• 10. September

    September 10, 2024 in Norway ⋅ 🌬 13 °C

    So wild war es dann doch gestern Abend nicht mehr. Der Wind hat zwar noch mal zugelegt, aber nicht in einer Form, die mich irgendwie beunruhigt hätte. Eine Sache war am Abend noch besonders, ich habe über den See auf der anderen Seite Lichter wie Straßenlaternen gesehen, also da, wo auch Häuser stehen. Seit wie langer Zeit sehe ich nirgends Lichter, da es hier rum in den Bergen kaum irgendwo Elektrizität gibt. Am Morgen windet es weiterhin ganz gut, dafür ist dann auch alles ordentlich durchgetrocknet. Entsprechend bin ich auch mit Frühstücken und Packen relativ flott durch und kann schon um kurz vor acht losgehen. Ab jetzt geht es für die nächsten zwei Tage Richtung Osten, um dann noch vor der schwedischen Grenze wieder Richtung Norden weiterzugehen. Deshalb scheint mir die Sonne auch direkt ins Gesicht, wenn sie zwischen den Wolken von Zeit zu Zeit durchkommt, es ist trotz des Windes verhältnismäßig warm. Ich will heute die Vuomahytta in gut 24 km Entfernung ansteuern, da eigentlich aber der Ruhetag geplant war, bin ich noch nicht abschließend sicher, ob ich in der Gaskashytta in 6 km bleibe und den Rest als Ruhetag mache oder wirklich durchgehe. Es führt erst mal weiter in der Nähe des Sees am Fuße des Berges durch nicht allzu dichten Birkenwald. Die Wolken haben irgendwie andere Formationen, die mich gestern immer haben Richtung Gewitter tendieren lassen, heute denke ich über noch stärkeren Wind nach, bin aber kein Meteorologe. Es geht im Wald leicht bergan und zieht sich immer mehr vom See weg, während zu meiner linken der Lifjellet immer mehr an Höhe verliert. An seinem Auslauf zieht er sich in ein Tal und dort komme ich nach gut zwei Stunden, nachdem ich noch ein paar deutsche Wanderer am Weg getroffen habe, zur Gaskashytta. Schon in einiger Entfernung nehme ich ganz leicht Rauch wahr, also scheint jemand vor Ort zu sein. Ich kehre ein und treffe auf die Norwegerin Anne-Julia, schon wieder eine ehemalige Deutschlehrerin, die ehrenamtlich zusammen mit einigen anderen Leuten hier die Hütten für den Winter vorbereitet und diverse Arbeiten erledigt haben. Sie haben unter anderem eine der Hütten um 40 cm angehoben, da sie sich gesenkt hatte. Das alles mit mehreren Wagenhebern. Schon interessant, was die Mitglieder alles freiwillig auf die Beine stellen. Sie ist jetzt allein hier und wartet auf ihren Mann, der sie in einigen Tagen abholen will. Da sie mir einen Kaffee und eine halbe Tafel Schokolade anbietet, kommen wir gut ins Gespräch und aus der geplanten Stunde werden mindestens anderthalb. Dann kommen wir fast beiläufig auf das Wetter zu sprechen. Laut ihrem Wetterbericht soll es am Nachmittag Sturm geben, angekündigt sind circa 80 km/h, ich vergleiche das außergewöhnlicherweise noch mal mit meiner Vorhersage, die melden je nach exponierter Lage bis zu 120 km/h. Ok, kurz drüber nachgedacht, ich werde den größten Teil der Strecke um die Zeit gemacht haben und breche gegen halb zwölf von hier auf. Ich folge dem Tal Gaskkasvággi in Richtung eines Passes, der von hier auf 550 m.ü.M. über knapp 1000m zur Vuomahytta auf circa 700m führt. Der Birkenwald rundherum ist tot, es ist eine bestimmte Raupenart, die die Blätter frisst und wenn sie zu lange die Bäume befallen, sterben die halt ab. Der Aufstieg Richtung Pass ist anfangs über Hochwiesen, nicht sonderlich steil, aber es zieht sich. Die Landschaft rundherum ist ziemlich trist anzusehen, die Berge sind reines, graues Geröll und das wird mit zunehmender Höhe auch mehr und mehr mein Weg. Natürlich nimmt auch der Wind weiter oben zu, da für den späteren Nachmittag auch Regen angekündigt ist, bereite ich bei einer Pause schon mal alles vor, also Regenhose und Poncho. Um das tierisch laute Flattern des Ponchos zu verringern, habe ich heute eine zusätzliche Befestigung angebracht, mal sehen, ob es einen großen Unterschied macht. Inzwischen laufe ich nur noch durch eine Steinwüste, der Wind ist hart von vorn, das Vorwärtskommen ist nur noch ein mechanisches Schritt für Schritt voreinander setzen. Ich nutze meine Wanderstöcke dazu, die mich hier deutlich unterstützen. Nichtsdesto trotz ist der Sturm nicht so schlimm, wie ich mir das ausgemalt hatte. Und schließlich bin ich inzwischen auf der höchsten Ebene angekommen, die ich zu überqueren habe. Es fühlt sich jetzt inzwischen sogar an, dass der Wind nachgelassen hat. Die Wolken ziehen in rasant hoher Geschwindigkeit vorbei und ganz langsam beginnt sich der Weg wieder Richtung Tal zu ziehen. Zu meiner linken habe ich das Gaibagáisi-Massiv, das bis auf knapp 1400 m.ü.M. aufragt, zur rechten den Doaresoaivi. Es läuft sich recht aufwändig, das umherliegende Geröll ist nicht sonderlich groß, oftmals stehen die Steinplatten hochkant und sind wackelig unter den Füßen. Je weiter ich zwischen diese Berge komme, desto mehr nimmt der Wind wieder zu und ich bin verwundert, mit welcher Stärke er inzwischen bläst. Das ist inzwischen deutlich mehr als vorhin auf dem Pass ganz oben. Ausgerechnet in diesem Hochtal hätte ich durch die Berge zu beiden Seiten genau das nicht erwartet. Die Windrichtung wechselt so abrupt, während es von vorn links kommt, ist es 2 Sekunden später von rechts. Dazu setzt ganz langsam der Regen ein, anfangs noch als feiner Niesel, der durch die hohe Windgeschwindigkeit hart auf der Haut prickelt. Je tiefer ich in dieses Tal komme, es öffnet sich später noch zu einer größeren, weiten Fläche, desto härter beißt der Wind an. Ich stehe inzwischen sehr häufig total schräg, komme nicht mehr vorwärts, sondern halte einfach nur noch dagegen, um nicht umgeworfen zu werden. Immer, wenn es kleine Böschungen herunter geht, warte ich auf eine ganz kurze Flaute, um nicht Gefahr zu laufen, aus dem Tritt gebracht zu werden und darunter zu rollen. Die Windgeschwindigkeit ist hier so viel höher, als ich sie oben auf der Passhöhe hatte, unglaublich. Von den Felswänden her dröhnt es wie ein Wasserfall, aber da ist keiner, es ist der Sturm, der so laut darüber fegt. Ich bin zwar insgesamt gut vorwärtsgekommen, es sind von hier nur noch circa 5 km bis zur Hütte, aber die werden heute verdammt lang. Ganz nebenbei bin ich gerade in den Øvre Dividal Nasjonalpark gekommen, aber das ist gerade wirklich nur Beiwerk. Es wird immer schwieriger, überhaupt vorwärts zu kommen, sehr häufig stütze ich mich nur noch auf den Stöcken ab oder versuche irgendwie, nicht umzufallen. Die Schritte sind sehr klein und ich sehe an einigen Seen, die hier in diesem Hochtal sind, wie das Wasser komplett hochgewirbelt und übers Land gefegt wird. Ebenso ein Wasserfall, der oben in den Bergen herunterstürzt, ein Großteil des Wassers wird gegen seine eigentliche Richtung wieder hochgeblasen. Es ist inzwischen vier geworden und ich kann sagen, in einem solchen Sturm bin ich noch nie unterwegs gewesen. Immerhin ist meine Poncho-Konstruktion ganz gut und so arbeite ich mich die letzte Stunde langsam durch diese Witterung. Gegen fünf erreiche ich die Vuomahytta, der Regen ist inzwischen massiv, und so reicht der Moment vor der Hütte, als ich den Poncho vom Rucksack nehme, um den Schlüssel rauszuholen, dass der Rucksack komplett durch ist. Ich habe mich tatsächlich noch nie so auf eine Hütte gefreut, sehe zu, dass ich die Sachen zumindest in den Vorraum schaffe und die Tür hinter mir zukriege. Als kleine Belohnung habe ich hier tatsächlich eine royale Unterkunft. Die Hütte ist in 2018 gebaut worden, recht modern, hell und mit großen Panoramafenstern raus zum Vuomajavri. Ich hänge alle nassen Sachen auf, mache Feuer im Ofen und sitze nach dem Essen auf dem großen Sofa, während der Sturm ums Haus donnert. Tatsächlich merke ich, wie die ganze Hütte bebt, wenn einzelne kräftige Böen auftreffen. Was freue ich mich jetzt auf den morgigen freien Tag!Read more