• Zu viel Eis vor Oulo

    13 stycznia 2024, Finlandia ⋅ ☁️ -10 °C

    Die Eislage rund um den Hafen, den wir als nächstes anlaufen wollen, beobachten wir im Expeditionsteam seit Tagen mit Sorge. Nun hat sie sich erneut verschärft, sodass der Kapitän entschieden hat, Oulu nicht anzulaufen. Zu groß ist die Gefahr, dass wir unterwegs hängenbleiben, auf einen Eisbrecher warten müssen und dann die geplanten Ausflüge nicht stattfinden können.

    Da es von Kemi bis Oulu mit dem Bus nur anderthalb Stunden sind, werden kurzerhand Shuttlebusse für den folgenden Tag beordert, die die Gäste zur nächsten Destination bringen.

    Bei den Gästen gibt es hier und da Unverständnis ob dieser Entwicklung. Viele der Reisenden sind es gewohnt, dass man Dinge für sie möglich macht, egal wie schwierig es ist. Manche von ihnen artikulieren das auch unangenehm offensiv. Schließlich haben sie eine Fahrt mit einem Expeditionsschiff der höchsten Eisklasse gebucht – wo ist das Problem?

    Nun, es gibt gleich zwei Probleme:

    Zum einen können die Behörden jederzeit anordnen, dass wir unsere Fahrt nicht ohne vorausfahrenden Eisbrecher fortführen dürfen. Da sowohl die Versorgung der Bevölkerung als auch die Frachtschifffahrt Vorrang haben vor unserem Partykahn, kann es schon mal sein, dass man dann ein paar Stunden wartet, bis ein Eisbrecher da ist. Dann haben sich die Landausflüge erledigt.

    Zum anderen ist unser Schiff zwar auch für dickes Eis gerüstet (der Bug und die Flanken sind massiv verstärkt, zusätzlich schützen geringere Spantabstände die Außenhaut) es ist aber von seiner Bauart her vollkommen anders als ein Eisbrecher. Das macht auch Sinn, denn es muss ja weltweit möglichst effizient unterwegs sein, auch in warmen und flachen Gewässern. Dafür hat es beispielsweise auch den Wulstbug vorn, diese „Nase“ knapp unter der Wasseroberfläche, die dafür sorgt, dass das Schiff besser angeströmt wird und so weniger Treibstoff verbraucht.

    Das Eis kann unserem Schiff also nicht gefährlich werden, ab ungefähr 90 cm schaffen unsere Motoren allerdings nicht mehr, sich da durchzukämpfen. Denn anders als ein Eisbrecher, dessen tellerförmiger Quietscheentchen-Bug sich immer nur auf das Eis schiebt und dieses mit Hilfe seines Gewichts bricht, treibt unser spitzer Bug einen Keil ins Eis, und da ist ab einer bestimmten Eislast einfach Schluss.
    Immer wieder passiert es auch auf dieser Reise, dass wir uns festfahren. Dann geht es ganz langsam zurück und entweder nochmal mit Karacho auf die Stelle drauflos oder im großen Bogen drum herum.

    Heute geht aber wie gesagt gar nichts per Schiff sondern alles per Bus. Ich habe wieder einen kleinen Ausflug gefangen: Schneeschuhwanderung, diesmal mit gleitenden Schneeschuhen. Nach kurzem Transfer kommen wir am Ufer des Flusses Tornio an, wo uns Ville, ein abermals sehr freundlicher Guide, lächelnd empfängt.

    Dass die gleitenden Schneeschuhe eher wie kürzere Ski anmuten, finde ich zunächst ganz spannend. Ich hab im Leben noch nie auf Skiern gestanden und halte das hier für einen sanften Einstieg. Schließlich sind auf diesem Ausflug ein paar Leute dabei, denen ich – vorsichtig ausgedrückt – nicht so viel Balance unterstelle – dass sie sich auf den Dingern schneller bewegen als ich und die Gruppe dann auf mich warten muss.
    Weit gefehlt! Das alte Ehepaar, das noch aus dem Bus heraus kaum krauchen konnte, verwandelt sich vor meinen Augen in ein flinkes und geschmeidiges Duo, sobald ihnen die Dinger unter den Füßen kleben. Ich hingegen sehe mich mit völlig ungewohnten Bewegungsabläufen konfrontiert und schiele schon unheilvoll rüber zu der Rampe, die wir gleich irgendwie hinab müssen, um auf den Fluss zu kommen, den wir mehrfach überqueren werden und der hier die Grenze zwischen Finnland und Schweden bildet, sodass es in Bezug auf die wiederholte Zeitverschiebung auf dieser Zweistundentour von allen Seiten nur so kalauert.

    Duo Vierschanzentournee gleitet gekonnt den Hügel hinab, das Mädel dahinter setzt sich erstmal auf den Hintern. Ich erwähne kurz und kleinlaut, dass das hier mein erstes Mal ist – nicht, dass das jetzt noch irgendwas bringen würde. Im Gegenteil, alle raten mir mit ernster Miene, ich solle bloß auf meine Finger aufpassen und die Stöcke hoch in die Luft heben, sobald ich falle. Mir ist ein bisschen schlecht.
    Drei Gäste sind noch vor mir dran und ich sehe, dass die mit gebeugten Knien deutlich eleganter runterkommen als die anderen. Ich begebe mich also auch in Toilettengang-ähnliche Haltung und eiere besser als erwartet diese schwarze Piste hinunter.
    Die nächste halbe Stunde geht es plan über den Fluss, sodass ich genug Gelegenheit habe, mich mit den Bewegungsabläufen vertraut zu machen. Ich schaue viel auf Guide Ville, der hier aufgewachsen ist und uns entlang der kleinen Inseln führt, über die er schon als Kind gestreift ist. Nach ungefähr anderthalb Kilometern fühle ich mich so sicher, dass ich den Blick auch mal entspannt heben und in die atemberaubende Natur schauen kann. Bezuckerte Tannen erzählen von reichlich Neuschnee in der vergangenen Nacht und ich wage mich auch mal ein paar Meter abseits des Weges in den tieferen Schnee, wo sich mir ähnlich wie bei der ersten Schneeschuhwanderung plötzlich der ganze Sinn dieser Schneeschuheski-Dinger erschließt.

    Zurück an Bord habe ich dann am Abend die Freude, ausnahmsweise mal in der gemütlichen Bar, der „Obeservation Lounge“ ganz oben im Schiff zu spielen und die großartige Rundumsicht zu genießen, während mein Pianisten-Kollege Uwe, der normalerweise oben spielt, an „meinem“ Flügel unten ein Konzert gibt.

    Mit Mühe haben wir uns nach drei Tagen Liegezeit soeben wieder von der Pier gelöst und werden nun von einem Eisbrecher hinaus aufs offene Meer geleitet. Ich hänge meinen Gedanken nach, schaue auf das hell erleuchtete bullige Schiffchen da schräg rechts vor meinen Tasten, das die dicken Platten unter sich begräbt und hinter sich den Blick freigibt auf die dampfende Ostsee, die bei -20 Grad sofort wieder zufrieren will. Ich schaue in müde und glückliche Gesichter, die wiederum aufs Meer, ins Glas, zu mir oder zu ihren ins Sprechen vertieften Partnerinnen starren. Ich garniere das ganze mit welligen Arpeggien an Ohrwürmern aus den Sechzigern, hier und da etwas Petersilie in Es-Dur. Die Rückreise hat begonnen.
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