• 17. Juli

    July 17 in Norway ⋅ ☀️ 14 °C

    Nach dieser wunderbaren, gleichzeitig aber auch kurzen Nacht stehe ich gegen acht auf, als der Wind wieder deutlich zugenommen hat. Beim Zusammenpacken und auch beim Kaffeetrinken muss ich auf jedes Kleinteil achten, dass es mir nicht auf Nimmerwiedersehen fort fliegt. Trotzdem ist es ein großer Genuss hier oben , bei dem ich auch noch von ein paar Rentieren Besuch bekomme. Eine Kuh mit ihrem Kalb, dass sich unweit von mir direkt ablegt und schläft. Um zehn schaffe ich meine Taschen wieder vom Berg runter und bestücke das Rad, jetzt heißt es doch nach Hammerfest aufzubrechen. Die Rentiere sind hier überall: Auf den Straßen, in den Orten, gerade kommen mir ein paar in der Baustelle entgegen. Der Ort, den ich jetzt vor mir sehe und den ich schon für das Ziel halte, ist es aber nicht. Es ist Rypefjord, eher ein Vorort, der aber einen recht eindrucksvollen Hafen hat. Es ist jetzt gut elf und linkerhand neben der Tankstelle ist eine Autowerkstatt, in der ich gleich mal nach Kriechöl frage, da die Aktion von gestern ohne irgendeinen Änderung geblieben ist. Ein junger Mechaniker sucht eine ganze Weile und gibt mir dann eine Flasche, mit der ich die Gelenke noch einmal schmiere. Und siehe da, ab jetzt ist Ruhe. Hoffentlich hält das recht lange an. Nicht sehr weit danach nehme ich wahr, dass ich den Berg Tyven mit dem Fernsehturm drauf schon passiert habe. Da ich auf den hochsteigen will, parke ich bei einer Firma, die Schneemobil und ATVs vertreibt, mein Rad, packe in meinen Stoffbeutel etwas Wasser und Proviant und schnüre die Wanderschuhe für den Aufstieg. Für den Herrn, der gerade hier rumläuft, ist es überhaupt kein Problem, dass ich das Fahrrad so lange parke. Gegen halb zwölf breche ich auf, die gut 4-5 km da hoch auf 418 moh zu steigen. Es gibt wohl, wie mir der Herr gestern Abend erzählt hat, Treppen an den steilsten Stellen, die aus großen Steinen gebaut ist, die nepalesische Sherpa dort hoch gebracht haben. Es gibt wohl 90 Projekte in Norwegen, bei denen nach diesem Prinzip steile Bergaufstiege für Touristen besser begehbar gemacht wurden. Ich halte von sowas nicht viel, es ist ein Berg und soll auch einer bleiben. Da fehlt nur noch der Krückstockverleih an seinem Fuße. Noch lange bevor ich in die Nähe dieser Treppen komme, biege ich eh nach rechts weg und nehme einfach den direkten steilen Weg Richtung Fernsehturm. Durch große Felsen und Geröll steige ich in gut einer Stunde bis auf die Spitze mit dem untersetzten Betonturm. Von hier aus habe ich einen wunderbaren Ausblick rundherum übers Meer, die umliegenden Inseln, die Stadt Hammerfest und auch das bergige Hinterland. Gut anderthalb Stunden sitze ich in dem wabenförmigen Holzgebäude mit der riesengroßen Panoramascheibe geschützt vor dem heftigen Wind und genieße die Aussicht. Hier oben steht übrigens der nördlichste von 265 geodätischen Punkten des Struve-Bogens, die zur besseren Vermessung der Erdgröße und -oberfläche in den Jahren 1816-1855 vom Schwarzen Meer bis hierher errichtet wurden. Um drei mache ich mich auf den Weg zurück. Hierbei habe ich dann auch ein kurzes Stück auf den Treppenstufen zu absolvieren und es ändert sich nicht: Ich mag sie nicht. Unten angekommen fahre ich nur ein paar Meter weiter an einen kleinen See, in dem es eine schwimmende Holzplattform gibt. Angesichts der Hitze will ich da sofort reinspringen und ein Bad nehmen, der straffe Wind dazu hält mich aber am Ende doch ab und so sitze ich recht lange in einem schattigen Shelter, bevor ich noch ein paar Meter weiter durch den Supermarkt gehe. Alles in allem ist es inzwischen sechs geworden und ich nähere mich jetzt weiter langsam der Stadt. Gegen sieben habe ich den Hafen und damit den Kern der nördlichsten Stadt der Welt erreicht. Es ist Musik und eine Menge Fressbuden stehen umher. Hier und an verschiedenen Stellen sehe ich, wie Bühnen aufgebaut werden. Ich befrage einen der Ordner und der erzählt mir, dass diese Woche Festwoche ist, weil die Stadt, die 1789 das Stadtrecht erhielt, so wie jedes Jahr Geburtstag feiert. Der Tag ist für mich fast rum, Eintritt für eine Musikveranstaltung zu zahlen habe ich keine Lust und einen Platz. Für die Nacht habe ich auch noch nicht. Also genehmige ich mir einen Rider-Burger, ziemlich der leckerste, seit langer Zeit, unterhalte mich eine Zeit lang mit einem Österreicher, der auch radelnd zum Kap will und schleich mich dann vom Acker, während ich mir die Stadt noch etwas ansehen. Richtung Flughafen raus ist es noch mal ein ganz ordentlicher Anstieg, mein Ziel ist der Berg oberhalb des Airports, von dem aus ich eine tolle Sicht über die Stadt, das Flugfeld und auch die Insel Melkøya habe, auf der eine riesige LNG-Produktionsstätte ist. Hier wird über eine 143 km lange Pipeline aus der Barentsee aus Unterwasserbohrinseln Gas hertransportiert, gereinigt, aufbereitet und per Schiff weitertransportiert. Das extrahierte CO2 wird ebenso über eine Pipeline wieder zurück in das Snøhvit-Feld gepumpt und dort unterirdisch wieder eingebracht. Der Weg bis hierher war jetzt schon ziemlich aufwändig, erst auf der Schotterstraße recht steil hoch, dann ein ganzes Stück wirklich über Wanderwege, die für das Fahrrad insbesondere mit diesem Gepäck nicht gemacht sind. Aber schon wieder tragen war dieses Mal keine Option. Da denke ich doch so oft an den Spruch zurück, den ich in meiner Kindheit recht häufig gehört habe: Wer sein Fahrzeug ehrt, der fährt. Wer sein Fahrzeug liebt, der schiebt. Das tue ich dann auch ein ganzes Stück. Da es bei meiner Ankunft hier oben gegen acht ziemlich bewölkt ist, stelle ich zur Vorsicht das Zelt auf, um das nicht eventuell später im Regen machen zu müssen. Nach einer guten Stunde sehe ich, dass das vollkommen überflüssig war, alle Wolken sind verzogen und ich bin mir ganz sicher, dass ich heute Nacht wieder auf der Matte draußen schlafen werde. Und so kann ich von hier oben aus mit einer Dose Bier und Knabbereien noch ein wenig der Feierlichkeit frönen. Wie auch schon gestern Abend ist gegen halb zehn der straffe Wind wie abgestellt und nachdem ich gegen halb elf dem letzten Flieger von hier aus zugesehen habe, ist dann Ende im Gelände.Read more