ein auf dem Boden liegendes-, relativ neues iPhone. Der Besitzer war nicht auszumachen. Wir nahmen es mit, um es später unseren Gastgebern zu übergeben, die es dann morgen zum Fundbüro bringen sollten. Im Moment war hier alles geschlossen.

    Wiederum zwei Kilometer später führte uns die kleine „D 111“ sanft hinunter ins circa dreißig Meter tiefer gelegene „La Marmande“ Tal, nach „Isle-et-Bardais“, unserem heutigen Ziel. Es war eigenartig, wir hatten das subjektive Empfinden wieder in der Zivilisation zu sein obwohl die 266 Einwohner nicht viel dazu beitragen konnten. Dennoch, etwas hier war gefühlt anders.

    Unsere heutige Unterkunft das „Le Matou Roux“, lag etwas außerhalb, am Rande einer riesigen- noch brachliegenden Ackerfläche. Vermutlich war es einmal ein altes Bauernhaus, liebevoll wieder zum Leben erweckt.
    Nicole, die nette und hilfsbereite Madame, erwartete uns schon. Gäste gab es hier, vermutlich wegen der Jahreszeit, schon länger nicht mehr. Ohnehin verfügte das Haupthaus nur über zwei Zimmer unter dem Dach, eines davon unseres. Ein weiteres gab es in einem kleinen Gästehaus, in Frankreich „Gite“ genannt, Franzosen lieben „Gites“.

    Hunderte Liter warmen Duschwassers waren nötig, um unserer Gänsehaut Einhalt zu gebieten.
    Einen Tipp der Madame folgend dinierten wir, deutlich erwärmt, im einzigen Restaurant des Ortes, dem „Le Relais de Pirot“.
    Es war herrlich hier dieses köstliche 3-Gänge-Menü, nach dem sonderbaren- und ereignisreichen Tag, zu genießen. Immer mehr Gäste füllten die kühl eingerichtete „Begegnungsstätte“, die sich in der umgebenden Einsamkeit offensichtlich einen Ruf als Gourmet Tempel erkocht hat.

    Heimlich schlich sich der Gaul wieder in unser Hirn, und strapazierte einmal mehr unser Gewissen.

    Wir lagen dabei todmüde im Bett und der vor sich hin müffelnde Luigi neben uns auf dem Bettvorleger. Verhalten-glücklich und vollgefressen lag er da, allerdings mit vorwurfsvollen-, auf uns gerichteten Blicken.
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