1. August
August 1 in Norway ⋅ 🌙 19 °C
Freitag, der 1. August. Den Weckdienst übernimmt gegen halb acht die Sonne und da mir heute Morgen irgendwie nicht nach Frühstück ist, packe ich einfach zusammen, während ein neugieriges Rentier aus gut 150 m Entfernung extra durch den Fluss rüber zu mir geschwommen kommt, um dann doch in gebührendem Abstand weiterzuziehen. Ich wasche an dem Fluss, der hier in den Langfjord fließt, noch mein Handtuch aus und sehe dabei wie schon etliche Male eine dieser Fischschleusen. Thomas hatte mir schon erzählt, dass sie teils mit Hightech ausgerüstet die Fische vollautomatisch selektieren und passieren lassen, diese hier sieht mir noch recht einfach aus und wird wahrscheinlich eher manuell bedient. Alle zwei Jahre, wenn die Lachse die Flüsse hochziehen und dann sterben, hinterlassen sie natürlich im Wasser Unmengen von Rückständen ihrer Verrottung. Das hat, wie ich erfahre, in den letzten Jahren so massiv zugenommen, dass man die Flüsse mehr oder weniger ganz gegen den Lachszug sperrt, um das Ökosystem nicht zu gefährden. Zurück in Sandnes an der Hauptstraße hole ich mir im Supermarkt noch schnell ein Brot und fahre gegen halb zehn dort ab. Nur 2 km weiter biege ich links nach Björnvatnet ab, hier möchte ich Ernst Leif Sneve besuchen, ein Mann, der hier aufgewachsen ist und als Kind den Krieg miterlebt hat. Seit einigen Jahren ist er als Guide tätig und engagiert sich, Fremden die Geschichte hier näherzubringen. Da ich keinerlei Kontaktdaten habe, fahre ich aufs Geratewohl hin, stehe aber leider vor verschlossener Tür. Das hatte ich allerdings auch wohlwollend mit einkalkuliert. Auf dem Weg raus aus dem Dorf treffe ich einen anderen Bewohner, als ich gerade mein Fahrrad in der wohl sichersten Bushaltestelle der Welt abstelle. Es ist ein riesengroßer Baggerlöffel von einem Minenbagger. Wir unterhalten halten uns ein wenig und auch von ihm bekomme ich deutlich seine Abneigung gegenüber den russischen Nachbarn zu spüren. Zurück auf der Hauptstraße zieht es sich am Rand des Minengebietes entlang, hier ist eine kilometerlange Steinhalde aufgeschüttet, die nicht benötigten Überreste der Erzgewinnung. Nach einem weiteren Kilometer an einem Haus, wo ein junger Mann gerade am Rasenmäher repariert, stoppe ich, da mein Sattel seit Ewigkeiten quietscht, frage ich ihn nach Kriechöl und bei der Gelegenheit auch gleich nach dem Flugzeug, von dem mir die Frage nach den verbliebenen Teilen wie Flügeln, Cockpit und dergleichen nicht aus dem Kopf geht. Und siehe da, man muss nur den richtigen fragen, dann gibt’s auch Antworten. Da die Deutschen auf ihrem Rückzug alles niedergebrannt haben, was nur irgendwie möglich war, haben die Bewohner sich aus den zurückgelassenen Sachen der Besatzer und natürlich auch aus den abgestürzten Flugzeugen alles geholt, was in irgendeiner Form in den ersten Jahren für notdürftige Behausungen und dergleichen verwenden konnten. Souvenirjäger haben über Jahrzehnte ebenso mitgeholfen, die vorhandenen Überreste Stück für Stück zu dezimieren. Das ergibt Sinn und das Nagen in meinem Oberstübchen ist erstmal etwas gebremst. Die Straße zieht sich elegant sanft auf und ab, erst am Langfjorden entlang, der kurz darauf vom See Langevattnet das Süßwasser aus dem ganzen Tal zugespielt bekommt. Es gibt in diesem Tal etliche Kraftwerke auf russischer, finnischer als auch norwegischer Seite und durch diese Aufstauungen ist aus dem Fluss sowas wie ein langer See geworden. Die Karte verrät mir, dass es rundherum überall unzählig viele kleine Seen gibt, es fühlt sich recht finnisch an. Es ist circa halb zwölf und ich sitze weit oberhalb des Fjords auf einem kleinen Rastplatz in der Sonne, schreibe mein Tagebuch und genieße die Aussicht. Da gesellt sich ein älteres norwegisches Paar zu mir an den Tisch, das gerade mit dem Wohnmobil gehalten hat. Sie laden mich zu Kaffee und Kuchen ein und als kleines Entgegenkommen bemühe ich meine spärlichen Schwedisch-Kenntnisse, da sie mit Englisch nicht helfen können. Und siehe da, wenn es denn nur erforderlich ist, kommt da doch das eine oder andere zusammen. Ich habe fast 2 Stunden jetzt hier gesessen und mache mich beschwingt weiter auf den Weg durch diese angenehm zu fahrende Landschaft. Gegen zwei weist ein Schild rechts ab der Straße auf ein Museum in gut 4 km im Örtchen Strand hin. Nichts leichter als das, hier treffe ich auf einen Ableger des Museums, dass ich schon in Kirkenes besucht habe. Ein junger Schüler macht die Kasse, ich bin laut dem Gästebucheintrag der erste und wahrscheinlich auch einzige Gast heute. Dementsprechend können wir uns etwas unterhalten und ich sehe mir in Ruhe die Ausstellung an, während ich ein Schokoeis vernasche. Es wird hier hauptsächlich der Schulalltag in den alten Zeiten präsentiert und wie in fast allen anderen Museen auch der Alltag der Menschen im Allgemeinen. Wieder zurück auf dem Weg komme ich an den letzten richtigen Ort, ich definiere das meistens an einem vorhandenen Supermarkt. Hier ins Svanvik ist der letzte, den ich zwar nicht aufsuche, dafür aber das Nationalparkzentrum Svanhovd, das über die lokale Umgebung und natürlich den Pasvikdalen-Nationalpark informiert. Eine junge Österreicherin am Empfang erklärt mir, dass das Kassensystem aufgrund eines außergewöhnlich heftigen Gewitters in der Nacht ausgefallen ist und dementsprechend der Eintritt frei ist. Gewitter? Letzte Nacht? Da war doch was… Ich beschwere mich nicht drüber und durchforste auch diese Ausstellung, während sie mich teilweise dabei begleitet und wir uns unterhalten. Da das Haus auch gleichzeitig ein Hotel mit Restaurant ist und sie für einen überschaubaren Preis ein Buffet anbieten, nehme ich das Angebot gegen fünf wahr, um mich ganz im Sinne meiner Frau Mutter mal wirklich lang und breit satt zu essen und die Niederschrift des Erlebten voranzutreiben. Ich glaube, kein Gast hat jemals so lange hier zum Buffet gesessen und so viel gegessen. Lecker Kotelett mit Rosmarinkartoffeln und Sauerkraut, als Salat dazu gehäckselte Möhren mit Rosinen. Ein Stück Kuchen zum Abschluss und der eine oder andere Kaffee runden das Mahl ebenso ab wie meinen Leib. Dem Essen nach müsste ich heute noch mindestens zweihundert Kilometer fahren. Auf dem Hinterrad! Mein Telefon bucht sich jetzt immer mal wieder ins russische Mobilfunknetz ein und da ich auf deren Roaminggebühren oder merkwürdig bösartige Überraschungen keine Lust habe, nutze ich hier nochmal das WLAN und bleibe ab jetzt erstmal offline. Da laufen viele fragwürdige Sachen im Bereich Hacking, selbst wenn man hier in Norwegen eingebucht ist, haben mir die Militärs aus eigener Erfahrung erzählt. Um acht ist dann aber auch wirklich Zeit zu gehen und so gut gestärkt rolle ich voller Tatendrang los, um schon eine halbe Stunde später an einem kleinen See, dem Russevatn (Russensee), kurz zu stoppen und mir die tief darüber stehende Sonne anzusehen. Ich treffe einen Norweger an, der sich gerade mithilfe seines Mückensprays darauf vorbereitet, Heidelbeeren zu pflücken und wir unterhalten uns gute 10 Minuten über Dies und Das. Er erzählt mir aus der Zeit, als er hier aufgewachsen ist und wie sie als Jungs im Wald ihren Spielplatz hatten, ums Feuer saßen und auf einmal Blindgänger in der Erde von ihrem Feuer aufgeheizt begannen zu explodieren. Da hieß es nur noch: Rette sich, wer kann! Glücklicherweise ist die Situation für alle Beteiligten gut ausgegangen. Diese Patronen und Granaten, also nicht explodiertes Material aus dem Krieg, gibt es übrigens bis heute in rauhen Mengen und das Militär versucht, sie Jahr für Jahr weiter ausfindig zu machen und zu entschärfen. Aber in der Ausdehnung und Weite der Berge und Wälder ist das eher im theoretischen Bereich. Das haben mir auch die jungen Militärs an der Grenze so erklärt. Lösch ein Feuer immer anschließend ab, kühle alles runter, damit es kein böses Erwachen gibt! Von dieser Stelle aus schaffe ich es sage und schreibe anderthalb Kilometer weiter zu fahren und sehe rechts der Straße einen Hof und Kühe, bin mir ganz sicher, das muss der Øverli-Hof sein, wo der Käse gemacht wird. Da der Chef mir am Stand gesagt hatte, er wird am Sonntag wieder zurück sein, mache ich nur ein Foto und will gerade weiterfahren, als 100 m hinter mir jemand aus dem Wald gesprungen kommt und mir hinterherruft Heja, ich solle doch warten. Ich rolle ihm ein Stück weit entgegen und kann es kaum glauben, es ist Ivar selbst. Gerade in den Birken nach einer Kuh und ihrem Kalb unterwegs, die sich in der Nacht im Gewitter verängstigt verzogen hatten, ist er total happy und erzählt mir, dass er mich heute im Laufe des Tages auf der Straße schon mal irgendwo gesehen hat. Als einziges Rad und in der auffälligen Ausführung kann ich mich hier auch kaum verstecken. Er lädt mich direkt ein, erst mal Platz zu nehmen und zusammen ein Bier zu trinken. Daraus werden fast 2 Stunden zusammen draußen vorm Stall, wir unterhalten uns, lachen und witzeln rum. Er ist so ein lebensfroher Mensch, es ist eine große Freude, ihm zuzuhören und hier zu sein. Da er heute Abend noch nicht gemolken hat und seine 27 Ladies warten, beginnt er zu dieser späten Stunde und ich kann ihm dabei zusehen und wir unterhalten uns. Angesichts der Uhrzeit schlage ich seine Einladung, über Nacht hier zu bleiben, nicht aus, er zeigt mir so gegen Mitternacht stolz sein wunderschönes Holzhaus, ich habe inzwischen viel über seine Geschichte und diesen Hof gehört. Nachdem er weit nach Mitternacht noch etwas gekocht hat, schließlich kam er aus Kirkenes vom Markt und brauchte etwas im Bauch, ist es schon zwei durch, als wir uns dann hinlegen und für morgen früh vereinbaren. Eine Kleinigkeit könne ich ihm am Morgen helfen, die zu zweit in 1 Minute, alleine aber manchmal in 1 Stunde zu erledigen ist. Na, das ist ja das mindeste, was ich tun kann nach diesem wirklich herzlichen und außergewöhnlich freundschaftlichen Empfang.Read more














Traveler
Und kein "like" auf Insta unterm Selfi konnte ihre Naturschönheit widerspiegeln...nur das Wasser im Eimer, das Ehrliche...hat auch gleich dazu gesagt, dass auch sie vorüber fließt..aber das konnten nur die Alten hören...
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Farbians Nachthimmel
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Den kenne ich doch ...☺️
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451 (mit den Hörnern) und der Bulle... 451, die süße Maus ist mir damals entwischt und kam nach 2 Tagen wieder zurück. Und ich habe bei Ivar alles abgesucht mit dem Auto... 🫣☺️ das werde ich niemals vergessen. Ich hatte mir solche Sorgen gemacht