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  • Day 32

    Shining

    May 22, 2019 in France ⋅ 22 °C

    T5, Tag 32, WT 26:
    Mimizan - Cap de L`Horny (27,7 km, H320, A350), reine Gehzeit 5:43, Mittwoch, 22.5.2019

    Nach dem Frühstück kam das unangenehme Erwachen.
    Der Zimmerpreis war klar, nicht jedoch der Preis für Franks „Taxidienste“.
    Dazu muss man wissen, dass es in Frankreich unterschiedliche Preise für unterschiedliche Taxi-Klassen gibt. Die Formel lautet: Je „dicker“ das Taxi, umso teurer der Transport, macht ja auch irgendwie Sinn.
    Bisher hatten wir von Taxizentralen automatisch die günstigsten Taxi-Kategorie zugewiesen bekommen. Und wenn uns Gastgeber kutschierten, wurde uns meist nur ein Preis darunter berechnet, das war immer noch gut bezahlt, anders bei Frank.
    Unsere Gastgeber hatten verschiedene Autos, vom Kleinwagen bis zum motzigen Daimler SUV. Frank fuhr uns immer mit dem SUV. Wir interpretierten das stets als „Service am Kunden“ und fühlten uns geehrt. Und wenn wir beim Aussteigen fragten, was wir den schuldig wären, bekamen wir stets als Antwort: „Don't worry, we will do that later“, für uns auch okay.
    Nun war „later“.
    Das Schlitzohr berechnete uns für alle „Fahrdienste“ den teuersten Taxitarif, was sich, formal korrekt, auf mehrere hundert Euro summierte. Nicht, dass wir etwas umsonst erwartet hätten, nein, aber eine Ankündigung seiner Preisvorstellung wäre fair gewesen. Wir hätten ja auch ein viel billigeres, kleineres Taxi rufen können, was er uns stets ausredete.
    Es war das erste Mal, dass wir auf unserer Wanderung derart über den Tisch gezogen wurden. Das wars dann wohl mit der „Villa Baccara“. Wir waren stinkesauer und hatten noch lange daran zu kauen.
    Auch der Fakt, dass die Villa Baccara abseits der Stadt und etliche Kilometer vom Strand entfernt lag, ließ uns Franks Masche noch frecher erscheinen. Ein guter „Transportservice“, um Gäste komfortabel in die Stadt- oder zum Strand zu befördern sollte doch im ureigenen Interesse sein.

    Wie auch immer, nach einem letzten „Gruppenfoto“ im Garten der Villa waren wir wieder „on the road“.

    Heutiges Ziel war ein Parkplatz mit ein paar Häusern in rund achtundzwanzig Kilometer Entfernung, irgendwo direkt am endlosen atlantischen Strand. Hier sollte uns ein Taxi abholen um uns ins sechsunddreißig Auto-Kilometer entfernte Hotel „La Maison de la Prade“ in „Messanges“ zu kutschieren, ein auf der Karte kaum erkennbares Kaff. Zwei Nächte wollte wir in diesem Hotel genießen, um etwas zur Ruhe zu kommen.
    Insofern würde uns morgen vom „La Maison de la Prade“ erneut ein Taxi abholen, um uns wieder zurück zum Endpunkt der heutigen Wanderung zu fahren, so der Plan. Von dort wollten wir dann die rund achtundzwanzig Kilometer zurück zum Hotel „La Maison de la Prade“ den Strand entlang marschieren, um die Lücke zu Fuß zu schließen. Am Strand entlang war der Weg deutlich kürzer als mit dem Auto.
    Marion wollte morgen, so der Plan weiter, im Hotel entspannen und einen Wandertag pausieren.

    Signifikantes Zwischenziel der heutigen Wanderung ist der achtzehn Kilometer entfernte Ort und gleichnamige Strandabschnitt „Plage de Contis“. Hier würden wir endlich den Atlantik zu Fuß erreichen. Bisher hatten wir ja nur mit Hilfe des „Fahrdienst“ vom Hotel Baccara aus das Vergnügen.
    Man kann sich insofern kaum vorstellen wie wir diesen Moment herbeisehnten.

    Den Ort verließen wir über die „Route De Baleste“, einer kaum befahrenen Bundesstraße mit einem Radweg, eine Seltenheit in Frankreich.
    Mit dem sechsten Kilometer kehrten wir, hinter dem kleinen- aber feinen Ort „Bias“, der harmlosen Bundesstraße den Rücken und latschten weiter die „Rue de l'Herté Pierrot“ entlang. Sie war nahezu unbefahren und inmitten menschenloser Leere und Natur. Nach weiteren zwei Kilometern wurde sie zur „Rute de la cure“ und mutierte danach zu einem Feldweg. Übrigens befinden wir uns schon wieder auf irgendeinem Jakobsweg, ich habe den Überblick verloren, es gibt zu viele davon.
    Der Feldweg wurde zum Sandweg und machte uns das Leben schwerer, es wurde anstrengend, sehr anstrengend. Die Umgebung, wie immer menschenleer, zeigte sich mehr und mehr mediterran. Pinien, dörre Kiefern, Gestrüpp und dazu südfranzösische Hitze. Schön, das endlich zu spüren aber dennoch nervig. Das Wandern im Sand war äußerst schweißtreibend, jeder Schritt eine Qual, über viele Kilometer.
    Zwischendurch gab es weitläufige Lichtungen mit niedrigem Kiefernbewuchs, wunderschöne und brütend heiße mediterrane Landschaft, immer jedoch Sand unter den Füßen. Es war Treibsand ohne jede Festigkeit, über weite Strecken sanken wir knöcheltief darin ein, eine Tortour. Wie wir später heraus fanden, war der Wanderweg die „Route forestiere des cinq letotts“, was auch immer das sein soll, in jedem Fall eine Schinderei.
    Wie auch immer, wenige Kilometer vor unserem Zwischenziel „Plage de Contis“ setzte eine kleine Straße unserem Leiden nach achtzehn Kilometern und viereinhalb Stunden Wanderschmerz ein Ende. Mehr torkelnd als wandernd und mit glühend roten Köpfen schwankten wir in das Kaff und fielen mit letzter Kraft in die rettenden Stühle der Strandbar „Oyat“ am Ende der Straße, ein wunderbarer Ort.
    Nachdem wir unsere stinkenden- und triefenden Schuhe und Socken von Unmengen von Sand befreiten (Man verzeihe mir die Detailtreue), ergossen sich weitere Unmengen von kaltem Mineralwasser über unsere Kehlen in die Tiefen unserer Bäuche. Wir waren echt fertig, aber dieser Ort hauchte uns neues Leben ein.
    Als wir langsam zu uns kamen realisierten wir, dass die Strandbar ihrem Namen alle Ehre machte, wir hatten es geschafft. Der Atlantik zauberte uns sein sanftes Getose in die Ohren, wie schön.
    Ein Cheeseburger, groß wie ein Gugelhupf und ein Haufen Pommes rotweiß, gaben uns die Energie zurück die es brauchte, um die restlichen zehn Kilometer bis zum „Cap de L`Horny“ noch zu meistern.
    Das Stimmungsbarometer zauberte uns wieder das Eine- oder Andere Lächeln auf die Lippen, kein Wunder bei dem Sonnenschein und dem grandiosem Wellengetöse, schöner wäre schwierig gewesen.
    Als wir fast schon „abheben“ wollten fiel mir die Mündung eines Flusses direkt vor unserer Nase in vielleicht fünfzig Meter Entfernung auf. Es war die „Courant de Contis“ die hier ins Meer mündete.
    Eigentlich nichts Besonderes, das Problem war nur, dass wir ab hier eigentlich die rund acht Kilometer bis zu unserem Ziel den Strand entlang marschieren wollten und dieser Fluss, gemein wie er nun einmal war, uns sicherlich daran hindern würde. Wir waren auf der falschen Seite, eindeutig, Fehlplanung.
    Es folgten wilde Überlegungen und Diskussionen, denn zur Überquerung konnte uns nur eine Brücke helfen. Die aber befand sich zwei Kilometer zurück in der Richtung aus der wir kamen. Für einen Wanderer nach dem endlosen „Sandvergnügen“ ein gigantischer Umweg. Nein, wir mussten hier an Ort und Stelle rüber, keine Frage.
    Die ungeeigneten Lösungen in meinem Kopf stapelten sich bereits als ich im Wasser, nahe des Flussufers, einige Leute stehen sah. Plötzlich schien die Lösung ganz einfach und zum Greifen nah, einfach durch den Fluss waten.
    Einzige Unsicherheit war seine Tiefe, denn in der Mitte des trüben Wassers stand niemand, Zufall? Es brauchte mein ganzes Repertoire an Überzeugungskraft um Rahul für eine Durchquerung des ca. 20 Meter breiten Flusses mitzuquatschen. Marion sollte sicherheitshalber am Ufer mit unseren trockenen Rucksäcken warten. Klappt die Durchquerung würden wir sie und unsere Gepäckstücke nachholen.
    Um es kurz zu fassen, die Strömung war brutal. Als das Wasser unsere Gürtellinie erreichte und wir uns kaum noch halten konnten, gaben wir auf. Die Hosen hatten wir schlauerweise zuvor ausgezogen. Die Zuschauer waren erfreut über die kostenlose Show und so viel Unkenntnis dem Fluss gegenüber. Mindestens zwei Kilometer Umweg waren uns- und unseren vom Sandweg geschundenen Muskeln, damit sicher.
    Scheiß Fluss, wir verfluchten ihn.
    Als wir eine halbe Stunde später endlich auf besagter Brücke standen, um das böse Gewässer zu überqueren konnte ich es mir nicht nehmen lassen noch einmal hineinzuspucken, Balsam für meine Seele.
    Der weitere Weg von der Brücke nach „Plage de Contis“ verlief ca. 500 Meter parallel zum Strand auf einem schönen mediterranen Weg. Allerdings war es uns wegen der dichten Vegetation nicht möglich von hier aus den Strand zu erreichen und die Route, wie geplant, dort fortzusetzen. Einen Verbindungsweg gab es nicht. Dieser Weg entschädigte dafür durch seine abwechslungsreiche- und mediterrane Schönheit.
    Nach fast sechs Stunden reiner Gehzeit standen wir endlich auf dem Parkplatz von „Cap de L`Horny“. Der „Ort“ war nicht mehr als eine geisterhafte Ansiedlung von wenigen Gebäuden und jetzt, im Mai, menschenleer. Alle Gebäude waren verrammelt und verriegelt, alle Jalousien unten. Egal, wir warteten eh nur auf unseren Abholer der uns ins rettende Hotel bringen sollte.
    Es dauerte dreißig Minuten, bis unser Taxi einfuhr, ein Tesla „Model X“, teuerste Taxikategorie. Die vermeintlichen- und so nicht bestellten Kosten waren uns diesmal egal, Hauptsache schnell ins Hotel und duschen.
    Der Taxifahrer war ein übler Zeitgenosse um die fünfzig, unfreundlicher geht es nicht. Während der Fahrt spielte er permanent mit einem Stift auf seinem riesigen Display herum, um alle möglichen elektronischen Schnickschnack-Funktionen aufzurufen und uns damit von seinem vermeintlich innovativen Gefährt zu imponieren. Immer mit versteinerter Miene versteht sich und ohne einen Kommentar aber immer auch hoffend, dass wie sehen war er da so treibt. Nur zu dumm, dass ich selbst Tesla-Fahrer bin und dass das, womit er eigentlich beeindrucken wollte, mich durchaus nicht beeindruckte, Depp.

    Das Hotel „Hotel La Maison de la Prade“, ist eine ehemalige Ferienkolonie aus den dreißiger Jahren, es zu finden war alles andere als einfach. Denn den Ort gab es eigentlich gar nicht, es war nur Wald zu sehen und ein paar abzweigende Privat-Zufahrten die alle in großen Abständen irgendwo darin verschwanden.
    Nach einer aufwendigen Suche, Fragen konnten wir leider nicht, weil wie so oft keine Menschenseele zum Fragen auf der Straße unterwegs war, entließ uns der Angeber beim Hotel in die Freiheit. Der U-förmige Bau war umgeben von einem trockenen Kiefernwald. Sonst war da weit und breit nichts, aber auch rein gar nichts. Außer dem Gebäude aus den dreißiger Jahren war hier niemand. Kein Wunder, löste es doch in uns, warum auch immer, Unbehagen auslöste. Nur Rahul schien damit kein Problem zu haben.
    Durch unser lautes suchendem Geschrei stand plötzlich, wie aus dem Nichts, ein Geist vor uns. Die Empfangsdame übergab uns die ersehnten Zimmerschlüssel.
    Auch die Zimmer, irgendwo im endlosen und kahlen Flur abzweigend, waren alles andere als einladend. Das Gebäude wirkte innen noch unheimlicher als von außen. Es strahlte einen morbiden Eindruck aus und erinnerte unweigerlich an den Film „Shining“ mit Jack Nicholson, nur ohne Schnee. Dies war mit Sicherheit kein Ort zum Entspannen und schon gar nicht zum Wohlfühlen. Marion wollte ja eigentlich morgen hier relaxen und wäre während unserer Wanderung alleine im düsteren Gemäuer geblieben, für sie und mich kaum vorstellbar.
    Schnell waren wir uns einig diesen äußerst unbehaglichen Ort wieder zu verlassen. Lieber würden wir die bereits im Voraus bezahlten Übernachtungen in den Wind schießen, auch Rahul hatte Verständnis.
    Ich quälte Google Maps.
    Schnelle entdeckte ich das Hotel/Restaurant „Logis Hôtel le Grill de l'Océan“ in „Moliets-et-Maa“, fast direkt am Meer und 6,8 Kilometer zurück in die Richtung aus der wir gekommen waren. Auch ein Taxi, diesmal ein Kleineres, ließ sich schnell rufen, weg waren wir. Die Dame vom Empfand wusste gar nicht wie ihr geschah, wieder war sie wieder alleine, die Arme.
    Das „Logis Hôtel le Grill de l'Océan“ war die richtige Wahl, toller Ort, tolles Haus am Meer, ein volles Restaurant mit Terrasse und gut gelaunte Gäste. Dazu ein schönes, helles Zimmer mit dem Rauschen des Atlantiks, was will man mehr, welch ein Unterschied, danke Google Maps.
    Das war der richtige Platz für die kommenden beiden Nächte und Marions Pause.
    Wir zelebrierten die Grillplatte und ließen den Fluss noch einmal eintausend Tode sterben.
    Wir freuten uns auf morgen, denn ab hier würden wir nur noch den Strand entlang marschieren, fast einhundert Kilometer weit bis Biarritz, ein unglaublich Gefühl.
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