• Tanzen bis Kopenhagen

    17 janvier 2024, Danemark ⋅ ☁️ 0 °C

    Da alle am letzten Abend der Reise mit Kofferpacken und Heimreise antreten beschäftigt sind, feiern wir traditionell am vorletzten Abend groß Abschied an Bord – neudeutsch Farewell.
    Nachdem ich die Chance genutzt hab und nochmals mit Herrn A. und Frau L. lecker essen war, bevor ich als Teil des Shanty-Chores den Gästen die Seemannsklassiker um die Ohren gesungen hab, heize ich der Meute als DJ so richtig ein.

    Mit dem Gefühl, das ganz ordentlich gemacht zu haben, gehe ich um kurz nach 1 runter in die Crewbar zur legendären Farewell-Party und muss kleinlaut feststellen, dass der eigentliche DJ-Master an Bord ein unscheinbarer Philipino ist, der im richtigen Leben als Engine Master tief im Bauch des Schiffes sein Dasein fristet. Meine Fresse, ist das eine geile Party. Das Schiff wankt wild von links nach rechts, sodass sowieso jeder tanzt, ob er nun will oder nicht. Es ist ein ausgelassenes, fast familiäres Miteinander von ganz unterschiedlichen Typinnen und Typen, die sich den Arbeitsdruck der Reise abtanzen.

    Dieses Miteinander fasziniert mich immer wieder aufs Neue und ich muss neidlos anerkennen, dass Crewparties wohl zum stimmungsvollsten zählen, was man auf diesem Planeten so erleben kann. Und so tanze und trinke ich mich ausgelassen durch die Nacht, während unser Schiff die Südspitze Schwedens umfährt und in Kopenhagen festmacht.

    Unser Liegeplatz ist super zentral und als ich gegen halb zehn die Gangway runterlaufe, um mir die Stadt ein bisschen anzuschauen, beginnt es gerade heftig zu schneien.
    Ich war 1995 mal mit dem Rundfunk Kinderchor hier, kann mich aber natürlich an nix erinnern, außer an die grüne Meerjungfrau, die da schräg vor unserem Schiff immer noch auf einem Stein abhängt.

    So ganz auf der Höhe bin ich heut morgen noch nicht, immerhin fällt mir aber nach ungefähr 500 Metern auf, dass ich meine Crew-ID nicht mehr finden kann. Muss mir irgendwie aus der Tasche gerutscht sein beim Handyzücken. Also stapfe ich auf meinen eigenen Fußspuren zurück durch den frischen Schnee und finde das kleine Plastikding direkt vor dem Schiff. Puh.

    Die 16 Kilometer Spaziergang von Stockholm werd ich bei diesem Wetter wohl nicht toppen, aber ich möchte wenigstens noch ein paar letzte kleine Videos aufnehmen, um meinen Film für den Abend zu Ende zu schneiden. Da mein Arbeitsplatz ja etwas ungemütlich vor riesigen LED-Leinwänden angeordnet ist, auf denen so random Slomo-Videos laufen, hab ich auf dieser Reise mal versucht, aus dieser Not eine Tugend zu machen und die Videos durch eigenen Zeitlupen-Impressionen zu ersetzen. sodass die Gäste am Abend auch immer ein paar Eindrücke des vergangenen Tages sehen können, während ich ihnen ins Ohr säusele. Das kommt erschreckend gut an. Auf der nächsten Reise werd ich mir dann wohl zusätzlich noch was für den Geruchssinn ausdenken müssen. 😉

    Als am späten Nachmittag die Skyline von Kopenhagen vor unserem Schiff vorbeigezogen wird und langsam am Horizont verschwindet, ist spürbar, dass wir auf der Zielgeraden unseres Ostsee-Abenteuers angekommen sind. Ich hab mich dick eingepackt und warte schon etwas ungeduldig darauf, dass die Øresundbrücke endlich auf der Backbordseite erscheint, bis ich feststelle, dass das Ding gar nicht beleuchtet ist, sodass man ihre Silhouette nur anhand der darüberfahrenden Autos erkennen kann, die sich weiß und rot in die Luft erheben, um dann vor dem gelb schimmernden Malmö wieder abzutauchen. Dazu ein paar Flugzeuge im Anflug auf den Flughafen von Kopenhagen, das ist genau nach meinem Geschmack. Ich kann gar nicht verstehen, dass ich komplett allein an Deck stehe bei so vielen Highlights gleichzeitig.

    Für meine letzte Session am Abend hab ich vollmundig „spannende Impressionen der gesamten Reise“ ins Tagesprogramm schreiben lassen und muss jetzt natürlich liefern. Der Rechner rendert gerade noch rechtzeitig die letzten Clips für die Leinwände, bevor ich mich ans Gerät setzen muss.
    Über die Tage hat sich eine kleine, feine Fanbase entwickelt, der es anscheinend gut gefällt, den Tag mit mir zu beschließen. Ich werde schon erwartet und geb natürlich nochmal alles. 😉

    Und während das Schiff gerade vor Rostock die vielbefahrene Fährentrasse kreuzt, beschließe ich mit Radiohead und Rio Reiser meine Arbeit hier an Bord, in Gedanken bei den vielen Eindrücken, die ich auf dieser Reise sammeln durfte. Waren das wirklich nur zwei Wochen? Ich glaub, ich hab Erinnerungen für mindestens zwei Monate gesammelt.
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