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  • Day 271

    Auf Europas Balkon

    May 9, 2019 in Georgia ⋅ ☀️ 20 °C

    Gamarjoba!

    Willkommen in Georgien :-) Wir fragen uns, ob wir wieder in Europa sind!..? Schließlich kommen wir gerade aus Azerbaijan und da fand doch im letzten Jahr noch der Eurovision Song Contest, oder in diesem Jahr das UEFA Champions League Finale statt. Europa, oder Asien? Das ist hier die Frage. Wir machen uns mal schlau... Geografisch gesehen liegt die südkaukasische Republik auf dem Landkorridor zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer – Hmm, also eindeutig in Vorderasien. So stellen wir aber auch fest, dass an jedem öffentlichen Gebäude neben der georgischen Fahne auch die der EU hängt!Kulturell gesehen ist das christliche Georgien Europa wohl deutlich näher als Asien. Nur gut, dass die Georgier für derartige Probleme immer eine Lösung finden: So erklären sie kurzerhand Georgien zum „Balkon Europas“. Und überhaupt – Georgien ist halt einfach Georgien...

    Nachdem wir mit dem Nachtzug am Bahnhof von 'Tbilissi' (wir kannten es bisher nur als 'Tiflis') angekommen sind und wir unser Hostel im Stadtteil 'Vake' bezogen haben, wollen wir erst mal hier für 3 Tage bleiben, die Stadt erkunden und uns einen Plan für die kommen Wochen machen.

    Unser erstes Ziel ist erst einmal in den Süd-Osten Georgiens an die Grenze zu Azerbaijan zu fahren, um uns die Höhlenkloster von 'David Gareji' anzusehen. Mit einer 'Mashrutka', so nennt man hier die Kleinbusse, soll es nach 'Udabno', einem kleinen Ort unweit der Klosteranlagen, gehen. Laut Fahrplan und Touriinfo (die extra 1 Tag vorher noch einmal dort angerufen hat) geht dies, nur ist man scheinbar mit lediglich 2 Touristen, also zwei Hunsrückern, nicht bereit dort hin zu fahren. Also werden wir nur zum am nächst gelegenen Städtchen 'Sagarejo' gefahren und bekommen, dort angekommen, das Angebot für den 10-fachen Preis nach Udabno gefahren zu werden :-/

    Wir lehnen natürlich ab und sagen uns: "Da gehen wir doch lieber die knapp 40 km zu Fuß. In zwei Tagen sind wir doch da!"...
    ... Und los geht's...

    Es gibt in Georgien ein Sprichwort:
    „Als Gott das Land an die Völker verteilte, verspäteten sich die Georgier. Denn sie hatten den Abend zuvor wie üblich reichlich gesungen, musiziert, getanzt und das Leben im Allgemeinen voller Hingabe gefeiert. Zuerst zürnte der Herr, denn alles Land war bereits verteilt. Doch die Fröhlichkeit und der Charme der Vertreter dieses Volkes versöhnten ihn, und er schenkte den Georgiern den Flecken Erde, den er eigentlich für sich selbst vorbehalten hatte….! “

    So behaupten es zumindest die Georgier selbst. Naja, wir haben gerade einmal 5 km unseres Fußweges hinter uns gebracht und wir werden von Arbeitern auf einer Baustelle angesprochen, wo wir denn hin möchten. Mit unseren hervorragenden Georgisch-Kenntnissen kommt nur 'David Gareji" raus und aus der Gestik ist eindeutig zu erkennen, dass man uns dort hinfahren möchte. 'Prima', denken wir uns und steigen ins Auto. 'Sagarejo' ist bekannt für seinen Wein und so versuchen wir unseren Fahrer 'Pito' per Übersetzungs-App zu fragen, ob er auch Wein anbaut. Kurzer Hand biegt er links ab - warum, das haben wir nicht verstanden, es hat nur etwas mit Wein zu tun, zumindest das haben wir verstanden. Es ist eine Fahrt ins Nirgendwo, bis wir an einem alten blechernen Bauwagen an einem kleinen Teich Halt machen. Ein Haus ist weit und breit nicht zu finden und auf dem Gelände stehen Unmengen alter Traktoren und sonstiger landwirtschaftlicher Geräte aus Weißrussland herum.

    Plötzlich fängt 'Pito' an, in seinem Bauwagen den Tisch zu decken: Schinken, Brot, Kuh- und Ziegenkäse, etwas Obst und... natürlich seinem Hauswein. Gestartet wird das Festmahl jedoch mit einem Trinkspruch, gefolgt von einem 'Chacha', einem selbstgebrannten Tresterschnaps. Der Geschmack verrät uns, dass es höchstprozentig ist. Zu unserem Leidwesen sind die Gläser nicht klein und auch nicht nur 1/3 voll! Kurz darauf gesellen sich auch noch seine beiden Söhne und Neffen dazu, die sich jedoch auf dem Floß im See nieder lassen. Es wird ein toller, aber auch sehr anstrengender Tag und Abend und die Unmengen an Alkohol lassen die Kommunikationbarrieren etwas schwinden. An ein Weiterkommen ist heute nicht im Ansatz mehr zu denken, auch haben wir keine Ahnung wo wir wirklich sind. So schlagen wir unser Zelt unter einem Baum zwischen einem alten Kastenwagen und dem Teich in der anbrechenden Nacht auf, bevor wir ebenfalls auf dem Floß Platz nehmen.

    Es muss so ein Tag gewesen sein, an dem Gott die Länder an die Völker verteilen wollte ;-)

    Am folgenden Morgen stehen wir mit dem Gefühl auf, den Kopf voll PU-Schaum zu haben. 'Pito', sowie sein Auto sind nicht da...! Seine Söhne und Neffen jedoch versuchen gerade zu Angeln. Nach kurzer Zeit steigen aber auch sie ins Auto, was uns etwas verwirrt! Sie erzählen uns, dass 'Pito' gleich wieder käme und uns nach 'David Gareji' bringen würde. Ok! Dann packen wir schon mal unser Zelt zusammen... und siehe da, der in die Jahre gekommenen 3er Golf kommt mit 'Pito' um die Ecke. Wir wollen es kaum glauben. Seine ganze Rücksitzbank ist voll mit Lebensmitteln, Getränken und Wein. "Schachliki" ruft er ganz stolz! Was nichts anderes bedeutet als Unmengen von Schaschlik-Spießen. "Für heute Abend!" Gastfreundlichkeit kennt hier scheinbar keine Grenzen und kaum eine viertel Stunde später kommen mit je einem Pferd noch zwei Nachbarn und wir sehen uns wieder auf dem Floß bei Käse, Brot, Wasser, Trinkspüchen und...
    ... 'Chacha'! Ariane hat das Glück sich als Frau etwas aus der Trester-Affäre winden zu können, während ich versuche die Gastfreundlichkeit nicht mit Ablehnung zu treten. Es dauert auch nicht lange, bis jeder Mann richtig einen im "Tee" hat.

    Kurz vor Mittag und einen Tag später als geplant fahren wir dann endlich los in Richtung 'David Gareji'. Mit für unserem Verständnis etwas zu schnellem Tempo, zu viel Alkohol im Blut des Fahrers und dem Problem, dass Anschnallen in Georgien wohl als unhöflich gilt, fliegen wir über die Schotterpiste nach 'Udabno'. Sobald ich mich anschnalle, schnallt mich 'Pito' als Fahrer wieder ab! Verrückt! Dort angekommen werden wir erst einmal bei der Mutter eines Freundes zum Kaffee und super leckerem Kuchen eingeladen und, das darf ja nicht fehlen, wird erst mal mit Wein und einem Trinkspruch auf die Freundschaft angestoßen ;-)

    'Pito' ist der Meinung, dass hier die Unterkünfte allesamt zu teuer wären und wir werden das Gefühl nicht los, dass er uns einfach nur kurz die Klöster zeigen will um dann wieder direkt zum "Schachliki"-Essen an seinen Teich zurück zu fahren. Erst will er uns aber einen tollen Blick über die Steppe und die Berge einige Kilometer hinter 'Udabno' zeigen. Nachdem wir es uns dort auf einer Picknickdecke gemütlich gemacht haben, verschwindet 'Pito' kurz und Ariane sieht, dass er sich hinter seinem Auto übergeben musste. Ohweia! Wir machen ihm klar, dass wir hier bleiben und unser Zelt hier aufstellen und danken ihm wirklich sehr für die außergewöhnliche Gastfreundlichkeit. Kurz darauf fährt er zurück. Puuh, für uns ein Stück zu viel Gastfreundlichkeit ;-) Dennoch sind wir wirklich überrascht, daß 'Pito' für uns 1 1/2 Tage alles hat stehen und liegen lassen. Er war sehr stolz darauf seine Heimat zu zeigen.

    ... Wir genießen die plötzliche Ruhe. Es ist nichts außer dem Gezwitscher der Vögel, der leichte warme Wind und das Kopfbrummen zu hören. Ein gigantischer Blick über eine scheinbar end- und baumlose Steppenlandschaft am gefühlten Ende der Welt. Unser Zelt bauen wir am Rande eines kleinen Taleinschnittes mit Blick auf einen in der Ferne drohenden Wehrturm an der Grenze zu Azerbaijan auf. Uns geht es einfach nur gut...
    ..."Fernsehen" auf Georgisch :-)

    Am nächsten Morgen lassen wir unser Zelt stehen, packen uns Essen und Trinken ein und Wandern zu den mehr als 1.000 Jahre alten Höhlenklostern. Eine tolle Wanderung durch das "noch" Grün der Halbwüste, vorbei an einem einsamen Hof eines Schaf- und Ziegenhirten und dessen riesiger Herde. Wir haben stets die Augen auf den Boden gerichtet, denn hier soll es auch sehr giftige Schlangen geben und..., plötzlich schlängelt sich eine etwa 1,5 m lange und sehr kräftigige Schlange direkt neben uns vorbei. Ein erschreckend gelber Kopf. Vermutlich jedoch nur ein harmloser 'Scheltopusik'. Aber als Ariane sich zwischendurch einen Toilettenplatz sucht, findet sie an einem Stein versteckt eine 'Levanteotter', deren Bisse in seltenen Fällen tötlich sein sollen. Was Viecher! Es sind aber nicht nur die Schlagen, die uns aufmerksam machen. Die Hunde der Hirten sind entsetzlich aggressiv und den fletschenden Zähnen zu urteilen, die uns später auf dem Rückweg gezeigt werden, auch bereit sofort zuzubeißen!

    Das Höhlenkloster selbst liegt in einer malerischen, surreal anmutenden Landschaft schräg gestellter Sedimentschichten, die je nach Licht, als Farbenspiel aus Weiß-, Ocker-, Rot- und sogar Grüntönen leuchten. Es existieren hier zum einen viele hundert Wohnhöhlen im bis zu 800 m hohen und steilen Fels des Höhenzuges sowie zum anderen Höhlen, die als Gotteshäuser mit beeindruckenden Wandmalereien verziert sind. Leider hat die Rote Armee während des kalten Krieges das Gebiet als Truppenübungsplatz missbraucht und ohne Rücksicht die Klosteranlage als Zielscheibe benutzt.

    Wir bleiben noch eine Nacht an unserem einsamen Zeltplätzchen, kochen uns ein bescheidenes Abendessen und fühlen uns frei, bevor wir am folgenden Morgen unsere Rucksäcke packen und die 4 km nach 'Udabno' gehen. Dort haben wir das große Glück von einem netten Einwohner mit zurück nach 'Sagarejo' genommen zu werden.

    Übrigens ist 'Udabno' ein Swanendorf – ja richtig gelesen! In dieser Steppe wohnen Swanen, also Menschen, die eigentlich aus dem großen Kaukasus kommen... also richtige 'Bergmenschen' sind. Das Dorf wurde von den Sowjets aus dem Boden gestampft, um Gebietsansprüche in der sonst unbewohnten Steppe gegenüber den Nachbarländern im Süden zu sichern. Also findet man Gründe einen Teil eines Volkes einfach umzusiedeln. Verrückt, ein Bergvolk in die Halbwüste zu verbannen! Mittlerweile stehen viele Häuser leer, da es die Swanen wieder zurück in ihre Heimat zieht. Naja, uns zieht es nun nochmal in die Zivilisation, in die Weinregion nach 'Signagi'.

    Viele Grüße aus Georgien

    Ariane & Marco

    Nachtrag, 01. Juni 2019:
    Wir sind auf der Fähre von Batumi nach Chornomorsk in der Ukraine und uns erzählen die beiden Motoradreisenden Karl und Martin, dass sie aufgrund von Grenzekonflikten zwischen Georgien und Aserbaijan nicht zu den Höhlenklostern von 'David Gareja' konnten. Wir hatten noch das Glück. Es ist leider immer noch eine unsichere Zeit für Georgien!
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