18. Juli
July 18 in Norway ⋅ ☀️ 17 °C
Das soll sich mal einer überlegen: Ich bin am 70. Breitengrad, das ist nördlicher als Alaska und Sibirien, schlafe nachts draußen auf der Matte und die Sonne weckt mich um halb fünf mit ihren warmen Strahlen. Es ist mir jetzt doch inzwischen zu warm und obwohl ich noch gar nicht so viele Stunden geschlafen habe, entscheide ich aufzustehen, zusammenzupacken und unten nach der Stadt den kleinen See von gestern aufzusuchen. Gesagt, getan. Ziemlich steil geht es hinab wieder ins zivile Umfeld, nicht ohne noch einen kurzen Stop einzulegen am Meridian-Monument, der Struve-Säule. Schon dabei kommt auf dem Schulhof, über den ich dahin fahre, ein Ren zur Treppe hochgestolpert. Und im Hafen kann ich das große Postschiff gerade noch beim Ablegen aus der Nähe sehen, bevor ich am Frischwasseranschluss des Supermarkts alle meine Flaschen auffülle. Gegen viertel sieben bin ich am See und erfrische mich nicht nur in Form einer Schwimmrunde, sondern wasche mich auch mal wieder lang und breit. Danach geht es gemächlich ans Frühstück in dem Shelter, wo ich schattig sitze, denn die Sonne brennt schon jetzt ohne Erbarmen. Alle tagsüber unbedeckten Stellen meines Körpers bitten ergiebigst um Schonung vor der gelben Glut. Der erste Fußgänger, der mit seinem Hund hier vorbeikommt, spricht mich an, er ist, was auch sonst, ein Deutscher, der seit zwei Jahren hier bei Hammerfest lebt und mit seinem Leben so sehr zufrieden ist. Am Ende sind doch anderthalb Stunden rum, bis er weiterzieht, und ich genehmige mir auch ausreichend Zeit fürs Tagebuch und genieße einfach. Gegen halb elf ist dann, deutlich später, als ich es noch so sehr früh am Morgen gedacht hatte, Aufbruch in den wohl heißesten Tag bisher. Und es ist wohl auch scheinbar Tag des Rentiers. Nicht, dass ich heute zum ersten Mal diese Paarhufer sehe, aber sie sind gerade einfach überall. An der Meridian-Säule, in der Stadt, auf Straßen, Gehwegen und auf den Baustellen, es wirkt wie eine Kundgebung. Für oder gegen was werde ich vielleicht im Laufe des Tages noch herausfinden. Die Strecke heute geht bis Skaidi wieder zurück, wie ich sie auch hergefahren bin, allerdings ist der Wind deutlich schwächer, freundlicherweise aber mit mir. Auf dem Asphalt ist es unglaublich heiß, da ist mir jede Abwechslung recht. Wie zum Beispiel ein paar Wale, die neben mir im Fjord dahinziehen, oder gegen Dreiviertel eins, als ich von der Straße aus abseits auf einem Hügel einen Hubschrauber stehen sehe. Da frage ich natürlich nicht lange, sondern parke den drahtigen Esel in einer Einfahrt und klettere hoch auf den Hügel. Dort sitzt Elias, der Lademeister und auf Nachfrage erklärt er mir, dass er und der Pilot gerade auf weitere Instruktionen warten, um Teile an die neue Hochspannungs-Trasse zu fliegen. Also die Gittermasten werden in Einzelteilen hochgeflogen und direkt verschraubt, ebenso sämtliches weiteres Material. Dass ich nicht mitfliegen kann, erklärt sich von selbst, aber zusehen, wie ein weiteres Teil und später ein Materialcontainer weggeflogen wird, ist alle Mal drin. Angeblich braucht es wohl für die Raffinerie auf Melkøya mehr Strom, als sie selbst erzeugen kann und so ist mir diese Trasse herwärts schon aufgefallen durch Protestschilder von Anwohnern gegen die 420kV-Leitung. Also auch hier nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen. Ganz ähnlich ist es mit den unzähligen Lachsfarmen, die hier in den Fjorden entstanden sind. Dort werden Unmengen von Geld verdient, gleichzeitig ist es eine völlig unnatürliche Art, die Fische aufzuziehen. In so einem Fisch ist am Ende keinerlei Omega³ enthalten und wie es bei Massentierhaltung nicht unüblich ist, verbreiten sich von hier aus auch massiv Krankheiten. Ich umfahre wieder den Tunnel, der zur Kvalsundbrücke führt, komme wirklich gut vorwärts und suche inzwischen nach einem schattigen Platz, aber recht erfolglos. Lediglich vor der Brücke finde ich eine Bushaltestelle, die leider statt zum Sund zur Straße hinzeigt, aber immerhin ist dort Schatten. Ich mache eine Pause und als ich gerade das Tragwerk befahre, nehme ich schon wahr, dass LKWs und Autos auf selbigem stehen statt fahren. Ach ja, wieder eine Kundgebung. Sie können aber auch störrisch sein wie die Esel. Nach der Brücke genehmige ich mir ein Eis im kleinen Supermarkt und bin gegen zwei jetzt wieder am Repparfjord unterwegs. Sehr auffällig, dass seit der Brücke der Wind so viel kälter ist, so dass ich mir die Jacke überziehen möchte. Sonst hat sich nichts geändert, die Sonne brennt schonungslos und es dauert noch eine gute halbe Stunde am Fjord entlang, bis sich diese so kalt gefühlte Temperatur wieder wärmer anfühlt. Die Strecke an sich ist mir natürlich schon bekannt, aber wie bei einem Suchbild sind ein paar Unterschiede eingebaut. Ich komme zum Beispiel wieder an dem Hof vorbei, der so nostalgisch wirkte, aber heute haben sie das Sahnehäubchen auf die fette Torte noch draufgesetzt: Ein 190er Daimler, Baujahr um 1960, steht an der Straße, als würden sie jeden Tag damit zur Arbeit fahren. Wie heißt es so schön? Ich bremse auch für Alte… Da muss ich ein wenig drumrum schleichen und bestaunen. Gegen vier komme ich wieder am Sami-Zeltplatz vorbei, die Tippis und die typische Flagge in den Farben Blau, Rot und Gelb ist schon von weitem gut erkennbar. Eine gute Stunde und mehrere Stopps später bin ich wieder am Klub, wo der Repparälv noch ein Fluss ist und mich wieder in seinen Strom lockt. Nach einer Pause fülle ich meine Flasche wieder mit seinem frischen Wasser auf und lasse es mir heute nicht nehmen, nachdem ich mein Handy ordnungsgemäß beim Fahrrad gelassen hab, doch einmal komplett durchzuwaten. So ohne Stöcke ist es tatsächlich grenzwertig, einmal zieht es mir die Füße schon soweit weg, dass ich fast drin liege. Aber genau darum bin ich ja auch hier. Unweit von hier, aber schon wieder pedalierend, ich habe gerade fünf oder sechs Autos hinter mir, sehe ich irgendetwas kleines auf die Straße bis fast zur Mitte laufen und dort sitzen. Ich reiße wie der Anführer der Kavallerie den Arm hoch, damit alles stoppt und auch ja niemand mehr überholt. Stelle das Fahrrad mitten auf die Straße und erkenne dann erst, dass es ein klitzekleiner Hase ist, nicht mal so groß wie meine Handfläche. Als angehender Schülerlotse helfe ich dem Jungschen wieder zurück, das ist der Unterschied zu alten Leuten, denen hilft man ja eher rüber, und dränge ihn noch ein ganzes Stück von der Straße entfernt bis ins Gebüsch. Hoffentlich hat er es verstanden, es geht hier ums kleine Ganze. Gegen sechs bin ich wieder zurück in Skaidi, ein Spanier bittet mich draußen mit an seinen schattigen Tisch. Er ist jetzt gerade in der vierten Etappe auf dem Weg von Barcelona zum Kap, wie er mir erzählt. Eine halbe Stunde später brechen wir gemeinsam auf, ich folge jetzt wieder dem E1 und E7, er ist nach wenigen Minuten aus meinem Blickfeld, schließlich macht er am Tag gute 150 km. Für mich ist das Ziel des heutigen Tages völlig ungewiss, von hier aus geht es noch einmal ein gutes steiles Stück auf eine Hochebene, nach der ich in gut zwanzig Kilometern den Olderfjord erreichen werde. Das ist ein kleiner Ausleger am Porsangerfjorden, der sich über 100 km vom Nordkap Richtung Süden ins Inland zieht. Vielleicht finde ich auf dem Plateau noch einen See, an dem ich übernachte, schließlich mag ich ja das Leben in den Bergen so. Tatsächlich gibt es dann zwar auch Seen hier oben, sie sind aber soweit ab der Straße und unzugänglich, dass ich weiterfahre und dadurch auch den vielen aggressiven Mücken entkomme. Und so ist auch dieses Hochland irgendwann durchfahren und es geht für einige Kilometer gut abwärts zum Fjord. Schon bei der Abfahrt wird es kühler, das ist mir nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist aber wohl, dass es hier unten in Olderfjord gefühlt richtig kalt ist, obwohl der Himmel weiterhin größtenteils blau ist und auch kein besonderer Wind geht. Ich zieh mir die Jacke über und mein Thermometer bestätigt mir sowas wie 12°, am Tage standen da auch mal 31°. Das kann ich irgendwie kaum fassen. In dem Dörfchen gibt es einen Campingplatz und gleich gegenüber einen Souvenir-Shop sowie davor einen Käsewagen mit italienischem Käse. Die Souvenirs für all die Touris verstehe ich mit meinem Kleingeist wohl, was aber ein italienischer Käsewagen hier tut, erschließt sich mir nicht wirklich. Vermutlich wird er aber wohl besser laufen, als ich es mir ausmalen kann. Ein kurzer Blick in den Souvenirshop lässt mich ihn sehr schnell auch wieder verlassen, wirklich viel teurer Klump und Gedöns inklusive einem gewissen China-Flavour. Bei der Gelegenheit fülle ich mir hier grad noch die Wasserflaschen auf, fahre dann nur noch gut ein bis zwei Kilometer aus dem Dorf raus und finde nicht weit von der Straße entfernt einen wunderbaren Platz, an dem ich das Zelt aufstellen kann. Ganz nahe gibt es fußläufig erst noch die alte Ruine eines Fischhauses samt hölzerner verfallener Steganlage zu betrachten, bevor es dann fast um zehn Essen gibt und mir danach schlagartig die Augen zufallen…Read more














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