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- onsdag den 29. marts 2023
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ColombiaRío Jella6°13’54” N 77°24’43” W
Raquel und die kolumbianischen Klischees

Wir sind in Kolumbien und mal wieder im Expi-Modus. Das heißt, dass wir die Gäste mit Zodiacs an Land bringen, sobald die gerade an Bord gekommene Hafenbehörde unser Schiff freigegeben hat.
Ich sitze schon an Deck und schaue auf den sattgrünen Regenwald, ehe ich in 15 Minuten „stand-by am Sidegate“ sein muss.
Kolumbien – und insbesondere Chocó, die dünn besiedelte, unwegsame Regenwaldküste hier – ist ein paradiesischer Fleck Erde, der aber leider seit Jahrzehnten mit organisierter Kriminalität zu kämpfen hat. .. wobei sich die Lage nach dem Friedensabkommen mit der FARC 2016 deutlich entspannt hat.
Erst waren es die Guerillakämpfer, die sich hier in den Wäldern versteckten, dann kamen die Drogenküchen, um den großen Appetit der Welt (vor allem der USA) nach dem weißen Pulver aus Kolumbien zu stillen.
Beim Blick auf die dichten Regenwald-Hänge am Ufer kann ich mir sehr gut vorstellen, dass dort niemand gefunden wird, der nicht gefunden werden will.
Ich bin heute wieder Teil des Expeditionsteams und werde die fünfte von sechs Gruppen bei einem Rundgang durch den am Ende der Bucht gelegenen Ort begleiten. Dafür setze ich zusammen mit den anderen Gruppenbegleitern im ersten Boot über.
Der uns zur Seite gestellte örtliche Guide macht seinem Namen allerdings nicht viel Ehre, da er meist hinter der Gruppe herschlurft und nur auf Nachfrage ein bisschen was erzählen mag. Wir nehmen das mit Humor und ich biete den Gästen aus den kargen englischen Happen in der deutschen Übersetzung ein paar Infos mehr an, die ich mir aus dem Gesehenen zusammenreime. Es wird auf jeden Fall viel gelacht.
Nur acht Schiffe wie das unsere haben hier in den letzten neun Jahren festgemacht. Es gibt also quasi keinen Tourismus, von ein paar Backpacker-Lodges abgesehen. Ein Ort, der sich ganz ursprünglich zeigt, kein rundgelutschter Vorzeigedrops.
Was mich besonders beeindruckt sind die vielen Kinder. Wir besuchen zwei Kindergärten und eine Schule. Ich versuche, mit Händen und Füßen in Kontakt zu kommen und vermisse meine beiden Kleinen zu Hause ganz arg dabei.
Wir laufen durch die Straßen, vorbei an Embera-Indianern, die vor ihren Häusern sitzen. Ein Mann lädt gerade einen riesigen Thunfisch in sein Tuk Tuk, ein Pickup-Truck schlängelt sich daran vorbei, auf der Ladefläche drei Camouflierte mit Maschinengewehren in der Hand.
Die auf unterschiedlichen Routen durch den Ort geführten Gruppen treffen sich schließlich am zentralen Platz, wo ein paar Zelte und eine kleine Musikanlage aufgebaut sind, sodass wir der national erfolgreichen Tanzgruppe des Ortes bei einer kleinen Performance zuschauen können.
Die Führung ist zu Ende, und als ich mich langsam und noch etwas fotografierend zurück Richtung Schiff begeben will, spricht mich eine Frau auf Englisch an, die ich zunächst für einen Gast unseres Schiffes halte.
Raquel gehört aber nicht zu uns sondern lebt hier in Bahía Solana. Die 77-jährige Chilenin mit US-Staatsbürgerschaft, die stolz von ihren Enkeln in Dänemark, Belgien und Paris erzählt, bezeichnet sich selbst als Nomadin, die „hier im Regenwald, der Lunge unseres Planeten, das Paradies auf Erden gefunden hat“.
Ihre Vorfahren sind um 1850 aus einem Dorf nördlich von Berlin nach Chile ausgewandert. An den Namen des Ortes kann sie sich leider nicht erinnern.
Dafür kennt sie jeden Einwohner von Bahía Solana und erklärt mir, wie die Familien hier zusammenhalten. „Es gibt hier keinen Platz für böse Menschen, ich fühle mich so sicher hier. Durch die isolierte Lage müssen die Menschen zusammenhalten, miteinander klarkommen.“
Wie so viele Orte auf meiner Reise hat auch Bahía Solana keine Straßenanbindung. Es gibt jedoch einen kleinen Flughafen, von dem aus man in 25 Minuten in der Hauptstadt Bogota ist. Und tatsächlich surrt ein bis zweimal in der Stunde ein kleines Flugzeug über unsere Köpfe hinweg.
„Wir machen alles mit dem Flugzeug. Das Meer ist nur für die Drogen. Und Fisch.“
Als ich sie frage, wie präsent der Drogenhandel hier im alltäglichen Leben ist, erklärt sie, dass praktisch in jeder Familie irgendjemand darin verwickelt ist. „Die Leute haben hier sehr leistungsstarke Speedboote, deren Motoren teilweise 100.000 Dollar wert sind. Natürlich in erster Linie ganz offiziell zum Fischfang, aber sie sind damit auch innerhalb von wenigen Minuten weit auf dem offenen Meer, vor der Küste Panamas oder in einer der vielen kleinen Buchten. Und was sie da mit anderen Booten austauschen, naja, du kannst es dir denken.“
Klar, es passiere auch schon mal, dass hier jemand einen Kopf kürzer gemacht wird – sie fährt sich mit der Hand über die Kehle. Der Bürgermeister sei zum Beispiel letztens ermordet worden.
Mir läuft es trotz der Hitze etwas kalt den Rücken herunter und ich will unbedingt wissen, wie das mit ihrer Aussage zusammenpasst, dass es hier keine bösen Menschen gäbe. Sie überlegt eine Weile, dann erklärt sie mir, dass manche Menschen vielleicht zwei Gesichter haben. Das Problem, so sagt sie, sind nicht die Drogen als solches, sondern dass sie illegal sind.
„Weißt du, wäre es ein ganz normales Produkt, so gäbe es gar keine Grundlage für all die Gewalt und Machtspiele“. Sie steht sowieso außerhalb dieser ganzen Themen, weswegen die Menschen eben alle herzensgut zu ihr sind.
„You know, I’m an old woman, I’m not a thread to anyone. And how they earn their money, well, that‘s none of my business, right?“, sagt sie und wendet sich dem steil aufsteigenden Regenwald zu.
„Eigentlich ist es unmöglich, sich hier einen Weg in den Wald zu bahnen, aber letztens war ein Forscher da, der hat es dennoch versucht und dabei eine bisher unbekannte Froschart entdeckt.“
Die biologische Vielfalt und Kraft ist enorm. Wo auch immer das Auge hinwandert, überall Pflanzen dicht an dicht, oft ineinander verworren. dazwischen leider immer wieder weggeworfene Plastikflaschen, Autoreifen, auch ein verrostetes Wrack von einem Kleinbus.
Raquel schmerzt der viele Müll – teilweise angeschwemmt aus dem Pazifik und von den vielen Hunden in alle Himmelsrichtungen verschleppt.
Die alte Frau sammelt täglich etwas ein von diesem Müll. Dabei hat sie letztens ein Skorpion gebissen. Sie zeigt mir die Narbe am kleinen Finger. „Ich hab Glück gehabt“ sagt sie lächelnd. Glück auch, dass weder sie noch ich Bekanntschaft mit einer hier ebenfalls ansässigen Schlange namens „24 Horas“ machen, die so heißt, weil man nach dem Biss noch ziemlich genau 24 Stunden zu leben hat.
Das alles hat mir Raquel erzählt, während sie mit mir ganz langsam zur Zodiac-Anlandestelle gelaufen ist, an der ich mich jetzt von ihr verabschiede und herzlich bedanke für ihre offenen Worte.
Als ich zurück an Bord komme, ist unser Anlaufpunkt für morgen soeben von der örtlichen Agentur gecancelt worden, weil es dort Proteste gegen den Bürgermeister gibt und wir uns dort nicht sicher bewegen könnten. So rauchen hier mal wieder die Köpfe der Planenden und keiner weiß genau, was wir morgen machen werden.
Wie schon so oft auf dieser Reise bin ich mit Betreten des Schiffs zurück in meiner surreale Parallelwelt, die noch bis morgen früh in der Bucht vor Anker liegen wird – verbarrikardiert wie eine Festung und mit sämtlichen Suchscheinwerfern auf den unmittelbaren Bereich ums Schiff gerichtet.
Ein bisschen gruselig ist mir das schon, und das Bett in meiner fensterlosen Kammer heut noch etwas heimeliger als sonst.Læs mere