• 3. September

    3 september 2024, Noorwegen ⋅ ☁️ 9 °C

    Das war also die erste Nacht in einer norwegischen Hütte. In einem richtigen Bett zu schlafen, ist wohl was anderes als im Zelt und recht komfortabel ausgestattet sind sie ohnehin. In vielen dieser Hütten gibt es Solarpanele, die eine große Batterie speisen und über die Beleuchtung und sogar USB-Anschlüsse zum Laden vorhanden sind. Am Morgen frühstücken wir zusammen, Christoph erzählt mir unter anderem von der App, die es zum Bezahlen gibt. Da er heute einen besonders langen Weg hat, bricht er vor mir auf, ich bin circa um acht soweit. Direkt von der Hütte aus zieht sich der Weg weg vom See steil den Berg hinauf und wird nach dem ersten Teil auch recht steinig. Wenn ich gestern schon der Meinung war, es ist steinig, muss ich mich korrigieren, gegenüber heute war das gestern wie eine Almwiese. Es zieht sich aufwärts, ich verlasse schon bald die leuchtend bunten Herbstwiesen, habe immer wieder kleinere Bergrücken zu überwinden und auf jeden Fall nur Steine, durch die ich steige und so sieht auch die Landschaft vor mir aus. Trotz der fehlenden gelb-orangen Herbstfarben sind die Steine in so unendlich vielen verschiedenen Tönen und Schattierungen vorhanden, dass sie es quasi ersetzen. Ein kurzes Stück habe ich mit braunen Steinen, sie sehen aus der Entfernung aus, als wären es Erdhaufen. Ich gehe extra dahin und steche mit dem Stock darauf, in der Erwartung, dass alles zerfällt, aber nein, es sind tatsächlich Steine. Kurz darauf welche in grün wie Irish Moos und insgesamt all das, was ich so übersteige hat wie viele Linien, Schattierungen und die urigsten Formen. Schon um zehn ragt vor mir das Trehakfjellet mit 1512 m.ü.M. empor, das ich an seiner westlichen Flanke passiere. Anfangs ist schwer zu erkennen, wo der Weg wohl weitergeht, Pfade gibt es in den Steinen natürlich nicht und die roten Markierungen sind manchmal nicht zu erkennen. Da vor mir und um mich rum gefühlt überall Berge aufragen, stellt sich die Frage, über welchen davon ich wohl steigen muss. Natürlich ist es in der Regel die niedrigste Stelle, aber mit jedem Meter, den ich laufe, verändern sich diese Bilder ein wenig und so braucht es eine Zeit, bis ich erkenne, wo ich lang muss. Es ist ein Pass westlich des Rivgočohhka (1586 m.ü.M.), der mich über 1285 m führen wird. Der Wind ist wie gestern auch recht kräftig, aber solange ich von den Bergen umschlossen bin, noch überschaubar. Die Wolken über mir ziehen hauptsächlich grau vorüber und verdecken teilweise die Spitzen dieser Berge. Der Blick zurück zeigt mir zumindest zeitweise blauen Himmel über dem See, an dem ich die letzte Nacht verbracht habe. Gegen elf habe ich das Ziel, dass es zu übersteigen gilt fest im Blick und brauche circa eine Stunde, bis ich über all die Felsen und Steine da hoch balanciert bin. In dieser Stunde bin ich übrigens auch an irgendeinem Punkt auf den E1 zurückgekommen, dem ich ab jetzt konsequent folgen werde. Um kurz nach zwölf oben auf dem Pass angekommen, treffe ich auf die Engel am Weg, von denen ich schon die Tage gehört hatte: Inger und Bjørn aus Narvik, ein norwegisches Rentnerpaar und selbst begeisterte Fernwanderer, die als Mitglieder des DNT ehrenamtlich die Markierungen auf den Steinen neu machen. Auf einer Wanderung hier entlang haben sie gesehen, dass die Markierungen so sehr schwach und kaum erkennbar sind, dass sie sich für diesen Teil zur Erneuerung entschieden habe. Sie machen hier oben Pause, da ihre Farbe für heute alle ist und ich geselle mich zu Ihnen, da ich genau hier oben auch meine große Mittagspause geplant hatte. Es ist schön, auch mal solche Leute zu treffen, die sich um all diese Annehmlichkeiten am Weg kümmern, noch dazu sind sie sehr angenehm in ihrer Art.
    Dass der Weg heute so steil und steinig aussieht, hatte ich natürlich nicht auf meinem Plan, von daher sind die geplanten 25 km eine Illusion. Der Weg oben auf dem Pass zieht sich noch eine ganze Ecke hin, bevor es dann auf der anderen Seite wieder abwärts geht. Der Wind ist dort deutlich stärker, der Abstieg also für mich noch viel aufwändiger als der Aufstieg. Manchmal bläst der Wind konstant, dann ist wieder für kurze Zeit totale Ruhe und dann kracht wieder eine Böhe von hinten rein, während meine Schuhsohlen beim Tanz über das Geröll ohnehin nur wenige Quadratzentimeter Kontakt haben. Dafür öffnet sich kurz darauf ein wunderbarer Blick runter ins Tal und nachdem ich den ersten See auf 1094m umlaufen habe, erscheint kurze Zeit später der nächste mit der Cáihnavággihytta. Die erreiche ich gegen drei, habe jetzt 12 km gemacht und da die zwei Engel auch hier Zwischenstation machen, um morgen nach Hause nach Narvik weiterzuziehen, halte ich mit Bjørn noch einen Schwatz, mache eine längere Pause in der Hütte und koche Kaffee und eine Tasse Nudeln. In dieser Zeit kommen noch ein paar Wanderer an, wir unterhalten uns ein wenig, während der Wind draußen das Wasser vom See als Nieselregen gegen die Fensterscheiben schlägt. Um halb fünf breche ich noch mal auf, der Weg gilt ab jetzt als gut zu beschreiten, hauptsächlich abwärts, das Wetter ist gut und der Wind fühlt sich hier nicht mehr so garstig an wie ganz dort oben. Außerdem treffe ich auf Heidelbeer- und Preiselbeerfelder am Wege, so schön reif und dick, ich muß wieder kurz auf die Knie. Es geht wieder an wunderbar bunten Hängen entlang einer Schlucht und je tiefer ich komme, desto mehr öffnet sich ein weites, sehr weites Tal, dem ich in nördlicher Richtung weiter folge, in westlicher Richtung öffnet sich der Blick auf mehrere Gletscher, es ist das Storsteinsfjellet auf 1894 m.ü.M., wohl der dritthöchste Berg im Norden Norwegens. Während ich dem Pfad folge und diese unendliche Weite über das Tal genieße, begegne ich noch einem Norweger, der mir sagt, dass der Weg demnächst an einer Brücke dem Fluss kreuzt und dann auf der anderen Seite wie in einer V-Form wieder zurückkommt. Vielleicht könnte ich ja den Fluss direkt hier schon queren und mir damit ein paar Kilometer sparen. Wenn der Mann das sagt… Ich denke kurz über seinen Vorschlag nach und na klar. Es muss ja gemacht werden. Ich stiefele direkt runter zum Fluss, anfangs noch in der Hoffnung, ihn vielleicht sogar mit Schuhen passieren zu können, was ich mir aber sehr schnell abschminke. Nachdem ich einen Teil des Flusses mit Schuhen gemacht habe, baue ich um, ein paar Meter sind doch knietief zu furten und während ich danach wieder umbauen, sehe ich aus den Tälern hinter mir heftigen Regen heranziehen. Noch schnell den Poncho drüber und dann gehe ich querfeldein Richtung Weg. Es gibt hier eine einsame, verschlossene Rentierwächter-Hütte, an der ich auf der Windschattenseite erst mal kurz innehalte und Schutz vor dem Regen suche. Habe eben schließlich auch nicht meine Regenhose mit drübergezogen. Da der Wind immer noch recht heftig ist und ich in der flachen weiten Landschaft kaum irgendwo Schutz finde, beschließe ich, hier an diesem Punkt im Windschatten der Hütte das Zelt aufzubauen. Was mir natürlich fehlt, ist Wasser, also gehe ich den halben Kilometer inzwischen ziemlich durchnässt noch einmal zurück zum Fluss, besorge Wasser und bin dann gegen halb acht unter Dach und Fach. Der Regen hört gegen acht auf, es ist außen rum wieder ganz angenehm, aber weiterhin stark windig, was ich auch die ganze Nacht durch zu hören bekomme. Für heute bin ich absolut durch, nach dem Essen fallen meine Augen zu und das war’s.
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