• VonDreibeinigenFröschen

    September 3, 2019 in China ⋅ ☀️ 30 °C

    6:00 Uhr Wecken, gnadenlos, wir müssen schließlich wieder einen Zug erwischen, ein letztes Mal auf dieser Reise.
    Der Bahnhof für die Hi-Speed-Trains befindet sich eine U-Bahnstation hinter dem Flughafen, auf dem wir von Guilin gelandet sind, also eine ziemliche Strecke, erfreulicher Weise ohne Umsteigen.
    U-Bahn fahren können wir. Morgens um diese Zeit sind die Züge voll, Rush Hour. Unsere prall gefüllten Rucksäcke stöhnen unter dem Shoppingfluch, also ihre Träger stöhnen, denn Sitzplätze gibts keine, nur höflich genervte und morgendlich missgelaunte Mitfahrer, die zum x-ten Mal von einem dieser dicken Dinger angebumpt werden und bei ihrem Mobile Morgengruß gestört werden. Die Köpfe bleiben zwar gesenkt, aber sie müssen uns hassen.

    Es ist ein Riesenbahnhof. Was sonst. Das Wo-ist-der-Ticketcounter-Spiel erreicht das nächste Level, wenn dieser gigantische Bahnhof nicht sogar der Endboss aller chinesischrn Bahnhöfe ist, er hat mehrere Etagen. Und wieder einmal sind englische Hinweise Fehlanzeige. Online Tickets hier, Online Tickets da, aber kein Ticketcounter mit einem Mensch drin. Immerhin wissen wir, von welchem Gleis unser Zug geht. Gleis 1. Dann gehen wir doch mal wenigstens in diese Richtung.
    Tatsächlich entdecken wir ein Schild mit dem Symbol für Ticketservice mit lebendem Organismus inside. Dritter Stock, wir müssen in den dritten Stock, das wissen wir jetzt, nachdem
    wir die Schnitzeljagd im ersten und zweiten Stock erfolgreich absolviert haben.
    Dritter Stock. Die Rolltreppe wirft uns am
    Anfang, nein, eher am Ende der ewigen Halle raus, nämlich da, wo gefühlt die Gleisnummern 1.099 bis 999 liegen. Wir müssen Gleis 1, wir haben Proviant für drei Tage, das sollte reichen.
    Der Marsch beginnt. Die müden Augen erspähen endlich den gelobten Ticketschalter. Nur, der ist zu. Immerhin klebt ein Pfeil drauf, zum nächsten, ca eine Tagesreise entfernt. Die Karawane zieht weiter, die Massagen gestern nur noch eine wehmütige Erinnerung. Schalter zwei, auch zu, Pfeil, weiter. Gleis 19 bis 11, wir haben es fast geschafft. Ein Leuchten, eine Schlange, Schalter Nummer drei ist offen. Yes! Aber muss ja, eigentlich. Die Ticketprozedur ist nur noch ein routiniertes Kinderspiel und Gleis 1 am Horizont in Sicht.
    Wir sind da. Erleichterung, Pause, Frühstück, Milchbrötchen und Bananen, Klo, warten.
    Egal wie routiniert man sich in China fühlt, in größeren Städten immer zusätzliche Zeit und Proviant für Orientierungsläufe einplanen, das ist mein heisser Tipp!
    Das Gate zu Gleis 1 öffnet sich, wir wackeln zu unserem Wagen, unseren Plätzen, 1.300 entspannte Gleiskilometer liegen vor uns.
    Ich kann jedem Zugfahren in China nur empfehlen, statt Übernachten im Hotel lieber eine Nachtfahrt über eine weite Strecke.

    4 Stunden 35 Minuten später sind wir wieder zurück in Beijing. In dieser Zeit schafft die Bahn in Deutschland gerade mal die Strecke München - Berlin und ist noch stolz drauf. Unser Hostel ist nicht das, wo wir zu Beginn unserer Reise gewohnt haben, für die letzte Nacht wohnen wir im Three Legged Frog Hostel, unweit des Tiananmen Platzes und der Verbotenen Stadt.
    Das Hostel mit dem lustigen Namen liegt inmitten von einem Hutong, in einem Hofhaus, von der U-Bahn ist es ein ordentlicher Hatscherer, aber ein schöner. Verwinkelt nähern wir uns Gasse für Gasse im chinesischen Alltag unserer Bleibe.

    Der Empfang ist superherzlich und in bestem
    Englisch, eine Wohltat. Über den hübschen Innenhof geht es quer rüber zu unserem riesigen 5-Bettzimmer. Tatsächlich lungern ein paar versprengte Backpacker im Hof herum.
    Schön ruhig ist es, sehr chinesisch, aber dennoch im typischen internationalen Hostellook. Fünf Uhren mit den Zeiten der Welt an der Rezeption, Flaggen, Postkarten, Heisswasserspender, Bookexchange und Lümmelecke mit Beamer, ein Zuhause in der Welt.

    Wir wollen erstmal nix mehr bis zum Abend ausser chillen, Kaffee trinken, das riesen Zimmer im schönen Hof genießen, die Rucksäcke ganz leer räumen, ausmisten und final packen, denn Morgen ist tatsächlich unser letzter Tag.

    Abends haben wir ein Date, mit Jackie, in Huas Restaurant. Ihr erinnert euch? - der vom Anfang der Reise! Er arbeitet da heute wieder und er hat uns einen Tisch reserviert auf Halbacht.
    Heute Abend gibt‘s noch einmal fette Pekingente, yeah, yeah!
    Vor dem Resto ist eine Warteschlange. Aber mit dem Zauberwort ‚Jackie‘ sind wir auch schon gleich drin. Er hat uns schon erwartet, nach einer für Chinesen herzlichen Begrüßung führt er uns zu dem hammer Tisch, den er uns freigehalten hat. Dieses Mal sitzen wir im Erdgeschoß, direkt vor der Bühne, inmitten dieses tollen, quirligen, schmatzenden, duftenden und geschäftigen Treibens, zwischen allerlei lebendigem Angebot und zubereitetem Getier, mit einer sehr verlockenden Menükarte vor der Nase.
    Wir bestellen Heute zwei Enten, Jackie empfiehlt uns eine davon als Babyduck zu bestellen. Um die Wartezeit zu verkürzen, ordern wir noch eine mittlere Portion Clayfish, Krebse in einem
    Sud zum Niederknien. Ich staune immer wieder über die Kinder, wie begeistert sie sich an unbekanntes Essen wagen. Ausserdem bestellen wir Heute auch gleich eine ganze Karaffe mit dem Wundergetränk, von dem Fynn beim ersten Mal so begeistert war.

    Serviert werden dann drei Enten, eine reguläre und zwei mal Babyduck, dazu wieder Entensuppe.
    Die Enten sind ein Gedicht! Vorallem die Babyducks. So knusprig, so zart, so entig, so saftig, so lecker, so viel, so satt, so schade. Schande, aber irgendwann ist dann Schluss mit Platz im Bauch. Nur Fynn isst und isst und isst.
    Zwischen Reispapier rollen, dippen, schmatzen und genießen werden auf der Bühne fast direkt vor unserer Nase chinesisches Allerlei Varieté zum besten gegeben.
    Nudelakrobatik zum Beispiel. Ein tänzelnder junger Koch macht erst den Robodance und dehnt und fügt dann einen Teigklumpen verspielt zusammen und zieht ihn wieder auseinander und fügt ihn wieder zusammen und dehnt ihn erneut und fügt... bis er schließlich ein Gebilde aus hunderten filigranen Nudelsträngen dem staunenden Publikum vor die Nase hält. Ta-dää.
    Wirklich toll finde ich aber die Dame, die Arien aus einer chinesischen Oper vorträgt. Für unsere Ohren eine ziemlich schrill-schräge Angelegenheit, aber irgendwie sehr faszinierend und fesselnd. Nach ihr tritt ein Opern-Dämon auf und vollführt dämonische Tänze, großartig! Das nächste Mal: Pekingoper, ganz klar.
    Jackie überreicht uns zum Abschied im Namen des Restaurants noch hübsche Chopsticks in einer hübschen Box und wir verabreden uns für Morgen Abend zum Essen. Auf eine Weise ist Jackie sehr herzlich, warm und verbindlich, auf der anderen Seite ist er sehr nüchtern und distanziert. Diese Zweigesichtigkeit irritiert mich immer wieder, ich muss noch viel über die chinesische Art lernen. Vielleicht ist es auch einfach nur Unsicherheit.

    Dicke dicke Bäuche sitzen rechtzeitig vor Betriebsschluss in der U-Bahn und lassen sich Nachhause rollen, zickizacki durch die Hutonggassen geeiert und dann leuchtet und das zum Dreibeinigen Frosch Hostel einladend entgegen mit unseren wunderbaren Betten. Nachts in den Hutongs, das hat eine ganz besondere Ausstrahlung, etwas beruhigendes, geborgenes. Wir fühlen uns doch nicht etwa wohl?
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