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- Day 13
- Saturday, July 19, 2025 at 9:20 PM
- ⛅ 12 °C
- Altitude: 28 m
NorwayNordkapp70°50’15” N 25°48’25” E
19. Juli

Kaum geht unser aller Herbergsmutter Klärchen mal am Morgen eigene Wege, schon macht jeder, was er will. Wer weiß, was sie hinter dem grauen Schleier zu tun und darüber das Wecken vergessen hat. Ich aber lasse mir nix im Halse kratzen und schlafe bis um halb zehn. Trotz der Wolkendecke fühlt es sich nicht kalt an, laut meinem kleinen Tachothermometer sind es wohl 18°. Da muss ich schon großes Vertrauen haben, wenn ich das alles glauben soll, gleichzeitig frage ich mich aber auch, was das gestern Abend für eine Nummer hier war. Denn es ist wirklich deutlich wärmer gegenüber meiner Ankunft gestern. Was auch immer die Zeit sagt, hetzen lasse ich mich nicht, sondern frühstücke mit Svalbardbrød, Marmelade und Honig. Während ich dann einpacke, fallen mir wieder überall hier herum Teile von Königskrabben auf. Ich ordne die mal nicht unordentlichen Campern vor mir zu, sondern eher den Möwen, die sie ähnlich wie die Seeigel aus der Höhe fallen lassen und wissen, dass sie dabei auseinanderbrechen. Dann gibt’s nämlich was zu holen. Um elf mache ich los, es sind nur noch 125 Kilometer, also zwei entspannte Tage. Es ist kurz vor zwölf am Smørfjorden der nächste Souvenirstand, auf den diverse Schilder hinweisen. Er ist aber schöner hergerichtet und wird von echten Küsten-Sami betrieben. Sie haben ein kleines Museum, viele selbst gemalte Bilder und Fotografien von regionalen Künstlern, Felle von Rentier und Robbe sowie viele kleine handgefertigte Sachen. Unter anderem zeigen sie auch Handarbeiten wie das Herstellen der Netze um die Glasposen, die seit über 150 und bis vor vielen Jahren die Fischnetze an der Oberfläche hielten. Und wieder, wie schon gestern am letzten Souvenirstand der italienische Käsewagen. Außer Umberto Nobile mit seiner „Italia“ verbinde ich nichts zwischen den Luigis und Arktis. Vielleicht fehlt mir da aber auch einfach ein Puzzleteil vom Ganzen. Mit der Zeit bemerke ich, dass es irgendwie doch mehr ist, als nur Souvenirs. An diesem Wochenende ist hier das Fest der Küstensamen, also derer, die von Fischfang und Jagd gelebt haben. Sie stellen hier alles mögliche aus, zeigen verschiedene Handarbeiten. Die Glaskugeln selbst wurden seinerzeit übrigens per Schiff von irgendwoher gebracht und meistens gegen Rentierfelle gehandelt. Bis um eins halte ich mich hier auf, der Himmel ist inzwischen zumindest in weiten Teilen aufgebläut. Wenn es sowas wie Anschwärzen gibt, muss es auch Aufbläuen geben. Weiter auf der Reise sehe ich schon von weitem einen Radler, den ich an der Farbkombi sofort erkenne. Es ist Linus, den ich schon am letzten Samstag auch in meiner Richtung getroffen habe. Er kommt schon vom Nordkap zurück und will jetzt auf dem Landweg weitermachen bis Kirkenes, dann Richtung Süden. Und als käme er aus einer anderen Welt klingen seine Worte vom Sturm vor zwei oder drei Tagen so unglaublich, dass es meinen Horizont irgendwie übersteigt. Der Wind war so heftig, dass es Wohnwagen umgeworfen und er sich in einem Shelter versteckt hat, weil Radfahren völlig unmöglich war, es Fische und Quallen an Land geworfen hat… War der Bengel an dem selben Nordkap, dass nur noch 100 km vor mir liegt? Seit Wochen ist hier oben im Norden ein außergewöhnlich warmes und konstant sonniges Wetter, völlig untypisch. Ich habe wohl schon eine blühende Fantasie, diese Bilder bekomme ich aber gerade nicht da reingepuzzelt. Es ist so gegen zwei, als ich von der Straße aus weit unten am Wasser jemanden in einer großen Wathose stehen sehe, der augenscheinlich Fisch filetiert. Für einen Nichtangler wie mich, der aber sehr gerne Fisch isst und sich auch gerne mit den Leuten hier unterhält, ein guter Grund, den zwei Seitenständern vorn und hinten am Rad die Verantwortung zu übergeben und übers grüne Land zu ihm runterzulaufen. Es ist Jörg, keine Frage ein Landsmann, der seit 25 Jahren hier lebt und sich ausdrücklich nicht als Auswanderer sieht. Das war nie so geplant und klingt, als wenn er sich Jahr für Jahr selbst eine Verlängerung gibt. Eine gute Dreiviertelstunde lang erzählt mir viele interessante Details über das Leben hier, über den Winter, über die Stürme und je mehr ich von ihm und auch von den anderen Bewohnern höre, desto mehr wächst der Wunsch in mir, den nächsten Winter hier zu verbringen. Die Straße zieht sich hier konstant dicht am bis zu zwanzig Kilometer breiten Porsangerfjorden entlang, mal ziemlich auf Meereshöhe, aber immer mal auch 20 oder 30 Meter höher, so dass der Blick über das türkise glasklare Wasser oft abseits der Straße ist. Die sich aber auch gar nicht mehr so unendlich voll anfühlt. Gegen halb vier gibt es mal wieder einen Tunnel, der auch für Radler durchfahrbar ist. Der Skarvbergtunnel ist viereinhalb Kilometer lang mit abgetrennter Spur für Fußgänger und Radfahrer. Auffällig ist hierdrin, wie leise und auch merklich wärmer er gegenüber all den anderen ist, die ich bisher durchfahren habe. Der Himmel ist inzwischen wieder komplett blau bis auf ein paar Schönwetterwolken, hier und da ein paar Rentiere auf der Straße und gegen vier habe ich sage und schreibe gut 20 km geschafft, was mir aber völlig egal ist, da es eh nur noch 100 bis zum Kap sind . Und wenn ich noch drei Tage bräuchte, dann wäre es halt so. Die Gesteinsformationen hier entlang, die Schichtungen und die Art, wie sie sich zerlegen, zerfallen und zerbröseln ist höchst interessant und ich halte wie oft an, muss das aus der Nähe sehen, es mit der Hand begreifen um zu merken, in ein Foto passt das nicht rein. Ich habe nichts studiert, insbesondere nicht Architektur, Kunst oder Geologie, aber diese Steine haben irgendwas von allem. Um fünf halte ich schon wieder, dieses Mal an der Bucht Indre Sortvik und mache dort eine längere Pause. Dass der Weg und insbesondere die Pausen an ihm das Ziel sind, ist an kaum einem Tag für mich deutlicher spürbar als heute. Kaum bin ich von der Pause weitergefahren, scanne ich mit den Augen die ganze Zeit die Küstenlinie nach einem geeigneten Platz, an dem ich den Leib mal dem Wasser übergeben kann. Die Stelle, die dann so frei von Algen und augenscheinlich gut zugänglich ist, entpuppt sich doch als schwerlich zu erreichen. Vielleicht macht das aber ihren Reiz aus, so dass ich von der Straße aus steil über sehr brüchiges Gestein hinunterklettern muss, dann aber eine wohlverdiente Abkühlung in diesem glasklaren Wasser genießen kann. Mein Blick ist auch immer rundum nach Quallen, da unter anderem Linus mir davon erzählt hat, dass er nach einem solchen Bad Schmerzen hatte wie nie zuvor in seinem ganzen Leben. Bestimmte Quallenarten hier sind tatsächlich recht giftig und hinterlassen im einfachsten Fall starken Schmerz, können aber je nach Verfassung des Schwimmers auch durchaus ernstere Folgen haben. Es ist inzwischen Abend geworden, als ich an einem blauen Schild entlang komme, auf dem ich lange brauch, bis ich mindestens das Wort Nordkapp entziffern kann. Bin ich schon da? Ach nee, es ist die Grenze zur Nordkapp-Kommune. Jeder, der einen Uffditscher dabei hat, klebt den hier an, so dass das einst blaue ernst gemeinte Schild nur noch Touri- und Spaßcharakter hat. Es mag sich doch sowieso jeder wähnen, wo er will. Es hätte genauso gut auch ‚Paradies‘ darauf stehen können, für mich zumindest. Denn wie ich weiter vergnügt vor mich hinradle, sehe ich doch schon wieder ein paar Wale. Und da ich an dieser Stelle nicht anhalten kann, die Straße ist dafür zu schmal, stoppe ich an einer kleinen Ausbuchtung direkt hinter einem deutschen Camper. Mit dem Paar aus Stuttgart komme ich ins Gespräch, während wir fasziniert da unten die Wale und über uns einen Adler unter feuerzüngelnden Wolkenbildern beobachten. Weil wir gerade beim Thema Walfisch sind, erzähle ich auch von dem Kabeljau, der in Meerwasser eingelegt in meiner Tasche heute ganz ohne Kühlung mitfährt. Auf die Frage, ob ich mir den denn nachher dann schön mit Butter anbrate, entsage ich der Butter, da ich die schlicht und ergreifend nicht habe. Kurzerhand holt mir die junge Frau ein Stück Butter und so ist auf die dicke Torte mal wieder das Sahnehäubchen aufgesetzt. Besten Dank dafür euch zweien. Kaum bin ich von dieser Stelle wieder ein paar 100 m los, fährt ein Auto neben mir mit runtergelassener Scheibe und der Fahrer gibt mir zu verstehen, dass er total begeistert ist. Der war nicht genug, stoppe ich an der nächsten Möglichkeit und ich komme mit Jan und seinen Söhnen ins Gespräch. Sie sind aus China und für fünf Wochen in Europa, in Deutschland ebenso wohl länger mit Fahrrädern unterwegs gewesen und haben den ganzen Kofferraum voll mit Packtaschen. Jetzt machen sie im Mietwagen die Tour zum Nordkap und nachdem er Fotos von meinem Muli gemacht und mir von sich auch einige gezeigt hat, schenken sie mir eine große Tafel Schokolade und verabschieden sich mit 1000 guten Wünschen. Als hätte zu der fetten Torte noch das Dessert gefehlt… Gut, dass das Fahrrad keine Kupplung hat, die wäre nämlich heute durch das tausendfache Anfahren schon runtergeschliffen. Zum wievielten Male starte ich durch und beginne nun langsam darüber nachzudenken, wo ich denn wohl die Nacht zubringen will. Nachdem ich an einem Bach aus den Bergen all meine Wasservorräte aufgefüllt habe, finde ich gegen neun einen Platz weit abseits der Straße auf ein paar Hügeln über dem Meer. Das Wetter lädt wieder zum Übernachten auf der Matratze, aber erst mal geht es jetzt an das große Mahl. Meine Box hat, wie ich sehen muss, nicht so dicht gehalten und so muss ich aus der Packtasche alles zum Trocknen raushängen, aber das ist eine kleine Unwichtigkeit an so einem Tag voller Wunder. Da es nicht sehr windig ist, sind die Moskitos physikalisch zwar in ausreichender Menge um und an mir, aber solange ich jetzt den Dorsch zubereite und genieße, gefolgt vom Meersalz-Schokoladen-Dessert bin ich in einer Blase, die sie nicht durchdringen können. Wohl aber danach, denn so die ganze Nacht über werde ich nicht klarkommen. Also stelle ich am Ende noch schnell das Zelt dazu,um außer dem Mückennetz rundherum alles zu öffnen, was da nur geht. Gute Nacht zu später Stunde in diese schöne Welt.Read more
Traveler
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Brillant