• 12. September

    September 12, 2024 in Norway ⋅ ☁️ 8 °C

    Wenn ein Donnerstag sich wie ein Montagmorgen anfühlt, dann nur, weil die Ruhetage durcheinander sind. Aber auch der Blick nach draußen ist nicht sehr einladend. Der Wind pfeift hart übers Fjäll und peitscht den Regen vor die großen Fensterscheiben. Ich gebe mir noch eine halbe Stunde zusätzlich, bevor ich dann tatsächlich aufstehe. Einerseits fühle ich mich gut und bereit, heute morgen aufzubrechen, da alle Sachen erledigt sind, die ich vorhatte, andererseits scheint es so, als wollte der waagerecht draußen vorbeipreschende Regen sagen: „Komm raus, du Weichei, ich krieg‘ dich eh.“ Also passiert das Frühstück und Einpacken nicht nur bei mir, sondern auch bei dem österreichischen Wanderkollegen mehr wie in Zeitlupe, jeder versucht irgendwie etwas Zeit zu schinden, bevor er da rausgeht. Es gibt noch einen Kaffee mehr und nachdem er und auch alle anderen aus den Hütten abmarschiert sind, schaffe ich es als letzter, dann auch nach um zehn aufzubrechen. Ich verfolge den Weg heute auf Empfehlung der Deutschlehrerin südlich und den Berg Blåfjellet herum statt nördlich, wie der E1 es tut. Es ist wohl eher eine Formsache, vielleicht ein wenig kürzer. So wie sie sagte, gehen die Locals alle diesen Weg, auch wenn er nicht besonders markiert ist. Ich folge dem Pfad, verliere ihn hin und wieder, aber finde ihn auf genauso wundersame Weise immer wieder. Und selbst ohne Pfad weiß ich ja die Richtung, wo ich hin will. Es läuft sich, wie es sich halt läuft bei heftigem Wind von vorn und starkem Regen, der sich auf dem Gesicht wie Graupel anfühlt. Immerhin konnte ich ja alle Regensachen ganz elegant noch in der Hütte vorbereiten, und so zieht es sich zwar nass, aber ausgeruht weit oberhalb des Flusses Vuomajohka durch baumfreies Fjäll, das lediglich am Boden recht krautig ist. Der bedeckte Himmel und das dadurch schwache Sonnenlicht taucht die Landschaft in ein grau mit braun gemischtes Meer, der Regen ist wirklich heftig und es läuft nur so an meinem Gewand runter. Nach einer guten Stunde sehe ich zu meiner rechten hinter den Bergen südlich ein Stück blauen Himmel. Daß meine Laune damit schlagartig angehoben ist, ist mir nicht neu und es dauert von jetzt an nur noch eine Stunde und ich habe komplett blauen Himmel wie schon die ganzen Tage vor dem Sturm. Das hätte ich mir vorhin wirklich nicht träumen lassen. Ich hänge all den Regenkram außen dran, damit der trocknen kann und Stück für Stück wirkt die Landschaft wieder wie eine zimtig-goldige Herbstlandschaft. In der Gegend hier gibt es Heidelbeeren, wie ich sie so fett bisher nirgends hatte und so liege ich alle paar Meter am Boden und schaufle mir händeweise den Süßstoff rein. Da ein Großteil der Blätter von diesem Pflanzen inzwischen abgefallen ist, erntet es sich jetzt noch leichter und schneller.
    Gegen zwei erreiche ich die Stelle am Fluss, an der eine Hängebrücke hinüberführt und treffe hier auf Berit, sie ist in der selben Richtung wie ich unterwegs und wir haben gestern Abend in der Hütte schon eine Zeit zusammen gesessen und uns unterhalten. Es ist Zeit für die große Pause und das letzte Durchtrocknen der Regensachen in der prallen Sonne. Der Himmel ist komplett blau, recht ungewöhnlich für hier. Ich bin damit wieder auf dem Nordkalottleden zurück und gerade ins Anjavassdalen gekommen, kaum einen Kilometer weiter fließen der Vuomajohka und der Anjavasselva zusammen in Richtung Dividalen. Das ist ein großes weites Tal, ich bin jetzt in Seitentälern dahin unterwegs, also geht es immer am Fluss entlang abwärts. Der Weg an sich ist wirklich besonders schön, leicht zu laufen und zieht sich gut zwanzig Meter seitlich über dem Fluss entlang durch kräftig grünen Untergrund, hier sind die Pflanzen der schwarzen Krähenbeere überwiegend. Das ganze abgesetzt mit einzelnen gelben Birken macht mit so viel Azur und heller Beleuchtung richtig was her. Die Zeit verfliegt nur so und das permanente Rauschen des Flusses, hier und da Stromschnellen und Wasserfälle lassen mich hier entlang schweben. Dann sehe ich ziemlich weit im Fluss einen großen Stein, der über ein paar kleinere erreichbar ist. Genau da will ich jetzt sitzen und Pause machen, der Blick geht flussaufwärts der Sonne entgegen und ich kann vor lauter Spiegelung und greller Glitzerei kaum was sehen. Das ist so traumhaft schön, die kleinsten Wasserspritzer sind im grellen Licht so deutlich und tun alles dafür, dass ich sie bewundere. Schade, dass es jetzt keine Pause-Taste fürs Leben gibt. Auf dem Weg weiter abwärts begegne ich drei Jägern, es sind derzeit Unmengen von ihnen in den Wäldern unterwegs auf der Jagd nach Moorschneehühnern, auch an den Schüssen deutlich wahrzunehmen. Außer durch die Jagdhunde und ihre Flinten unterscheiden sie sich kaum von den Wanderern, auch sie ziehen jetzt tagelang zu Fuß umher, übernachten dann in der Regel in den Hütten. Also schleppen auch sie große Rucksäcke mit Ausrüstung, Futter für Mann und Maus und natürlich ihre Beute. Gegen fünf erreiche ich den letzten Wasserfall, bevor der Anjavasselva bei circa 350 m.ü.M. in den Divielva mündet. Kurz danach quert noch eine Brücke den Fluss, an dem sich der Weg jetzt östlich durch Kiefernwald für gut zwei Kilometer flussaufwärts zieht. Ab dann gibt es noch einen sportlichen Endspurt, die letzten zwei Kilometer bringen mich abseits des Divielva wieder aus dem Tal heraus hoch auf gut 600m. Nicht ganz ohne Schweiß auf der Stirn, aber die Aussicht auf Abendsonne dort oben an der Dividalshytta ist eben bei diesem grandiosen Wetter Verlockung genug. Und so bin ich gegen sechs am Abend dort oben, platziere die kleine Trutzburg ziemlich ausgesetzt in der Nähe der Hütte und richte mir drinnen das Abendmahl an. Jünger wären ausreichend da, wieder mal Wanderer und Jäger. Wohl genährt fahre ich gegen halb neun bei kräftigem Wind ins kleine Wohnzimmer ein in der Hoffnung, dass die Heringe draußenrum gut Halt haben.
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