• Herr Ozeanpianist
January 2024

Am anderen Ende der Ostsee

Die Tasten, die die Welt bedeuten, sind mir mal wieder sehr behilflich dabei, mir die Welt anzuschauen. 2 Wochen lang bin ich einerseits fast vor der Haustür, andererseits in fremden, eisigen Welten unterwegs. Einmal Lappland und zurück. Read more
  • Trip start
    January 4, 2024
    mein Arbeitsplatz

    Hello Again

    January 4, 2024 in Germany ⋅ ☁️ -1 °C

    Nachdem mich meine letzte Schiffsreise ja recht weit weggeführt hat, wollte ich für 2024 ein bisschen was vor-der-Haustür-mäßiges. Da passte die Anfrage perfekt, gleich Anfang Januar eine zweiwöchige Tour auf der Ostsee musikalisch zu begleiten. Näher dran geht ja nun wirklich nicht.

    Ach Ostsee.
    Unzählige Sommer hab ich schon an deinen Stränden verbracht, mir Sand, Quallen und Algen um die Füße spülen lassen. Ich kenn dich grau, grün und braun, manchmal sogar blau. Ich hab dich tobend weiß im Sturm und tiefschwarz in der Nacht erlebt.
    Gleichzeitig weißt du auch ne ganze Menge von mir.
    Du kennst das Heimweh, das ich als Fünfjähriger auf der dreiwöchigen Kindergartenreise hatte. Du hast mich erst mit meinen Schwestern im Sand spielen, später betont gelangweilt danebensitzen sehen. Deinen Wellen habe ich so manchen Teenie-Liebeskummer anvertraut und dein Strand hat sich fürchterlich gedreht bei meiner Abifahrt. Du warst mein erstes Reiseziel mit eigenem Auto und bist immer noch erste Wahl, wenn die Kinder mal ein Wochenende bei den Großeltern sind.
    Zwei Wochen Ostsee, wird das also ein Heimspiel?

    Natürlich weiß ich, dass der mir vertraute Teil ganz am südlichen Ende nur ein winziger Ausschnitt unseres kleinen hübschen Binnenmeeres ist, und selbst wenn ich die Eindrücke hinzunehme, die ich von der dänischen, schwedischen und polnischen Ostsee in meinem Kopf finde, bleibt das Bild doch höchst unvollständig. Daher ist meine Freude groß, dass wir weit über meinen Ostsee-Erfahrungshorizont auf der Höhe Stockholm/Helsinki hinaus durch den Bottnischen Golf, den Bottnischen Meerbusen und schließlich bis ganz an den nördlichen Zipfel fahren werden.

    Dort drüben sehe ich das Schiff schon liegen, am Ostseekai 28 in Kiel.
    Hat sich nachts im Sturm heimlich angeschlichen, während ich vorschriftsgemäß im hafennahen Hotel genächtigt hab.

    Ich bin ein bisschen aufgeregt. Weiß ja, dass der erste Tag an Bord geprägt sein wird von vielen neuen Gesichtern, Informationen, Sicherheitseinweisungen. So sehr ich mich auch bemühen mag, ich werde das eine oder andere falsch machen. Und ich mag es nicht, Dinge falsch zu machen. Ich werde innerhalb weniger Minuten mit zahlreichen Menschen sprechen, die ich noch nie gesehen hab. Erste Eindrücke hinterlassen, erste Eindrücke bekommen. Das ist nicht gerad Comfort Zone für mich.
    Ich bin ja weder auf’n Kopf noch auf’n Mund gefallen, trotzdem sitzt mir immer die unbestimmte Sorge im Nacken, das am Anfang irgendwie zu verkacken und den Rest der Reise damit zubringen zu müssen, aus der Schublade wieder rauszuklettern, in die mich das einhellig gefällte Urteil der Crew an Tag 1 gesteckt hat.

    Dass mir dabei wenigstens die Schubladen des Schiffes schon vertraut vorkommen werden, weil es baugleich mit dem ist, das mich erst vor ein paar Monaten die Westküste Südamerikas entlang getragen hat, wird auf jeden Fall hilfreich sein.

    Zeit, die Koffer über die verschneite Straße ins Hafenterminal zu wuchten und an Bord zu gehen.
    Read more

  • Direkt vom Bett aufs Deck. Huh kalt!Wer per Schiff nach Stockholm will, muss seit jeher da vorne durch. Früher wurden ungebetene Gäste.... hier von allen Seiten beschossen. Die Wehranlagen sind immer noch da, aber wir haben Glück heute.Schiefe Laterne mit Schiffchen im HintergrundBlick von meiner Nicht-Sightseeing-AutobrückeSchwedyllefieses Hängetasten

    Stockholm

    January 6, 2024 in Sweden ⋅ ⛅ -11 °C

    Jaja, ich weiß.
    Natürlich waren alle super nett und aufgeschlossen an Bord, ich hab mich problemlos einrichten können und ein gechilltes erstes Abend-Set an den Tasten verbracht. Also quasi exakt so, wie ich es vorhergesehen habe. 😉

    Nachdem wir die erste Nacht und den darauffolgenden Tag auf See verbracht haben, weckt mich am Morgen ein Geräusch, das ich noch nicht kenne. Klingt wie feiner Regen, der aufs Dach prasselt. Nur dass hier in meinem fensterlosen Würfel im Bauch des Schiffes weit und breit kein Dach ist.
    Schnell dick angezogen und an Deck gehechtet, stelle ich fest, dass wir soeben in den Stockholmer Schärengarten einfahren, dessen Wasseroberfläche schon von einer feinen Eisschicht überzogen ist.
    Aah! So klingt das also, wenn wir durch Eis fahren, verstehe! (Wie ich mich täuschen sollte.. 😉)

    Wir passieren die zahlreichen kleinen Inselchen (ja, auch die vom ABBA-Mann Björn Ulvaeus) und machen direkt im Stadtzentrum fest. Knackige -12 Grad stehen auf dem Thermometer und ich bin wild entschlossen, mir diese erste Stadt der Reise zu erlaufen. Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen.
    Da Stockholm schon ne Weile für einen kleinen Städtetrip mit meiner Liebsten auf dem Plan steht, nehme ich mir vor, um alles, was irgendwie nach Sightseeing aussieht, einen großen Bogen zu machen.

    Wirklich null nach Stadtbummel sieht die riesige Autobrücke da ein paar Kilometer westlich unseres Liegeplatzes aus, und so laufe ich entlang des gefrorenen Mälarstrands durch kleine Parks, vorbei an unzähligen warm eingekleideten Menschen (mit noch wärmer eingepackten Hunden), bis ich schließlich von besagter Brücke einen wunderschönen Blick über die Altstadt von Stockholm hab.

    Zurück an Bord, langsam wieder aufgetaut und bereit, den Abend am Flügel zu verbringen, gibt es noch eine Überraschung der unangenehmeren Art: Beim Spielen der ersten 8 Töne entschließen sich nur 4 Tasten, pflichtgemäß wieder nach oben in ihre Ausgangsstellung zu kommen, während die anderen einfach unten hängenbleiben. Ähm… Das war gestern noch nicht so.
    Und vorgestern in Kiel war doch erst der Stimmer da und hat alles überprüft. Was ist da los?
    Nachdem ich mich bis zum Ende meines ersten Sets um die Hängetöne herumimprovisiert hab, erklärt mir ein uriger Klavierbauer auf Youtube, dass hängende Tasten bei bestimmten Luftfeuchtigkeitsveränderungen durchaus mal vorkommen können, es aber einen Trick gibt, den faulen Tönen wieder Beine zu machen.
    Etwas mulmig ist mir schon, dem feinen Steinway-Flügel mit einem dicken Spachtel grob zwischen seinen weißen Tasten herumzuhebeln, aber es hilft tatsächlich. Jetzt hängt nur noch das eine c, und das anscheinend auch nur, wenn weniger als minus 10 Grad sind draußen. Damit kann ich umgehen. 😉

    Während ich die letzten Töne des Abends spiele, haben wir Stockholm längst hinter uns gelassen und fahren gerade nördlich aus dem Schärengarten hinaus auf die offene Ostsee. Wieder alles flüssig unterm Kiel.
    Allerdings nur für kurze Zeit. Denn ab jetzt – so hat es der Kapitän gerade vielsagend verkündet - bestimmt die Eislage unsere Tour.
    Read more

  • Die Sonne geht auf überm Eis ..
    .. spendiert unserem kleinen Schiff einen Öltanker-Schatten .... verzaubert uns noch ein bisschen mit ihrem Farbenspiel .... und plumpst zeitnah wieder ins MeerEisbrecher macht die "Gegenfahrbahn" freiMein Schatten und ich beim Eisknackgucken; Schiff fährt nachts vorsichtshalber mit Fernlicht.

    Ab in den hohen Norden

    January 7, 2024, Gulf of Bothnia ⋅ 🌬 -8 °C

    Der angekündigte Tag auf See entwickelt sich schon früher als vermutet zum Tag auf Eis. Durch die niedrigen Temperaturen der Vortage – teilweise unter -40 Grad – ist die Ostsee bereits südlich der schwedischen Stadt Umeå von einer geschlossenen Eisschicht bedeckt, über die wir – so scheint es zumindest – sanft hinweggleiten.
    Ich stehe vorn am Bug und könnte stundenlang zusehen, wie wir Ice Age-mäßig die riesige weiße Landschaft aufknacken. Die Risse eilen uns teilweise hunderte Meter voraus, fußballfeldgroße Platten driften ächzend auseinander und geben kurz den Blick frei auf die darunterliegende schwarze Ostsee. Schollen schieben sich übereinander, wirken dabei recht unvorbereitet und erschrocken ob der plötzlichen Bewegung, dürfen sich aber vermutlich den Rest ihres Daseins wieder in Stille von der tiefstehenden Sonne bescheinen lassen.

    Je nördlicher wir kommen, desto langsamer wird unsere Fahrt. Und was vorn am Bug so schön aussieht, ist unten in meiner Kabine vor allem eins: Laut. Die schwedische Küstenwache hat uns mittlerweile angewiesen, bestimmte Wegpunkte abzufahren. Das macht es den Behörden leichter, den Schiffsverkehr bei Eis zu überwachen. Viel los ist hier oben ohnehin nicht.

    Frank, unser Lappland-Experte aus Emden, der vor 16 Jahren mit seiner Freundin in eine kleine Stadt in Nordschweden ausgewandert ist und dort als Allgemeinmediziner arbeitet, hält unterdessen einen sehr spannenden Vortrag. Er spricht darüber, wie es ist, wenn das nächste Krankenhaus 170 Kilometer entfernt ist. Wenn man sich die Bilder seiner Praxis anschaut, dann kriegt man ein ganz gutes Gefühl, wo es bei uns im ländlichen Raum so hingehen könnte in den nächsten Jahren. Mit Kamera und riesigem Bildschirm schaltet er je nach Fall Experten aus den entsprechenden Fachrichtungen dazu, die in irgendeiner Uniklinik in der Großstadt sitzen und mit deren Hilfe er genau abklären kann, ob dem Patienten vor Ort geholfen werden kann oder doch der Krankenwagen bzw. Hubschrauber los muss.

    Krankenkassen gibt es übrigens nicht in Schweden, das Gesundheitssystem ist hier komplett steuerfinanziert. Über unseren aufgeblasenen Krankenkassen-Apparat mit all seinen zu finanzierenden Vorständen und Verwaltungssitzen schüttelt man in Schweden nur ungläubig den Kopf. Dafür greift der Staat jedem in Schweden Einkaufenden kräftig in die Tasche.
    Alkohol ist hier ja bekanntlich besonders teuer, was dazu führt, dass jeder zu einer Party seine eigene Flasche Schnaps mitbringt, um den Gastgeber nicht unnötig zu belasten. Da gibt jeder dann für alle mal ne Runde aus und nimmt am Ende seine Flasche wieder mit nach Haus.

    Spannend auch, dass Datenschutz und Privatsphäre in Schweden etwas anders definiert werden als bei uns. Wem der Porsche da vorn gehört, kann jeder anhand des Kennzeichens in einem öffentlichen Register einsehen. Ebenso, wieviel Steuern jemand in den vergangenen Jahren gezahlt hat, was dazu führt, dass die Zeitungen jährlich im März riesige Listen abdrucken, wer in welcher Kommune am meisten verdient hat. Bevor man also einen Handwerker engagiert, schaut man erstmal nach, wie sein Geschäft so gelaufen ist die letzten Jahre – möglicherweise nimmt man dann doch lieber einen anderen?

    Während die Gäste und ich gebannt Franks Erzählungen lauschen, wird das Eis draußen merklich dicker.
    Am Ende des Tages kämpfen wir uns bereits in Zeitlupe durch die etwa 60cm dicke Platte. Alles an Bord vibriert, als würde man mit einem gigantischen Bus über Kopfsteinpflaster fahren. Am Klavier hängt durch das Gerumpel immerhin mein fauler Freund c nicht mehr so sehr in den Seilen, sodass ich heute sehr vergnügt meine musikalischen Runden drehe. An Schlaf ist ohnehin nicht zu denken, sodass ich nach getaner Arbeit auch erstmals auf dieser Reise in der Crewbar vorbeischaue und der wohl innigsten Karaokedarbietung ever des Songs „Bochum“ von einem unserer Köche beiwohne.
    Als wir um 1:30 Uhr schließlich zum Stehen kommen, weil uns die Behörden erst am nächsten Morgen einen lokalen Eisbrecher für die letzten Seemeilen bis zum Hafen zur Verfügung stellen werden, fällt das gesamte Schiff ob der plötzlichen Stille in einen wohligen Dornröschenschlaf.
    Read more

  • Der Eisbrecher hilft uns beim AnlegenGezeichnet vom Eis - der Lack is abSpazieren auf der OstseeHier hängen 100% der parkenden Autos am Strom! Allerdings nur für die ZusatzheizungBereit für meinen ersten LandausflugMeine Lemminge auf dem Weg zur Klippe 😉Latschen mit QuadratlatschenPause am FeuerIch und mein BaumIch, ähm, geh einfach woanders lang, schon okay.WinterzauberweltenSchweres Gerät gegen die Schneemassen

    Luleå

    January 8, 2024 in Sweden ⋅ ⛅ -2 °C

    Nachdem der Eisbrecher uns die Pier freigepustet hat, können wir in der schwedischen Hafenstadt Luleå festmachen, die unweit der finnischen Grenze in der Nähe des Polarkreises liegt und früher vor allem für den Export von Eisenerz aus den umliegenden Mienen bedeutend war.
    Das Schiff wird hier zwei Tage liegen und so den Gästen die Möglichkeit geben, verschiedene Landausflüge zu machen. Wie schon bei meiner Expeditionsreise in Südamerika freut sich die Touristik an Bord über tatkräftige Unterstützung bei den „Shore Excursions“, und so biete ich mich gern als schiffsseitige Begleitung/Übersetzung an. Eine Win-Win-Situation, denn so komme ich in den Genuss atemberaubender Aktivitäten, für die unsere Gäste sehr viel Geld gezahlt haben.
    Am ersten Tag hab ich aber glücklicherweise noch keinen Ausflug zugeteilt bekommen, sodass ich die Stadt ganz in Ruhe zu Fuß erkunden kann. Vor allem die Schneemassen beeindrucken mich. Sie sind zu haushohen Haufen aufgetürmt und müssen kontinuierlich aus der Stadt gebracht werden in den Wintermonaten.

    Luleå liegt am Delta des gleichnamigen Flusses. Von Oktober bis April führen eisige Wanderwege auf Fluss und Ostsee einmal komplett um die Stadt herum. Überhaupt sind die Wintersportbedingungen hier so stabil, dass beispielsweise die eislaufverrückten Niederländer eines ihrer wichtigsten Eisrennen mittlerweile hier oben austragen. Der Klimawandel lässt grüßen.
    Ganz um die Stadt herum schaffe ich es nicht – ein bisschen arbeiten muss ich ja auch hin und wieder – aber es wird doch ein ausgedehnter Spaziergang über die Ostsee bei herrlichem Sonnenschein.

    Am nächsten Tag lautet meine „daily duty“ Begleitung einer Schneeschuhwanderung auf einen kleinen Berg. Ein Dutzend Gäste und ich fahren mit dem Bus zu einem verschneiten kleinen Parkplatz inmitten eines Naturreservats, wo unser örtlicher Guide Henrik schon die Schneeschuhe für uns bereitgestellt hat. Nachdem wir diese angelegt haben, stapfen wir wie die Lemminge im Gänsemarsch den malerischen Pfad durch den Wald entlang. Aufgescheuchte Rentiere führen zu Verzückungsrufen und hastig hervorgekramten Digitalkameras. Henrik erklärt allerhand am Wegesrand und ich frag mich insgeheim, ob das nicht ein bisschen übertrieben ist, hier mit diesen skateboardartigen Plattfüßen durchs Gelände zu watscheln, wenn wir mit normalen Schuhen längst oben wären. Da stehen wir plötzlich an einer Lichtung, der Weg hört auf und wir schauen auf ein weites, verschneites Feld. Und mit einem Mal machen die Backbleche unterm Fuß enorm viel Sinn.
    Vorsichtig mache ich mich auf den Weg und sinke bei jedem Schritt „nur“ ungefähr 30-40 cm ein. Ohne Schneeschuhe - so versichert es mir Henrik - wäre es mindestens ein Meter und meine Wanderung somit nach ziemlich genau einem Schritt zu Ende.

    Oben angekommen genieße ich den Ausblick über das Delta des Luleå-Flusses, der hoch in den Bergen Norwegens entspringt. Der nahegelegenen Militärbasis entspringen immer mal wieder ein paar Kampfjets, die über unseren Köpfen ihre Kreise ziehen, was ich auch nicht so ganz unspannend finde.

    Auf dem Weg zurück zum Bus gibt’s bei Glögg und Spekulatius noch ein kleines Päuschen am Lagerfeuer. Wir sitzen auf Rentierfellen (super warm und weich!) und hören noch ein bisschen, was Henrik über das Leben in Lappland berichtet. Die Menschen, die ich hier treffe, wirken auf mich einerseits etwas schüchtern und verschlossen, andererseits sind sie einander viel zugewandter, verbindlicher, als ich das aus Berlin kenne. Man schaut aufeinander – „Are you okay?“ – und jeder scheint stets darauf vorbereitet, seinem Nächsten in dieser rauen Umgebung zu helfen. Ich helfe natürlich auch, wenn meine etwas in die Jahre gekommenen Pappenheimer übermütig werden mit ihren Schneeschuhen und dann wie Maikäfer im Schnee liegen. Ich bin ja nicht zum Spaß hier. 😉

    Bevor es zurück zum Schiff geht, lässt uns Henrik noch mal in alle Himmelsrichtungen ausschwärmen. Jeder soll sich irgendwo im Wald einen Baum suchen und diesen auf sein Zeichen hin eine Minute lang in Stille umarmen. Mein Baum ist zweifelsohne der schönste von allen und die Minute in absoluter Schnee-Stille eine ganz unerwartete Umarmung der Seele. Ich nehme mir vor, fortan öfter mal einen Baum zu umarmen.

    Gerade als unser Schiff unter eisbrecherischem Getöse Luleå verlässt und Kurs auf Finnland und den nördlichsten Hafen unserer Reise nimmt, nimmt mich unsere Shore Excursion Managerin Alex zur Seite: „Du, morgen findet der allercoolste Ausflug der Reise statt und ich hab noch einen Platz frei. Bezahlt sind die Plätze eh. Möchtest du vielleicht mitfahren?“
    Was für eine Frage!
    Read more

  • Von Schlittenhunden und Schneemobilen

    January 11, 2024 in Finland ⋅ ⛅ -14 °C

    Nach der Umstellung auf finnische Zeit ist es gefühlt 6:45 Uhr, als ich dick eingepackt die Gangway hinuntergehe und mich in den warmen Reisebus setze.
    Der ganztägige Ausflug verspricht spannend zu werden, doch zunächst müssen wir von Kemi aus anderthalb Stunden gen Norden fahren.
    Schon lange vor Sonnenaufgang (10:25 Uhr) beginnt es in allen Farben zu dämmern, und als wir bei Rovaniemi den Polarkreis (und das Disneyland-artige Zuhause des Weihnachtsmanns) passieren, sind es nur noch wenige Kilometer bis zur Huskyfarm. Die Luft ist eisig, klar und erfüllt von freudigem Hundegebell.

    Im Umkleideraum geht es ähnlich wild her wie im Hundezwinger, da im selben Moment wie wir auch noch ein paar Franzosen und Japaner ihre Thermoanzüge anziehen wollen, aber das ist schnell vergessen, als uns ein launiger finnischer Teenie-Hüne die Funktionsweise des Hundeschlittens erklärt. „Das Wetter ist perfekt, die Hunde haben richtig Bock und echt viel Kraft. Ich empfehle euch, gerade am Anfang kontinuierlich auf der Bremse zu stehen. Denn wenn der Fahrer hinten vom Schlitten fällt, wird das Teil mit einem Mal leichter und die Hunde geben richtig Gas, während der vorn im Schlitten Sitzende nicht so viele Möglichkeiten hat, daran irgendwas zu ändern.“
    Ähm. Mulm.
    Wir bilden Zweierteams und ich fahre mit Kryzstof, dem Videographer unseres Schiffes, der erstmal in aller Ruhe seine GoPro vorn am Schlitten befestigt, während ich mit beiden Füßen auf der Bremse stehe und etwas kleinlaut die fünf eingespannten Hunde anlächle, die bellend ihre Köpfe zurückwerfen und mir sowas zurufen wie „Alter, woran liegt’s?! Wir sind Alaskian Huskies, born to run, nimm endlich deine Quadratlatschen von der Bremse, du Vogel!“
    Mach ich dann auch. Mit einem kräftigen Ruck geht’s los, den anderen Schlitten hinterher. Der Fahrtwind peitscht mir ins Gesicht, die Hunde fliegen in ungekannter Eleganz und absoluter Stille vor uns her und ich finde plötzlich, dass die Kufen unter meinem Schuh doch arg schmal ausfallen, wenn man das mit dem nicht runterfallen wirklich ernst nehmen soll. Einen Fuß hab ich bremsbereit auf dem gezackten Metallriegel, aber sobald ich ihn heruntertrete und damit den Schnee auch nur leicht berühre, dreht sich der letzte Hund verächtlich zu mir um und ich könnte schwören, dass er mit den Augen rollt.
    Ich genieße die Fahrt sehr, bin überwältigt von der Schönheit und Kraft der athletischen Tiere, ebenso natürlich von der tief verschneiten Landschaft. Nach 20 Minuten tauschen wir die Positionen. Kryzstof montiert sein Gestell in aller Seelenruhe wieder ab und ich setze mich in den Schlitten, gebe die geliebte Kontrolle über mein Leben weitestgehend ab und hoffe, dass mit meinem Nachlass soweit alles geregelt ist.
    Krystof ist vielleicht 1,60m, ein etwas wortkarger aber freundlicher Zeitgenosse und ich hoffe inständig, dass er sowas in der Art schon mal gemacht hat, damit ich nicht – wie bereits hervorragend in meinem Kopfkino aufbereitet – wild schreiend mit dem herrenlosen Schlitten durch den Birkenwald brettere, vorbei an gezückten Digitalkameras aus den späten 90ern, während ich versuche, nach hinten auf die Kufen zu klettern und das Geschoss zum Stehen zu bringen.
    Krystof ist nicht der Mann großer Worte. „Gut?“ fragt er. „Gut.“ sage ich.
    Dann geht die Fahrt mit einem neuerlichen Ruck los und wir jagen wieder die Piste entlang. Natürlich bremst Krystof kein einziges Mal, denn ihm ist ja völlig klar, dass wir uns - auch wenn es nicht so aussieht - wie auf einer Bobbahn in einem längst festgefügten Kanal bewegen und der Schlitten von den kleinen Seitenbegrenzungen aus gefrorenem Schnee stets mehr oder weniger sanft wieder in die Mitte der Piste geschubst wird, lange bevor er mit irgendwelchen Bäumen kollidieren könnte. Ich geb dem Schisser in mir eine freundliche Umarmung und genieße fortan jede Sekunde dieses großartigen Hundeschlitten-Abenteuers.

    Auf der Husky-Farm leben insgesamt 212 Tiere, in familienähnlichen Gruppen oder als Pärchen, je nachdem, wie sie so drauf sind. Sie haben in den 8 Monaten der Saison ganz normale Arbeitstage und Schlitten-Schichten, aber natürlich auch freie Tage und sogar Urlaub. Eine Gewerkschaft haben sie aber glaub ich nicht.
    Dafür liebevolle Ranger, die sich rührend um ihre Tiere kümmern und uns erzählen, dass es gar nicht so leicht sei, Hunde nach ihrem zehn- bis zwölfjährigen Arbeitsleben in Rente zu schicken. Es so ist unfassbar tief in ihrer DNA verankert, durch die Gegend rennen zu wollen, dass sie damit nur schwer wieder aufhören können.
    So gibt es dann sowas wie Altersteilzeit und schließlich kümmern sich die ganz Alten als „Großeltern“ um die jungen Welpen der Farm, wie in einer Art Kindergarten, in dem die Kleinen von den Großen lernen, was man macht und was besser nicht.

    Nachdem wir uns in der Hütte etwas aufgewärmt haben, bekommt nun jeder einen Helm und wir gehen vor die Tore der Farm, wo schon ein Dutzend Schneemobile bereitstehen. Mit diesen geht es nun nach einer kleinen Einweisung raus in die finnischen Wälder und schließlich auf einen zugefrorenen See. Das macht schon Spaß, rumpelt aber auch ganz schön, und obwohl ich eingepackt bin wie ein Michelinmännchen, merke ich die -18 Grad bei 30-40km/h Fahrtwind doch schon sehr. Besonders Finger und Zehen verabschieden sich recht schnell aus dem Gefühlsstuhlkreis und so bin ich nach den 2h sehr froh, wieder im warmen Bus Richtung Schiff zu sitzen.
    Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, dass ich auf einem zweiten Schneemobil-Ausflug am darauffolgenden Tag - ausgestattet mit vier Paar Socken und zwei Paar Handschuhen - sehr happy über die zugefrorene Ostsee pesen werde. 😊
    Read more

  • Frau L. und Herr A.

    January 12, 2024 in Sweden ⋅ 🌙 -12 °C

    Jeder Gast unserer Reise soll mindestens einmal ins Spezialiätenrestaurant des Schiffes zum Abendessen eingeladen werden.
    Klar, das Essen hier an Bord ist natürlich immer kostenlos, aber bei so einem Hosting zahlen die Gäste zusätzlich auch nichts für ihre Getränke und es gibt die Gelegenheit, sich während der sieben bis neun Gänge mal ganz in Ruhe mit jemandem vom Schiff auszutauschen.
    Anders als auf meiner letzten Expeditionsreise dürfen solche Einladungen hier nicht nur die Offiziere und hochrangigen Mitarbeiter aussprechen, sondern auch die Experten, zu denen ich in diesem Zusammenhang zähle.

    Bereits einige Tage zuvor habe ich mich am Rande eines Lappland-Vortrags sehr angenehm mit zwei älteren Gästen unterhalten. Als ich dann im Cruiseplan, dem groben Stundenplan der gesamten Reise, einen Abend entdeckte, an dem ich zu meiner Verwunderung nicht spielen muss, hab ich die Gelegenheit beim Schopf gepackt, den beiden eine Einladung zum gemeinsamen Abendessen auszusprechen.
    Das war gar nicht so einfach. Zunächst musste ich das ganz offiziell bei der Guest Relation Managerin beantragen, die den beiden dann wiederum von mir unterschriebene Einladungskarten mit Zeit und Ort in ihre Suite-Briefkästen hat bringen lassen.
    Und nun sitzen wir also hier, jeder an seinem Tischkärtchen platziert, ich den beiden mittig gegenüber. Fühle mich ein bisschen wie ein Standesbeamter.

    Frau L. und Herr A. haben sich vor vielen Jahren auf einer Kreuzfahrt kennengelernt, als sie jeweils noch mit ihren Ehepartnern die Welt bereisten. Also eigentlich haben sie sich schon kurz vor der Kreuzfahrt kennengelernt, als Herr A. den Koffer von Frau L. vom Gepäckband nahm. Der Kontakt quer durch Deutschland blieb lose bestehen, man telefonierte gelegentlich. Nachdem Frau L. ihren Mann nach schwerer Krankheit verlor und die Lust zu leben fast gleich mit, entschloss sich das Ehepaar A., sie mit einer neuerlichen gemeinsamen Reise auf andere Gedanken zu bringen. Natürlich sollte es wieder eine Kreuzfahrt sein. „Du, pass mal auf, wir haben das jetzt gebucht, bist du dabei?“.
    Sie war dabei.
    Und nun – seine Frau ist kürzlich ebenfalls gestorben – war es sie, die bei ihm anrief. „Hör mal, machen wir wieder eine Fahrt zusammen? Ich hab hier was rausgesucht.“
    So sitzen sie mir hier gegenüber, jeder allein und doch irgendwie zusammen. Frau L. trägt feinen Schmuck, Herr A. einen karierten Pullover.

    Die Geschichten der beiden, die große Karrieren hinter sich haben und sowohl beruflich als auch privat weite Teile der Welt gesehen haben, ziehen mich in ihren Bann. Ich erfahre, dass der Jemen ein unfassbar schönes Land sein muss, ich schmunzele über die Stolpersteine, die sich einem in den Weg legen, wenn man plötzlich innerhalb weniger Tage nach London oder Barcelona umziehen muss. Auch spannend zu hören, wie es ist, in verschiedenen Ministerien zu arbeiten.

    Unsere Tischgemeinschaft scheint mir irgendwie magisch und ich denke, dass es nicht nur am guten Wein liegt. Auf der einen Seite zwei, die ganz bewusst ohne Kinder durch ein arbeitsreiches Leben gegangen sind und nun mit Freude und Dankbarkeit die Früchte dessen ernten, was sie sich jahrzehntelang erarbeitet haben, auch wenn sie sicher noch viel lieber mit ihren Ehepartnern hier wären.
    Auf der anderen Seite jemand, der sich recht jung fühlt in dieser Gesellschaft, dessen größtes Glück seine kleine Familie ist und der einen Beruf ausübt, der es ihm leider nicht ermöglicht, Jahr für Jahr große Beträge für ein rosiges Dasein im Alter zur Seite zu legen.
    Andererseits… Sitzen wir nicht alle drei gerade an diesem edlen Tisch hier heute Abend, irgendwo vor der Küste Lapplands? Macht es einen Unterschied, ob man zum Spaß hier ist und viel Geld dafür bezahlt hat oder ... naja ... zum Spaß hier ist und etwas Geld dafür bekommt? 😉
    Vielleicht ist die Reihenfolge, in der man sich so etwas gönnt im Leben, bei mir einfach nur ein bisschen anders als bei Frau L. und Herrn A..
    Read more

  • Festgefahren, Rückwärtsgang
    Schneeschippen an Deckjeder nur ein Kreuz bitteMeine letzte Erinnerung an diese Liegen ist, dass man nach 10 Minuten einen Sonnenbrand hatteAussicht aufs Eis aus der Observation Lounge

    Zu viel Eis vor Oulo

    January 13, 2024 in Finland ⋅ ☁️ -10 °C

    Die Eislage rund um den Hafen, den wir als nächstes anlaufen wollen, beobachten wir im Expeditionsteam seit Tagen mit Sorge. Nun hat sie sich erneut verschärft, sodass der Kapitän entschieden hat, Oulu nicht anzulaufen. Zu groß ist die Gefahr, dass wir unterwegs hängenbleiben, auf einen Eisbrecher warten müssen und dann die geplanten Ausflüge nicht stattfinden können.

    Da es von Kemi bis Oulu mit dem Bus nur anderthalb Stunden sind, werden kurzerhand Shuttlebusse für den folgenden Tag beordert, die die Gäste zur nächsten Destination bringen.

    Bei den Gästen gibt es hier und da Unverständnis ob dieser Entwicklung. Viele der Reisenden sind es gewohnt, dass man Dinge für sie möglich macht, egal wie schwierig es ist. Manche von ihnen artikulieren das auch unangenehm offensiv. Schließlich haben sie eine Fahrt mit einem Expeditionsschiff der höchsten Eisklasse gebucht – wo ist das Problem?

    Nun, es gibt gleich zwei Probleme:

    Zum einen können die Behörden jederzeit anordnen, dass wir unsere Fahrt nicht ohne vorausfahrenden Eisbrecher fortführen dürfen. Da sowohl die Versorgung der Bevölkerung als auch die Frachtschifffahrt Vorrang haben vor unserem Partykahn, kann es schon mal sein, dass man dann ein paar Stunden wartet, bis ein Eisbrecher da ist. Dann haben sich die Landausflüge erledigt.

    Zum anderen ist unser Schiff zwar auch für dickes Eis gerüstet (der Bug und die Flanken sind massiv verstärkt, zusätzlich schützen geringere Spantabstände die Außenhaut) es ist aber von seiner Bauart her vollkommen anders als ein Eisbrecher. Das macht auch Sinn, denn es muss ja weltweit möglichst effizient unterwegs sein, auch in warmen und flachen Gewässern. Dafür hat es beispielsweise auch den Wulstbug vorn, diese „Nase“ knapp unter der Wasseroberfläche, die dafür sorgt, dass das Schiff besser angeströmt wird und so weniger Treibstoff verbraucht.

    Das Eis kann unserem Schiff also nicht gefährlich werden, ab ungefähr 90 cm schaffen unsere Motoren allerdings nicht mehr, sich da durchzukämpfen. Denn anders als ein Eisbrecher, dessen tellerförmiger Quietscheentchen-Bug sich immer nur auf das Eis schiebt und dieses mit Hilfe seines Gewichts bricht, treibt unser spitzer Bug einen Keil ins Eis, und da ist ab einer bestimmten Eislast einfach Schluss.
    Immer wieder passiert es auch auf dieser Reise, dass wir uns festfahren. Dann geht es ganz langsam zurück und entweder nochmal mit Karacho auf die Stelle drauflos oder im großen Bogen drum herum.

    Heute geht aber wie gesagt gar nichts per Schiff sondern alles per Bus. Ich habe wieder einen kleinen Ausflug gefangen: Schneeschuhwanderung, diesmal mit gleitenden Schneeschuhen. Nach kurzem Transfer kommen wir am Ufer des Flusses Tornio an, wo uns Ville, ein abermals sehr freundlicher Guide, lächelnd empfängt.

    Dass die gleitenden Schneeschuhe eher wie kürzere Ski anmuten, finde ich zunächst ganz spannend. Ich hab im Leben noch nie auf Skiern gestanden und halte das hier für einen sanften Einstieg. Schließlich sind auf diesem Ausflug ein paar Leute dabei, denen ich – vorsichtig ausgedrückt – nicht so viel Balance unterstelle – dass sie sich auf den Dingern schneller bewegen als ich und die Gruppe dann auf mich warten muss.
    Weit gefehlt! Das alte Ehepaar, das noch aus dem Bus heraus kaum krauchen konnte, verwandelt sich vor meinen Augen in ein flinkes und geschmeidiges Duo, sobald ihnen die Dinger unter den Füßen kleben. Ich hingegen sehe mich mit völlig ungewohnten Bewegungsabläufen konfrontiert und schiele schon unheilvoll rüber zu der Rampe, die wir gleich irgendwie hinab müssen, um auf den Fluss zu kommen, den wir mehrfach überqueren werden und der hier die Grenze zwischen Finnland und Schweden bildet, sodass es in Bezug auf die wiederholte Zeitverschiebung auf dieser Zweistundentour von allen Seiten nur so kalauert.

    Duo Vierschanzentournee gleitet gekonnt den Hügel hinab, das Mädel dahinter setzt sich erstmal auf den Hintern. Ich erwähne kurz und kleinlaut, dass das hier mein erstes Mal ist – nicht, dass das jetzt noch irgendwas bringen würde. Im Gegenteil, alle raten mir mit ernster Miene, ich solle bloß auf meine Finger aufpassen und die Stöcke hoch in die Luft heben, sobald ich falle. Mir ist ein bisschen schlecht.
    Drei Gäste sind noch vor mir dran und ich sehe, dass die mit gebeugten Knien deutlich eleganter runterkommen als die anderen. Ich begebe mich also auch in Toilettengang-ähnliche Haltung und eiere besser als erwartet diese schwarze Piste hinunter.
    Die nächste halbe Stunde geht es plan über den Fluss, sodass ich genug Gelegenheit habe, mich mit den Bewegungsabläufen vertraut zu machen. Ich schaue viel auf Guide Ville, der hier aufgewachsen ist und uns entlang der kleinen Inseln führt, über die er schon als Kind gestreift ist. Nach ungefähr anderthalb Kilometern fühle ich mich so sicher, dass ich den Blick auch mal entspannt heben und in die atemberaubende Natur schauen kann. Bezuckerte Tannen erzählen von reichlich Neuschnee in der vergangenen Nacht und ich wage mich auch mal ein paar Meter abseits des Weges in den tieferen Schnee, wo sich mir ähnlich wie bei der ersten Schneeschuhwanderung plötzlich der ganze Sinn dieser Schneeschuheski-Dinger erschließt.

    Zurück an Bord habe ich dann am Abend die Freude, ausnahmsweise mal in der gemütlichen Bar, der „Obeservation Lounge“ ganz oben im Schiff zu spielen und die großartige Rundumsicht zu genießen, während mein Pianisten-Kollege Uwe, der normalerweise oben spielt, an „meinem“ Flügel unten ein Konzert gibt.

    Mit Mühe haben wir uns nach drei Tagen Liegezeit soeben wieder von der Pier gelöst und werden nun von einem Eisbrecher hinaus aufs offene Meer geleitet. Ich hänge meinen Gedanken nach, schaue auf das hell erleuchtete bullige Schiffchen da schräg rechts vor meinen Tasten, das die dicken Platten unter sich begräbt und hinter sich den Blick freigibt auf die dampfende Ostsee, die bei -20 Grad sofort wieder zufrieren will. Ich schaue in müde und glückliche Gesichter, die wiederum aufs Meer, ins Glas, zu mir oder zu ihren ins Sprechen vertieften Partnerinnen starren. Ich garniere das ganze mit welligen Arpeggien an Ohrwürmern aus den Sechzigern, hier und da etwas Petersilie in Es-Dur. Die Rückreise hat begonnen.
    Read more

  • Rauma blau in blau
    hier ist es noch recht weihnachtlichGesundheit!Letzte Eisreste vor Rauma .... bevor die Ostsee wieder flüssig ist

    Von Spuckefäden und gefrorenen Fingern

    January 15, 2024 in Finland ⋅ ☁️ -14 °C

    Vier Tagen haben wir noch, bis wir wieder ganz im Süden der Ostsee sein müssen. Und auch wenn wir bis nach Kiel noch weit über 1000 Seemeilen hinter uns bringen müssen, wird genug Zeit bleiben, ein, zweimal rechts ranzufahren. .. bzw. erstmal links, denn unser nächster Hafen liegt nochmal auf finnischer Seite.

    Den gestrigen Seetag habe ich genutzt, um Wäsche zu waschen und Reisetagebuch zu schreiben. Wir haben den Bottnischen Meerbusen und damit die geschlossene Eisdecke hinter uns gelassen und den Bottnischen Golf fast vollständig durchquert. Ich muss mich erstmal wieder dran gewöhnen, dass wir nicht mehr von Eis-Leitplanken gehalten werden, sondern frei in alle Richtungen schaukeln können.

    Verglichen mit dem, wie ich Pazifik, Atlantik und Mittelmeer kennengelernt hab, verhält sich die Ostsee heute ein bisschen bitchy. Denn während sie sich optisch recht friedlich gibt, schaukelt sie uns mit der Kombination aus kurzer Wellenlänge und ordentlich Swell willkürlich in unterschiedliche Richtungen. Nicht doll, aber gerade in meinem fensterlosen Würfel im Bauch des Schiffes fühlt sich die Unvorhersehbarkeit der nächsten Bewegung doch eher unangenehm an.

    Nun gibt’s aber erstmal wieder ein paar bewegungslose Stunden. Über der kleinen Stadt Rauma geht gerade die Sonne auf und ich nehme einen der ersten Shuttlebusse ins Stadtzentrum, da ich bereits um 11 Uhr wieder zurück an Bord sein muss für den Soundcheck der legendären (und von mir nicht sonderlich gemochten) Pølser-Party.

    Anders als in so ziemlich jedem anderen Ort in Skandinavien ist die hölzerne Innenstadt von Rauma nicht irgendwann innerhalb der letzten 300 Jahren komplett niedergebrannt, und so steht hier auf 28 Hektar das größte zusammenhängende Ensemble traditioneller Holzhäuser, vermutlich der ganzen Milchstraße.
    Ich wandle durch die verschneiten Erdstraßen, entlang der bunten Häuserzeilen. Menschen scheint es hier nicht zu geben, dafür aber immerhin einen Fuchs, der mir freundlicherweise den Weg zum nächsten Supermarkt weist, sodass ich meinen Studentenfutter-Vorrat aufstocken kann, bevor ich zurück aufs Schiff gehe.

    Die oben schon erwähnte Party findet traditionell auf dem Pooldeck statt. Auch bei -16 Grad.
    DJ Stefan hat alles übereinandergezogen, was er dabei hat und spielt zwei Stunden lang einen Sommerhit nach dem anderen, um sich ein paar warme Gedanken zu machen.
    Es ist kurz nach ein Uhr mittags und ich kann von meinem DJ-Platz aus beobachten, wie eine Hand voll Gäste sich einen Kurzen nach dem anderen reinlöten und sukzessive die sonst so feinen Manieren über Bord werfen. Es gibt gratis Schnaps, Dieter! Ja, dir gehört die halbe Innenstadt von Paderborn, aber das ist der Moment, wo du zuschlagen musst!
    Das kenn ich schon von meiner letzten Tour und kann nun die Minuten an meinen eingefrorenen Fingerkuppen abzählen, bis der/die erste fröhlich zu mir wankt - am besten noch das leergesabberte Glas auf meinem Audio-Interface abstellt - und konspirativ „Hasse auch wat von AC/DC?“ raunt, wobei die feinen Spucketröpfchen trotz eisigem Wind totsicher ihren Weg auf das Glas meines iPads finden. wo sie fortan bei jedem neuen Song durch die Gegend gewischt werden.
    Hab ich schon erwähnt, dass ich nicht so ein Fan bin von der Pølser-Party?

    Aber auch die geht vorbei, und so taue ich am frühen Nachmittag bei Kakao und Kuchen wieder auf, während sich das Schiff schon langsam wieder entlang der Kaimauer Richtung offene See bewegt.
    Es liegen abermals anderthalb Seetage vor uns, immer entlang der schwedischen Küste. Diese werden nochmal gespickt sein mit Vorträgen unserer Experten. Besonders auf den von Thomas, dem Astrophysiker, freue ich mich sehr. Mit Kopenhagen wartet noch ein Highlight, bevor es dann zurück nach Kiel geht.
    Read more

  • Da ist sie wieder, hat sich gut getarnt.. es ist ja immer nur so kalt, wie man sich fühlt ..Shall I stay or shall I go?Da freut sich jemand schon aufs Bett😉

    Tanzen bis Kopenhagen

    January 17, 2024 in Denmark ⋅ ☁️ 0 °C

    Da alle am letzten Abend der Reise mit Kofferpacken und Heimreise antreten beschäftigt sind, feiern wir traditionell am vorletzten Abend groß Abschied an Bord – neudeutsch Farewell.
    Nachdem ich die Chance genutzt hab und nochmals mit Herrn A. und Frau L. lecker essen war, bevor ich als Teil des Shanty-Chores den Gästen die Seemannsklassiker um die Ohren gesungen hab, heize ich der Meute als DJ so richtig ein.

    Mit dem Gefühl, das ganz ordentlich gemacht zu haben, gehe ich um kurz nach 1 runter in die Crewbar zur legendären Farewell-Party und muss kleinlaut feststellen, dass der eigentliche DJ-Master an Bord ein unscheinbarer Philipino ist, der im richtigen Leben als Engine Master tief im Bauch des Schiffes sein Dasein fristet. Meine Fresse, ist das eine geile Party. Das Schiff wankt wild von links nach rechts, sodass sowieso jeder tanzt, ob er nun will oder nicht. Es ist ein ausgelassenes, fast familiäres Miteinander von ganz unterschiedlichen Typinnen und Typen, die sich den Arbeitsdruck der Reise abtanzen.

    Dieses Miteinander fasziniert mich immer wieder aufs Neue und ich muss neidlos anerkennen, dass Crewparties wohl zum stimmungsvollsten zählen, was man auf diesem Planeten so erleben kann. Und so tanze und trinke ich mich ausgelassen durch die Nacht, während unser Schiff die Südspitze Schwedens umfährt und in Kopenhagen festmacht.

    Unser Liegeplatz ist super zentral und als ich gegen halb zehn die Gangway runterlaufe, um mir die Stadt ein bisschen anzuschauen, beginnt es gerade heftig zu schneien.
    Ich war 1995 mal mit dem Rundfunk Kinderchor hier, kann mich aber natürlich an nix erinnern, außer an die grüne Meerjungfrau, die da schräg vor unserem Schiff immer noch auf einem Stein abhängt.

    So ganz auf der Höhe bin ich heut morgen noch nicht, immerhin fällt mir aber nach ungefähr 500 Metern auf, dass ich meine Crew-ID nicht mehr finden kann. Muss mir irgendwie aus der Tasche gerutscht sein beim Handyzücken. Also stapfe ich auf meinen eigenen Fußspuren zurück durch den frischen Schnee und finde das kleine Plastikding direkt vor dem Schiff. Puh.

    Die 16 Kilometer Spaziergang von Stockholm werd ich bei diesem Wetter wohl nicht toppen, aber ich möchte wenigstens noch ein paar letzte kleine Videos aufnehmen, um meinen Film für den Abend zu Ende zu schneiden. Da mein Arbeitsplatz ja etwas ungemütlich vor riesigen LED-Leinwänden angeordnet ist, auf denen so random Slomo-Videos laufen, hab ich auf dieser Reise mal versucht, aus dieser Not eine Tugend zu machen und die Videos durch eigenen Zeitlupen-Impressionen zu ersetzen. sodass die Gäste am Abend auch immer ein paar Eindrücke des vergangenen Tages sehen können, während ich ihnen ins Ohr säusele. Das kommt erschreckend gut an. Auf der nächsten Reise werd ich mir dann wohl zusätzlich noch was für den Geruchssinn ausdenken müssen. 😉

    Als am späten Nachmittag die Skyline von Kopenhagen vor unserem Schiff vorbeigezogen wird und langsam am Horizont verschwindet, ist spürbar, dass wir auf der Zielgeraden unseres Ostsee-Abenteuers angekommen sind. Ich hab mich dick eingepackt und warte schon etwas ungeduldig darauf, dass die Øresundbrücke endlich auf der Backbordseite erscheint, bis ich feststelle, dass das Ding gar nicht beleuchtet ist, sodass man ihre Silhouette nur anhand der darüberfahrenden Autos erkennen kann, die sich weiß und rot in die Luft erheben, um dann vor dem gelb schimmernden Malmö wieder abzutauchen. Dazu ein paar Flugzeuge im Anflug auf den Flughafen von Kopenhagen, das ist genau nach meinem Geschmack. Ich kann gar nicht verstehen, dass ich komplett allein an Deck stehe bei so vielen Highlights gleichzeitig.

    Für meine letzte Session am Abend hab ich vollmundig „spannende Impressionen der gesamten Reise“ ins Tagesprogramm schreiben lassen und muss jetzt natürlich liefern. Der Rechner rendert gerade noch rechtzeitig die letzten Clips für die Leinwände, bevor ich mich ans Gerät setzen muss.
    Über die Tage hat sich eine kleine, feine Fanbase entwickelt, der es anscheinend gut gefällt, den Tag mit mir zu beschließen. Ich werde schon erwartet und geb natürlich nochmal alles. 😉

    Und während das Schiff gerade vor Rostock die vielbefahrene Fährentrasse kreuzt, beschließe ich mit Radiohead und Rio Reiser meine Arbeit hier an Bord, in Gedanken bei den vielen Eindrücken, die ich auf dieser Reise sammeln durfte. Waren das wirklich nur zwei Wochen? Ich glaub, ich hab Erinnerungen für mindestens zwei Monate gesammelt.
    Read more

  • Wetter ist besser als vor zwei Wochen
    letztes Mal am Lieblingsplatz

    Unsanft geweckt in Kiel

    January 18, 2024 in Germany ⋅ ☀️ 1 °C

    Das Telefon auf meiner Kabine klingelt, mein Chef. „Stefan, ich brauch dich sofort an der Gangway“. Ich hab zwar im Halbschlaf das Anlegemanöver in Kiel mitbekommen, mein Wecker sollte aber erst eine halbe Stunde später klingeln. Also werf ich mir schnell was über und gehe zum Ausgang des Schiffes und auf dem Weg dorthin innerlich mein Sündenregister durch.
    Dort sind schon fast alle Crewmitglieder versammelt, die heute aussteigen. Sehen alle ähnlich munter aus wie ich.
    Gemeinsam trotten wir rüber ins Hafenterminal.
    Immigration.
    Die Damen und Herren von der Bundespolizei mustern streng jeden einzelnen von uns. Pässe werden minutenlang überprüft, mit wichtiger Miene gegen das Licht gehalten. Ich glaube, sie sind da einer ganz heißen Sache auf der Spur. Ein Schiff, das wochenlang an unterschiedlichen Häfen innerhalb der EU anlegt und wieder ablegt, das riecht doch schon nach Kriminalität.

    Wie durch ein Wunder gibt es am Ende aber doch nichts zu beanstanden und jeder geht mehr oder weniger verschlafen zurück auf seine Kabine, um seine Sachen zu packen.

    Ich mache das auch, bringe anschließend meine Rettungsweste zurück auf die Brücke und setze mich ein letztes Mal auf meinen Lieblingsplatz auf Deck 8, von wo aus sich mir die Ostsee in den letzten zwei Wochen so unterschiedlich präsentiert hat. Mal steinhart gefroren, mal spiegelglatt und manchmal auch ein bisschen aufgewühlt.
    Hier im Hafenbecken von Kiel tut sie heute morgen allerdings ganz brav. Dahinter sehe ich das Hotel, in dem meine Reise begann. Vielleicht steht da schon irgendwo der neue Ozeanpianist am Fenster und macht sich so seine Gedanken, wie der erste Tag an Bord laufen wird.

    Für 10 Uhr ist der Klavierstimmer einbestellt und ich bin froh, dass er schon ein paar Minuten eher da ist, da die genaue Schilderung der Tastenprobleme an meinem Flügel die letzte Aufgabe für den Herrn Flügel an Bord ist, bevor er sich in den nächstbesten Zug nach Berlin und damit zurück in die andere Welt wirft.

    Schräg gegenüber im ICE wird Sarah Connor sitzen und ehe ich mich überwinde, ihr zu sagen, dass ich ihre Songs mag, wird sie auch schon wieder verschwunden sein. Aber das weiß ich ja jetzt noch gar nicht, mit meinem Kaffee in der Hand, in meinen letzten Minuten hier auf der Hanseatic Nature.

    Der Abschied ist herzlich und ich freu mich drauf, diesem Abenteuer noch einige weitere folgen zu lassen. Ich bin unfassbar dankbar, dass ich die Möglichkeit hab, auf diese Art und Weise einige Wochen im Jahr zu verbringen.
    Was für ein Geschenk.

    ... und die nächste große Reise dieser Art leuchtet bereits am Horizont.
    Read more

    Trip end
    January 18, 2024