• Frau L. und Herr A.

    12. januar 2024, Sverige ⋅ 🌙 -12 °C

    Jeder Gast unserer Reise soll mindestens einmal ins Spezialiätenrestaurant des Schiffes zum Abendessen eingeladen werden.
    Klar, das Essen hier an Bord ist natürlich immer kostenlos, aber bei so einem Hosting zahlen die Gäste zusätzlich auch nichts für ihre Getränke und es gibt die Gelegenheit, sich während der sieben bis neun Gänge mal ganz in Ruhe mit jemandem vom Schiff auszutauschen.
    Anders als auf meiner letzten Expeditionsreise dürfen solche Einladungen hier nicht nur die Offiziere und hochrangigen Mitarbeiter aussprechen, sondern auch die Experten, zu denen ich in diesem Zusammenhang zähle.

    Bereits einige Tage zuvor habe ich mich am Rande eines Lappland-Vortrags sehr angenehm mit zwei älteren Gästen unterhalten. Als ich dann im Cruiseplan, dem groben Stundenplan der gesamten Reise, einen Abend entdeckte, an dem ich zu meiner Verwunderung nicht spielen muss, hab ich die Gelegenheit beim Schopf gepackt, den beiden eine Einladung zum gemeinsamen Abendessen auszusprechen.
    Das war gar nicht so einfach. Zunächst musste ich das ganz offiziell bei der Guest Relation Managerin beantragen, die den beiden dann wiederum von mir unterschriebene Einladungskarten mit Zeit und Ort in ihre Suite-Briefkästen hat bringen lassen.
    Und nun sitzen wir also hier, jeder an seinem Tischkärtchen platziert, ich den beiden mittig gegenüber. Fühle mich ein bisschen wie ein Standesbeamter.

    Frau L. und Herr A. haben sich vor vielen Jahren auf einer Kreuzfahrt kennengelernt, als sie jeweils noch mit ihren Ehepartnern die Welt bereisten. Also eigentlich haben sie sich schon kurz vor der Kreuzfahrt kennengelernt, als Herr A. den Koffer von Frau L. vom Gepäckband nahm. Der Kontakt quer durch Deutschland blieb lose bestehen, man telefonierte gelegentlich. Nachdem Frau L. ihren Mann nach schwerer Krankheit verlor und die Lust zu leben fast gleich mit, entschloss sich das Ehepaar A., sie mit einer neuerlichen gemeinsamen Reise auf andere Gedanken zu bringen. Natürlich sollte es wieder eine Kreuzfahrt sein. „Du, pass mal auf, wir haben das jetzt gebucht, bist du dabei?“.
    Sie war dabei.
    Und nun – seine Frau ist kürzlich ebenfalls gestorben – war es sie, die bei ihm anrief. „Hör mal, machen wir wieder eine Fahrt zusammen? Ich hab hier was rausgesucht.“
    So sitzen sie mir hier gegenüber, jeder allein und doch irgendwie zusammen. Frau L. trägt feinen Schmuck, Herr A. einen karierten Pullover.

    Die Geschichten der beiden, die große Karrieren hinter sich haben und sowohl beruflich als auch privat weite Teile der Welt gesehen haben, ziehen mich in ihren Bann. Ich erfahre, dass der Jemen ein unfassbar schönes Land sein muss, ich schmunzele über die Stolpersteine, die sich einem in den Weg legen, wenn man plötzlich innerhalb weniger Tage nach London oder Barcelona umziehen muss. Auch spannend zu hören, wie es ist, in verschiedenen Ministerien zu arbeiten.

    Unsere Tischgemeinschaft scheint mir irgendwie magisch und ich denke, dass es nicht nur am guten Wein liegt. Auf der einen Seite zwei, die ganz bewusst ohne Kinder durch ein arbeitsreiches Leben gegangen sind und nun mit Freude und Dankbarkeit die Früchte dessen ernten, was sie sich jahrzehntelang erarbeitet haben, auch wenn sie sicher noch viel lieber mit ihren Ehepartnern hier wären.
    Auf der anderen Seite jemand, der sich recht jung fühlt in dieser Gesellschaft, dessen größtes Glück seine kleine Familie ist und der einen Beruf ausübt, der es ihm leider nicht ermöglicht, Jahr für Jahr große Beträge für ein rosiges Dasein im Alter zur Seite zu legen.
    Andererseits… Sitzen wir nicht alle drei gerade an diesem edlen Tisch hier heute Abend, irgendwo vor der Küste Lapplands? Macht es einen Unterschied, ob man zum Spaß hier ist und viel Geld dafür bezahlt hat oder ... naja ... zum Spaß hier ist und etwas Geld dafür bekommt? 😉
    Vielleicht ist die Reihenfolge, in der man sich so etwas gönnt im Leben, bei mir einfach nur ein bisschen anders als bei Frau L. und Herrn A..
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