• Durch den Panamakanal

    March 31, 2023 in Panama ⋅ ☁️ 33 °C

    Den Abschluss (und für viele auch den Höhepunkt) unserer Reise bildet heute die Durchfahrt durch den Panamakanal.

    Nachdem ich gestern Abend zunächst als Neu-Mitglied des Besatzungs-Shantychores auf der Bühne stand (eine der schiefsten und gleichzeitig berührendsten Chorerfahrungen ever!), danach dann als DJ den Massen mächtig eingeheizt und schlussendlich den Abend noch etwas in der Crewbar hab ausklingen lassen, weckt mich der Wecker heute eher unsanft.
    Ein Blick aus dem Fenster (aka Bugkamera-Fernsehbild) verrät mir, dass es höchste Zeit ist, sich schnell was überzuwerfen und an Deck zu gehen. Wir sind schon im Begriff, die „Puente de Las Américas“ zu unterfahren. Diese Brücke war bis 2004 die einzige Straßenverbindung zwischen Süd- und Mittelamerika.
    Hinter dem imposanten Stahlbauwerk deuten sich schon die Einfahrten zu den alten und neuen Schleusen an.

    Ehrlich gesagt - und der Eindruck verstetigt sich im Laufe des Tages - erinnert mich das alles irgendwie an den Nord-Ostsee-Kanal, durch den ich am Ende einer der letzten Reisen gefahren bin und der sich in keinster Weise hinter dieser prestigeträchtigen Durchfahrt hier verstecken muss.

    An Bord korreliert das Interesse am Geschehen heute auffällig mit dem biologischen Geschlecht – funkelnde Männeraugen laufen mit ihren Besitzern aufgeregt von einer Seite des Decks zur anderen, um nicht etwa ein entscheidendes Detail zu verpassen, während die eine oder andere Dame noch versucht, in der verbleibenden Zeit bis zum Ausstieg morgen ihren Roman auszulesen.

    Die Geschichte um den Kanal ist wild und tragisch. Lange war hier ohnehin nur Wasser, dann haben vor 3 Millionen Jahren Subduktion und Vulkanismus ein bisschen S-förmiges Land hingekleckert, das nun wiederum irgendwie im Weg ist, wenn man von einem Ozean in den anderen will. Und so mussten die armen Kolonialherren (bzw. ihre afrikanischen Sklaven) das ganze erbeutete Gold und Silber umständlich über Land und durch unwegsames Terrain schleppen, ehe sie es von der Atlantikküste aus gen Spanien (und oft in die Hände karibischer Piraten) schicken konnten.

    Eine Eisenbahnlinie verbesserte die Lage etwas, aber die Bedeutung dieser „wichtigsten Abkürzung der Welt“ wurde für den Handel immer größer, sodass Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Bau eines Kanals begonnen wurde, dessen wichtigste Bedeutung bis heute die Verbindung der US-Küsten auf dem Seeweg ist – verkürzt er doch die Strecke von New York nach Los Angeles um rund 10.000 km, verglichen mit der Umrundung Südamerikas.

    Kanal buddeln, kann ja nicht so schwer sein. Erst haben die Franzosen es versucht und sind krachend gescheitert. Beflügelt durch ihre guten Erfahrungen beim Bau des Suezkanals wollten sie hier nach dem gleichen Prinzip vorgehen: Eine Verbindung zwischen den beiden Ozeanen ins Gelände schlagen und fertig. Die Schönwetterplanung ließ leider völlig außer acht, dass der Boden hier in der Regenzeit völlig aufweicht. Alles schwemmt und schlammt hinfort, was nicht terrassenförmig befestigt ist. Und so fiel das Projekt buchstäblich ins Wasser, inklusive der riesigen Dampfmaschinen.

    Viel fataler waren aber Malaria und Gelbfieber, die unter den Arbeitern bis zu 200 Tote forderten. Am Tag.
    Als das Projekt schließlich aufgegeben wurde, war nicht viel Kanal entstanden, aber fast 30.000 Menschen hatten ihr Leben verloren. Kapitalgeber aus der ganzen Welt, die bis zuletzt an das Projekt glauben wollten und immer mehr Geld nachschossen, hatten sich verzockt, was eine der ersten internationalen Finanzkrisen auslöste.

    Panama war damals übrigens noch eine Provinz in Nord-Kolumbien. Und als die USA es wenig später nochmal versuchen wollten mit dem Bau des Kanals, gefiel das den Kolumbianern nicht so gut. Doch wie es der Zufall wollte, erhoben sich just beim Besuch des US-Präsidenten Stimmen aus dem panamaischen Volk, die nach Unabhängigkeit riefen. Dieses Bestreben konnte natürlich nur Unterstützung finden bei den Freunden aus dem Norden, denen ja auch sehr viel an Unabhängigkeit, aber noch viel mehr an diesem Kreuzpunkt des Welthandels lag.
    Zufälligerweise hatten die Amis auch gleich noch drei Kriegsschiffe in der Bucht rumzuliegen. Kolumbien war völlig überrumpelt und drei Tage später wurde die Unabhängigkeitserklärung unterschrieben.
    Spannenderweise wurde in diesem Zuge das Territorium des Kanals direkt zu US-Staatsgebiet erklärt und erst 1999 offiziell an Panama zurückgegeben.

    Beim neuerlichen Bau wurde aus den Fehlern der Franzosen gelernt. In den ersten zwei Jahren kümmerte man sich ausschließlich darum, die Verbreitung von Gelbfieber und Malaria einzudämmen, die so viele Arbeiter der ersten Phase dahingerafft hatten.
    Darüber hinaus verlegte man sich auf ein anderes Konzept: Der Chagres-Fluss wurde zum Gatún-See aufgestaut, der heute das Zentrum der Passage bildet. Auf pazifischer Seite werden die Schiffe über drei Schleusenstufen um insgesamt 26m nach oben und damit auf das Niveau des Süßwassersees gehoben, während es auf karibischer Seite ebenfalls über drei Staustufen wieder hinunter auf das Niveau des karibischen Meeres geht.
    Der Culebra-Cut – also die Stelle, wo sich der Kontinentalrücken befindet und an der sich die Franzosen die Zähne ausgebissen hatten, musste nun nur noch 26m weniger tief (und mit mittlerweile deutlich besserer Technik) ausgehoben werden.
    Die Fertigstellung gelang 1913 und was folgte war nichts weniger als die Revolution der internationalen Seehandelsrouten.

    Umgeben ist der Kanal vom bestgeschütztesten Regenwald des Planeten. Weil wenn hier kein Regenwald, dann kein Regen, dann kein Stausee, dann kein Kanal. Wer da ganz genau draufschaut? Ihr könnt es euch denken.

    Unser Schiff (bzw. die Reederei) kostet die Passage übrigens rund $ 100.000. Die größten Containerschiffe der Post-Panamax-Klasse sind mit rund $ 1 Mio. pro Durchfahrt dabei. Irre, aber Zeit ist Geld, und die Zeit- bzw. Treibstoffersparnis wiegt diese Unsummen offensichtlich auf.

    Ich könnte jetzt noch eine Weile über die Maximalmaße von Containerschiffen fabulieren, aber ich vermute mal, dass ich eure Aufmerksamkeit eh schon etwas strapaziert hab mit den ganzen Infos, daher schaue ich jetzt mal lieber weiter auf die kleinen Inselchen des aufgestauten Sees. Vielleicht entdecke ich ja ein paar Krokodile, mindestens kann ich aber noch die unfassbar riesigen Containerschiffe bewundern, die fast zum Greifen nah an uns vorbeiziehen.
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