4. August
August 4 in Norway ⋅ 🌙 17 °C
Nach ein bisschen Regen in der Nacht erwache ich an einem Morgen, wie er kaum schöner sein kann. Die Sonne scheint und mein erster Gang ist ins Wasser. Eine längere Runde schwimmen und dann hier allein neben dieser Scheune direkt am großen Bach im warmen Wind in Ruhe zu frühstücken, während mir Gianna Nannini ihre Hymnen ins Ohr reibt. Mit jedem Tag in dieser Gegend rund um Kirkenes wird mein Wunsch am Morgen stärker, doch zu bleiben statt aufzubrechen. Ich habe heute vor, Ivar auf dem Rückweg noch mal zu besuchen und vielleicht auch dort zu übernachten. Das sind nur gute 50 km und da ich den Weg herwärts ja schon kenne, lasse ich mir also bis um halb zwölf Zeit, bevor ich aufbreche. Mit der Sonne und dem Wind im Rücken rollt es sich fantastisch dahin, auf dieser Straße ist wieder mal kaum Verkehr, lediglich eine Gruppe von drei jungen Soldaten patrouilliert an der Straße zu Fuß entlang. Nach einer guten Stunde lockt mich schon wieder ein See unweit der Straße. Es ist nur kurz eintauchen, schwimmen und wieder im Sattel sitzen. Das selbe Fahrrad, die selbe Straße wie herwärts und trotzdem fährt es sich in dieser Richtung so sehr anders. Weil es talabwärts geht? Weil ich etwas Rückenwind habe? Diese Fakten spielen schon eine Rolle, entscheidender ist aber mein innerer Antrieb, der dank dieser paradiesischen Umstände immens ist. Gegen halb zwei verlasse ich heute in Melkefoss die Hauptstraße, um für 8-10 km auf einer Nebenstraße zu fahren. Ich treffe auf einer Huskyfarm den Betreiber, der eigentlich im Wasserkraftwerk arbeitet, aber jetzt gerade kurz zu Hause ist, um etwas zu holen. Die Farm betreibt er nicht mehr, stattdessen nur noch Unterkünfte und bietet mir direkt an, mich doch mal rumzuführen. Angesichts der Tatsache, dass er wieder zurück zur Arbeit muss, schlage ich das aus, betrachte mir aber auf seiner Wiese den Weltwegweiser und folge dann einer wunderbar befahrbaren Gravelroad, die sich von Zeit zu Zeit mehr oder weniger dicht Richtung Fluss bewegt. So nur noch unglaublich kurze 2000 Kilometer der Nordpol von hier entfernt ist, so unglaublich ist auch das Wetter, wenn ich da die eine oder andere Stimme aus der Heimat höre. Der Pasvikelva ist auch hier durch die Aufstauung für die Kraftwerke in ganz unterschiedlichen Ausdehnungen von mehreren Kilometern bis hin zu ganzen 100 Metern. Und genau an einer solchen schmalen Stelle sehe ich in dem Schilfgras auf der anderen Seite irgendetwas Großes stehen. Selbst für einen Elch kommt es mir zu groß vor, sollte da jemand eine Schrankwand aufgebaut haben? Einen guten halben Kilometer weiter kann ich über eine abgemähte Wiese dann doch was erkennen. Es ist eine laufende Schrankwand, wie ich sie in der Größe noch nicht vor Augen hatte. Ich kämpfe mich im kleinsten Gang über diesen feuchten Untergrund, mit dem Gewicht sinke ich stark ein und komme nur langsam Richtung Fluss. Ich überlege, das Rad stehen zu lassen und mich zu Fuß weiter anzupirschen, aber noch bevor ich diese Gedanken zu Ende gebracht habe, setzt er sich schon in Bewegung und ich freue mich, dass ich grad noch eine kurze Aufnahme machen kann. Na das war doch mal was, von wegen auf diesem Rückweg gibt’s nichts zu sehen. Einen guten Kilometer weiter steht am Straßenrand der Hinweis auf einen Fugletårn, also einen Vögelturm. Einen solchen hatte ich die Tage schon mal aufgesucht, um mich aber ausschließlich den Mücken zu widmen und so hadere ich für 1 Sekunde, diesen hier zu besuchen. Vielleicht sind es die zwei Autos am Straßenrand, die mir doch das Gefühl geben, es könnte sich lohnen. Entlang der paar hundert Meter Fußweg über Holzplanken finde ich schon mal rechts und links des Weges etliche Moltebeeren und wie ich auf den Turm hochkomme, sind dort fünf oder sechs Norweger mit Ferngläsern und Spektiven dabei, einerseits eine Gruppe von Kranichen im Fluss, aber ein Stück weiter auch zwei weitere recht große Elche zu beobachten. Das ist meine Stunde, denn auch ich darf einige Blicke riskieren und ergattere ein paar Aufnahmen durch die Vergrößerung. Nachdem die alle abgerückt sind, bleibe ich noch eine Weile sitzen und genieße in dieser Höhe und bei dem Wind die Mückenfreiheit. Auf dem Weg zurück zur Straße grase ich noch mal weitflächig das Gelände nach Moltebeeren ab, welch eine Freude. Stück für Stück arbeite ich mich weiter auf dieser Nebenstraße entlang, um gegen vier wieder auf der Hauptstraße zu landen. Erst hier nehme ich wahr, dass Ivar quasi hinter dieser Abzweigung lebt, ich also ein paar Kilometer entgegen der Richtung fahren muss. Tut mir das weh? Nöö. Auf dem Weg zu ihm komme ich wieder an 96-høyden vorbei. Schon beim letzten Durchfahren hier habe ich mich gefragt, ob es angesichts der geringen Bevölkerungsdichte niemanden gab, der sich einen gescheiteren Namen als die „sechsundneunziger Höhe“ ausdenken konnte. Der Punkt soll aber dank eines Aussichtsturms recht interessant sein, wie mir die Anglerin die Tage erzählt hat. Also klettere ich auf dem ausgewaschenen Waldweg im kleinsten Gang da hoch und verstehe anhand der Erklärungen auf den Tafeln, warum dieser Ort so heißt. Der Turm wurde in den 1930er Jahren als Aussichtspunkt gebaut und da es sonst keinerlei Ortschaft gab, hat man ihm diesen eher technischen Namen gegeben. Während des Kriegs wurde er natürlich von den Besatzern als Ausguck verwendet und ist in dieser Zeit durch einen Unfall abgebrannt. Nach dem Krieg wieder aufgebaut, diente er dann der norwegischen Armee als Beobachtungsposten rüber auf die russische Seite und vor einigen Jahren wurde er dann wieder als touristischer Turm eingerichtet. Ich habe einen wunderbaren Blick dank der ausliegenden Ferngläser auf die Stadt Nickel drüben in Russland. Ihren Namen hat sie durch die Nickelgrube, die aber laut diverser Aussagen vor wenigen Jahren geschlossen wurde. So ist von diesem recht großen Ort wohl nur noch eine Geisterstadt geblieben, die gesamte Umgebung ist völlig tot, da steht kein Baum und kein Strauch vor lauter Gift. Einen Kaffee und eine Waffel später bin ich kurz darauf gegen halb sechs bei Ivar auf dem Hof. Ich treffe ihn nicht an und da ich am Fahrrad einige Wartungen zu erledigen habe, überbrücke ich die Zeit in der Annahme, ihn demnächst hier zu treffen. Tatsächlich kommt aber seine Schwiegertochter samt Enkeln daher und nachdem sie mit ihm telefoniert hat, erzählt sie mir, dass er mit dem Traktor weiter rausgefahren ist und es wohl noch länger dauert. Nachdem ich gegen halb acht alle meine Tätigkeiten abgeschlossen habe und er immer noch nicht da ist, mache ich mich doch Richtung Kirkenes auf den Weg. Genau um 19:55 Uhr bin ich in Svanvik am Supermarkt, der in 5 Minuten schließt. Der Mitarbeiter bestätigt mir ohne jegliche Mine, dass er definitiv um acht schließt. Also auf die Schnelle ein kühles Bier, einen Joghurt und aus der Gruschkiste noch ein paar Nüsse. Während ich das alles zusammenraffe, kommt Ivar herein und ruft laut nach mir. Es ist 19:58 Uhr, auch er nimmt sich zwei Bier und ein paar Kleinteile und wir fangen an zu erzählen. Er drängt mich dann aber doch zur Kasse, da ab 20:00 Uhr der Alkoholverkauf verboten ist und die Kasse es auch nur bis 19:59 Uhr akzeptiert. Also ist es jetzt ein hastiges Drüberziehen und direkt danach kehrt uns der Mitarbeiter auch raus, um Feierabend zu machen. Den einen oder anderen Schwank werden wir draußen noch los, er muss noch Heu machen bis weit in die Nacht, helfen kann ich ihm dabei nicht. Also verabschieden wir uns und angesichts der angenehmen Temperaturen und meines Flows über den ganzen Tag denke ich mehr und mehr daran, noch am Abend die 45 km bis Kirkenes zu machen. Was für eine grandiose Idee! Unterwegs telefoniere ich am Straßenrand noch eine gute Stunde mit meinem Eichsfelder Nordkapradlerfreund Simon Raabe, danach lasse ich mich entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten mit Kopfhörern in den Ohren von meiner Lieblingsmusik durch die Nacht tragen. Bei einer längeren Pause zwischendurch sitze ich wieder auf dem selben Parkplatz wie schon mal hoch über dem Fjord und genieße die Farbspiele am Himmel bei schwülen 16° im arktischen Sommer. Der Himmel wird mit jedem Kilometer schöner, da spielt es keine Rolle, wie lange diese Fahrt jetzt dauert. Im Handumdrehen bin ich aber dann doch schon wieder back in Town und gegen eins throne ich nach einem Bad im Lieblingssee wieder hoch über Kirkenes in einem Farbtaumel, der mich noch lange danach nicht schlafen lässt.Read more


















TravelerDeine Ausführungen sind so, dass wir gedanklich deine Reise gut miterleben können.
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