• 20. September

    September 20, 2024 in Finland ⋅ ☁️ 2 °C

    Durch das selbe Fenster, durch das der Mond mir am Abend die Augen zugemacht hat, weckt mich heute am Morgen die Sonne. Es ist kurz vor sieben und sieht fantastisch hell aus. Der Wind kam in der Nacht noch einige Male lautstark zurück, jetzt ist es zwar noch windig, aber überschaubar. Alle wichtigen Vorbereitungen habe ich gestern Abend schon getroffen und so ist das Frühstück und Zusammenpacken schon um halb neun erledigt. Ich ziehe los in meinen letzten Tag in Finnland. Auch wenn der Wind nicht mehr akut ist, so ist doch die Luft heute deutlich kälter. Ein nacktes Bad im Fluss wie gestern würde ich jetzt um keinen Preis nehmen wollen. Erst mal quere ich den Fluss Bierfejohka unweit der Hütte, spare mir damit einen Umweg von anderthalb Kilometern über die Brücke. Ab jetzt zieht es sich erst mal um den Meekonjärvi direkt am Fuße des Megonbákti entlang durch großes Geröll. Freundlicherweise hat man hier dicke Holzplanken über einige Stellen geführt, so dass diese Blockfelder gut zu passieren sind. Entlang des Sees fällt mir auf, dass sämtliche Birken schon komplett ohne Blätter sind, da wird der Sturm seinen Anteil haben, aber insgesamt schreiten wir ja auch massiv in Richtung Winter fort. Nachdem ich den See hinter mir gelassen habe, geht es für gute 3 km entlang seines Zuflusses Vuomakasjoki, also konstant leicht bergauf. Ich mag das sehr, wenn der Weg an Flüssen entlang führt, weil das Bild sich ständig ändert, gerade jetzt bei dem tollen Sonnenschein und auch die Geräuschkulisse für mich sehr angenehm ist. Da sind Wasserfälle und Stromschnellen und ein Stück weit geht es an einer ziemlich steilen Felswand oberhalb des Flusses entlang. So steil, dass hier sogar mit einer Art Handlauf gesichert ist. Die kalte Luft bringt mich doch dazu, zumindest Mütze und Handschuhe herzunehmen, wenn schon keine Jacke. Die Finnen in der letzten Hütte hatten laut ihrer Vorhersage für heute das Wetter als „worse“ bezeichnet, ich freue mich innerlich über diese neue Definition. Nichtsdestotrotz ist mein Gedanke, dass jeglicher Niederschlag heute bei der Kälte als Schnee käme. Gegen zehn erreiche ich den See Vuopmegašjávri, direkt an seinem Auslauf überquere ich den Fluss per Hängebrücke und treffe dort auf einen Finnen mit Schäferhund. Es wird jetzt tatsächlich, wie ich es erwartet hatte, immer dünner mit Wanderern hierum, die meisten Finnen gehen nach oder kommen von Halti, einer Hütte nicht mehr so wahnsinnig weit von hier. Von der Brücke aus sehe ich schon die Hütten und wundere mich gleichzeitig, dass ich denn schon so früh dort ankomme, schließlich sind es gute 13 km. Ein Wegweiser-Schild etwas dichter dran weist mir den Weg und nordet mich noch mal neu ein, ich habe noch 5 km zu machen. Da es sich bei dem Wetter aber wunderbar läuft und auch mein Rucksack heute wieder ein gutes Stück leichter ist, fliege ich geradezu über die durchaus steinigen Wege. Nach dem See biegt es rechts weg Richtung Norden und zieht sich wieder an einem kleineren Fluss aufwärts, bis ich den Pitsusjärvi erreiche. Auch hier wähne ich mich bei den Hütten, die ich sehe, schon wieder an meinem Zwischenziel, wieder werde ich am nächsten Schild darauf hingewiesen, dass da immer noch 2 km zwischen sind. Okay, so denn, es geht jetzt direkt am See entlang, der Wind ist hier besonders streng, da ihn natürlich über die Riesenwasserfläche nichts und niemand bremst. Gegen halb eins habe ich das Objekt der Begierde dann erreicht, in den Bergen voraus kann ich nicht gut einordnen, ob ich dort Regen oder Nebel sehe. Aber jetzt ist erst mal Pause und dann sehen wir weiter. Noch während ich zur Pause sitze und das Treiben da draußen so betrachte, erkenne ich, dass es Schnee ist, der vom Westen durch die Berge hergezogen kommt. Da ist er nun also, der erste Schnee, der bei gleichzeitig blauem Himmel und heftigem Wind hier durchweht. Da hab ich mir für meine Mahlzeit und ein kurzes Schläfchen hinterher wohl genau die richtige Zeit ausgewählt, denn als ich wieder aufbreche, ist alles wieder so wie vorher. Ab jetzt zieht es sich kontinuierlich hoch auf den Berg auf über 950 m.ü.M. Es sind Hochwiesen mit inzwischen komplett trockenem Gras, das in der Sonne wunderschön aussieht und sich biegt, wenn der Wind darüber fährt. Irgendwie stelle ich mir so auch Patagonien vor, wo der Wind hoch in den Bergen eben genauso durch das Gras fährt. Die Farben leuchten je nach Sonnenstand mehr oder weniger intensiv und ich folge meinem langen Schatten. Wenn ich mich umdrehe, sehe ich in weiter Entfernung in den Bergen, wie schneeverhangen alles ist, während ich voraus zwei Hochseen habe, zwischen denen der Weg hindurch führt. Hier oben ist der Wind sogar wieder angenehm ruhig und es könnte für einen Wandertag nicht schöner sein. Gegen vier habe ich den höchsten Punkt der heutigen Wanderung erreicht, das Gelände ist steinig, aber trotzdem für diese Umstände ganz gut zu laufen. Ab jetzt zieht es sich in einem weiten Tal abwärts, in dem der Kopmajoki fließt. Mal geht es recht dicht an dem ziemlich trockenen Flusslauf entlang, dann zieht es sich wieder seitlich an steilen Wänden hoch raus der teils schluchtartigen Landschaft raus. Als ich um halb fünf zu einer der letzten Pausen sitze, nehme ich hinter mir wahr, dass es sich ziemlich zugezogen hat. Während ich dann weiterlaufe, irgendwann schon in 3 km Entfernung die Hütten sehe, zieht ein leichter Schneeschauer heran. Es fühlt sich für mich wie der zärtlichste Wintereinbruch aller Zeiten an, so als wollte er sagen: „Fabian, erschreck dich nicht, du sollst nur wissen, dass ich jetzt da bin.“ Schließlich kommt aus der selben Richtung auch gleichzeitig die Sonne und wirft einen langen Schatten vor mir auf den Weg, während gleichzeitig feinste Schneeflocken von hinten angeweht kommen. Für eine halbe Stunde ist dann nochmal Ruhe und ich habe wieder die Nachmittagssonne pur, während auf den letzten 20 Minuten noch einmal ein Schauer einsetzt und mich etwas größere Schritte machen lässt. Ich habe keine Lust, jetzt so kurz vor dem Ziel noch den Poncho überzuziehen. Das klappt auch und so bin ich um kurz nach halb sechs an der Hütte Kopmajoki autiotupa. Wenige Minuten vor mir ist scheinbar aus anderer Richtung ein Wanderer angekommen, er schlägt aber in einiger Entfernung sein Zelt auf, während ich mich direkt in der Hütte einniste, ein Feuer anmache und erst mal einen Kaffee koche. Danach gibt es noch was zum Essen, etwas Lektüre aus dem Gästebuch und es dauert nicht allzu lange, da steht der Mond, heute schon wieder abnehmend, am Himmel. In der kleinen urgemütlichen Hütte beginnt es Stück für Stück dämmerig zu werden, so dass ich mir eine Kerze anzünde und nur noch das Tagebuch schreibe. Bin sehr gespannt, wie es morgen früh draußen aussieht.Read more