• Carlos und sein Fahrrad

    24. maaliskuuta 2023, Ecuador ⋅ ☁️ 27 °C

    Nachdem wir den Tag gestern auf See verbracht haben, liegt unser Schiff nun im Hafen von Puerto Bolivar in Ecuador. Der Stopp hier war geplant, wurde durch die Schwierigkeiten in Peru aber um einen Tag vorgezogen. Ob wir hier halten würden, war dennoch unsicher, da vor sechs Tagen ein Erdbeben Teile der Stadt zerstört und heftiger Regen die Straßen teilweise überschwemmt hat. Eine schwierige Abwägung, da wir natürlich keinesfalls Katastrophentourismus betreiben wollen, andererseits die Stadt und ihre Bewohner vom Anlegen eines Schiffes enorm profitiert – angefangen von den angebotenen Busausflügen zu Bananen- und Shrimp-Farmen bis hin zu den Gästen, die individuell die Stadt erkunden und natürlich auch Geld bringen.

    Zusammen mit unserem Fitness-Coach Markus und meinem Pianisten-Kollegen Davide mache ich mich auf den Weg, wie gewohnt mit einem kleinen Shuttlebus zum Ausgang des Hafengeländes und von dort – nach langer und sehr genauer Überprüfung – hinein in die Stadt.
    Puerto Bolivar hat leider enorm an Bedeutung gewonnen, was den Drogenschmuggel betrifft, und damit einher geht eine hohe Kriminalität, besonders in Hafennähe. Die Hafenmitarbeiter mahnen, wir sollen keinesfalls nach links laufen, bitte nur nach rechts, und eigentlich doch besser ein Taxi nehmen für die 500m bis zur Strandpromenade. Okay, das könnte auch eine geschickte Unterstützung der Taxiunternehmen dort sein, aber es tut uns ja nicht weh, diesen Rat zu befolgen. Und so bringt uns das Taxi bis zur Strandpromenade, bzw. bis zu dem Teil, der überschwemmt ist und an dem das Taxi nicht weiterkommt. Von hier gehen wir zu Fuß. Meine beiden Kollegen sind fröhlich und wollen mal in diese, mal in jene Gasse gehen, aber ich bin ja von Hause aus ein kleiner Schisser und fühle mich von den vielen Augen der an den Häusern lehnenden jungen Männer eher bedroht als interessiert gemustert. Das Aushängeschild-Restaurant, über eine kleine Pier mit der Strandpromenade verbunden, ist durch das Erdbeben stark in Mitleidenschaft gezogen, nur noch das Dach schaut aus dem Wasser heraus. Auf unserem Weg zurück zum Schiff kommen wir nun an einer Stelle nicht mehr weiter, ohne knöcheltief ins Wasser zu steigen. Da kommt ein Mann auf seinem BMX daher und bietet uns sein Rad an, damit wir trockenen Fußes auf die andere Straßenseite kommen. Carlos spricht etwas Englisch und berichtet davon, dass das Erdbeben Puerto Bolivar besonders hart getroffen hat, die Menschen hier aber grundsätzlich an Erdbeben gewöhnt sind und eine Art „nach-dem-Beben-ist-vor-dem-Beben“-Einstellung herrscht. Es klingt ein bisschen durch, dass die Zerstörung auch durchaus etwas Gutes hat, denn dann wird hier – zumindest so weit das Touristenauge reicht - auf Geheiß von ganz oben repariert oder gar neu gebaut, was auch ohne Beben dringend instandgesetzt werden müsste.
    Zurück auf dem Schiff schaue ich noch eine Weile auf die Stadt runter. Ich denke darüber nach, was das eigentlich für ein zufälliges Glück ist, was für eine ungerechte Fügung, oder wie auch immer man es nennen mag, dass ich jetzt mit meinem Luxuskahn gleich wieder ablege und das nächste Ziel anlaufe, während Carlos auf seinem BMX genau dort bleibt, wo die Straße auch morgen noch überschwemmt ist und die Häuser notdürftig geflickt werden, ehe sie das nächste Beben wieder in Mitleidenschaft zieht. Und ob Carlos das vielleicht ganz anders sieht und hier in seiner leidgeprüften Hafenstadt 1000x glücklicher ist als wenn man ihn in einen Anzug stecken und ans Klavier setzen würde.
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