• 5. August

    5 Ogos, Norway ⋅ ⛅ 18 °C

    Mein Zelt war bis auf das Mückennetz über Nacht soweit offen, wie nur irgend möglich. Entsprechend brennt mir ab um 5:30 Uhr am Morgen die Sonne dermaßen rein, dass an Schlaf kaum weiter zu denken ist. 2 Stunden räkele ich mich noch umher, um dann direkt erst mal ins Wasser zum Schwimmen zu gehen. Eine recht lange Runde, in der Zwischenzeit kommt eine Norwegerin mit ihrer Tochter, mit der ich mich eine ganze Weile unterhalte. Sie stammt aus einem der Häuser nur 100 m von hier entfernt und ist gerade zu Besuch. Es ist so surreal, hier in dieser Gegend bei diesen Temperaturen, das wirkt so unreal. Das heißt, ich fühle mich tatsächlich jenseits jeder Realität und lasse mich hier auf dem hölzernen Badesteg bei einer Tasse Kaffee einfach nur treiben und möchte diesen Platz überhaupt nicht verlassen. Wie viele Male bin ich heute früh schon geschwommen, habe nebenbei gefrühstückt und das eine oder andere Schwätzchen gehalten. Mich um neun ganz unerschrocken dem Horn des Postschiffs hingegeben und kriege den Allerwertesten einfach nicht hoch. Gegen elf mache ich mich dann auf den Weg und rolle runter in die Stadt, besorge für meinen quietschenden Sattel in einem Baumarkt ein hoffentlich geeignetes Schmiermittel und treffe mich danach im Terminal B mit Ira und ihren russischen Kollegen. Das ist eine kleine Kunstausstellung, die aktuell dem Thema Möwen gewidmet ist. Die stehen hier überall im Norden unter starkem Schutz, zumindest einige bestimmte Arten. Es ist nicht erlaubt, die Nester einfach so zu entfernen, auch wenn rundherum alles besudelt wird. Und da die Bestände in den letzten zwei Jahren auf unerklärliche Art und Weise extrem zurückgegangen sind, wird es hier dem Laien, also mir, nähergebracht. Da mache ich mich mit der Pappmaske auch gerne mal statt zum Affen zur Möwe. Einen Kaffee und ein paar Sweets aus Riga später wäre jetzt eigentlich Zeit, loszufahren, aber es zieht mich noch mal auf den Marktplatz in die sengende Hitze, in der ich meiner demontierten Sattelstütze das neue teure Elixier einflöße. Dabei das Leben und Treiben in diesem Städtchen beobachte. So viele schöne Menschen. Um halb vier zieht es mich grad ums Eck ins Centrum Kafe, wo ich bei Kaffee und Kanelbullar mit Björn und zwei weiteren Locals in Kontakt komme. Er spricht ziemlich gut Deutsch, kennt die Bundesländer und weiß sogar, was Thüringen ist. Es ist sehr angenehm, sich mit ihm auszutauschen. Die Uhr zeigt inzwischen auf fast fünf und das Kafe hat längst geschlossen, als ich mich tatsächlich auf den Weg mache. Da schwingt auf jeden Fall eine ganze Menge Wehmut mit, habe ich doch jetzt festgehalten, solange es möglich war. Was ist es, was mich hier so gefesselt hat und nur so unwillig freigibt? Vielleicht ist es besser, dass ich es nicht so genau definieren und formulieren kann, dann wäre es nämlich entzaubert. Die Stadt und diese ganze Gegend, die ich in der Hauptsache aus historischer Sicht in Bezug auf den zweiten Weltkrieg als Ziel hatte, hat mir eben so sehr viel mehr gegeben als nur das. Es ist inzwischen sicher das zehnte Mal, dass ich aus der Stadt südlich heraus Richtung Hesseng fahre, dabei die ganzen Nebenstraßen schon kenne, als würde ich hier jeden Tag beim Bäcker Brötchen holen. Nur biege ich heute nicht links weg wie bisher immer, sondern bleibe auf der E6, die hier Richtung Narvik und Tana Bru ausgeschildert ist. Das Wetter ist immer noch hervorragend, ich habe jetzt im wahrsten Sinne des Wortes eine Arschruhe. Der Muli galoppiert fröhlich durchs Auf und Ab des Berglands sowie mitten durch ein militärisches Schießgebiet, in dem auch während meiner gesamten achtkilometrigen Durchfahrt heftig von der Schusswaffe Gebrauch gemacht wird. Nicht umsonst ist das Fotografieren und sogar das Anhalten in diesem Bereich verboten. Der Flughafen von Kirkenes, erbaut im zweiten Weltkrieg, liegt ebenso in dieser Zone, den kleinen Abstecher von der Straße und ein paar neugierige Blicke genehmige ich mir aber doch. Wirklich viel zu sehen bekomme ich nicht, denn die paar Flieger hier am Tag sind jetzt gerade nicht aktiv. Von hier aus beginnt eine längere Abfahrt, die ich mit gut fünfzig Stundenkilometern entlang des Korsfjorden genießen kann. An einem kleinen Rastplatz halte ich für eine Trinkpause an und geselle mich, nachdem er mich freundlich herangebeten hat, zu Lothar. Der kleine bärtig-kauzige Franke hat die Wege seines bürgerlichen Augenoptiker-Lebens schon in jungen Jahren verlassen und ist auf der ganzen Welt unterwegs gewesen. Hat dabei alles mögliche gemacht, um sich über Wasser zu halten und dementsprechend die eine oder andere Story bei einem Bier zu erzählen. Dabei sind anderthalb Stunden ganz schnell rum und die Straße führt jetzt jetzt zum Kjøfjorden hin. Hier herrscht ein recht konstanter Wind Richtung Südwest, weit hinter mir ziehen sich über ihm die Wolken zusammen. Gerade steht auf meiner Seite der Straße ein entgegenkommender Radler, um ein Foto davon zu schießen. Da komme ich natürlich nicht vorbei, ohne ein paar Worte zu wechseln. Es ist Gilbert aus Graz, mit dem ich mich am Ende circa 10 Minuten sehr gut unterhalte, bevor ich wenige hundert Meter weiter eine etwas in diese Förde hineinragende Landzunge für mich ausmache, die mir zum Beenden des Tages tauglich erscheint. Dieser Fjord ist der letzte an meiner Strecke, die jetzt straff Richtung Finnland zeigt und deshalb möchte ich unbedingt an ihm übernachten. Sozusagen Abschied nehmen von der Barentsee, den Fjorden und der rauhen, hügelig-bergigen Welt hier oben. Auf einem schmalen Pfad kann ich sogar mit dem Rad bis an einen ausgezeichneten Platz herunterfahren, wo der Lärm von der Straße nicht mehr wahrnehmbar ist und in Nullkommanix ist das Gemach hergerichtet. Auch wenn es noch gar nicht so spät ist, wird es doch bis eins in der Nacht dauern, bis ich noch einen Spaziergang entlang des Salzwassers und meinen Frieden hier gemacht habe. Heute fällt mir dabei wie schon die letzten Tage wieder etwas mehr auf, dass es nicht mehr diese akute Helligkeit durch die Nacht ist, sondern die Himmelskörper unaufhaltsam ihre Runden drehen.Baca lagi