• 7. August

    August 7 in Finland ⋅ ⛅ 15 °C

    Wie erwacht man in Finnland? Man macht die Augen auf. Ich halte mich am Morgen an diese Anleitung und schon geht’s los. Vereinfacht wurde das Ganze durch einen Schauer und mächtig auflebenden Wind aus Süd, der mir vom See her ins Gebäude bläst. Ich setze extra für die Frühstückszeit noch ein paar Sturmleinen, weil es doch feste zerrt. Danach gehe ich aber erst mal ganz gepflegt schwimmen und bis nach dem Kaffee ist auch alles wieder trocken. Jetzt heißt es alles hurtig einzupacken, denn dicke Wolken in wirklich allen Schattierungen stehen am Himmel bereit. Welcher davon kann ich trauen, welche kann was für sich behalten? Also straffer Wind aus Süd, ist doch genau in Richtung… meines Gesichts. Bravo, so habe ich den gesamten Tag Zeit, mich daran zu ergötzen und meine Geschwindigkeit im gedrosselten Bereich zu halten. Auf der Straße ist alles weiter so, wie es gestern aufgehört hat. Wald, Wald, meistens Kiefern und teilweise Birken auf sandigem Boden, hier und da noch etwas Wald. Manchmal ziehen sich die unendlich vielen Seen und Tümpel auch bis an die Straße ran, aber schon ein Waldstreifen von zwanzig Metern dazwischen lässt kaum noch was davon erkennen. Und so schön die Seen dann und wann auch anzusehen sind, ist das Fahren durch diese stundenlang einheitliche Baumtapete eintönig. Selten mal stehen einzelne Häuser an der Straße, Menschen bekomme ich überhaupt nicht zu Gesicht. Immerhin treffe ich nach 10 km Martin von gestern noch mal an, er ist auch gerade am Zusammenpacken und offensichtlich ja nicht viel weitergekommen als ich. Die Wolkenberge verändern sich den ganzen Tag über, der Wind bleibt ziemlich unverändert heftig von vorn. Das eine oder andere Mal ziehe ich mir die Regenjacke über, um bei den vorüberziehenden Schauern nicht komplett durchzuweichen. Ich ziele heute auf das knapp 100 km entfernte Inari, der Weg zieht sich in mehr oder weniger dichtem Abstand am Inarijärvi (Inarisee) entlang, Finnlands drittgrößtem mit über 1000 km². Er besteht aus Unmengen von kleinen Inseln und Verzweigungen, also nicht ein großes zusammenhängendes Stück Wasser, wie man sich einen See normalerweise vorstellt. Der Wind nimmt im Laufe des Tages noch mehr zu, meine Sattelstütze fängt nach gut zwei Tagen langsam wieder an zu quietschen, ein Bad in diesem See lasse ich dann doch bleiben, da der Grund mit großen, runden, rutschigen Steinen gepflastert ist. Sobald ich mich nicht ausreichend bewege, sitzen die kleinen Moskitos an mir. Selbst Telefonate halte ich während der Fahrt, dann jucken sie nicht so. Irgendwie ist das hier nicht meins. Keinerlei Inspiration, kein Gespräch, nur stupides Verfolgen des Strassenlaufs. Gegen halb sechs komme ich an die Kreuzung der E75, die von Utsjoki aus dem orden hier runter kommt. An sich würde ich ihr von hier aus weiter in den Süden folgen, habe mich aber zu einem Kurswechsel entschieden und schwenke rechts, um nordwestlich in Norwegen über Karasjok und Kautokeino Richtung Schweden zu fahren. Ob das besser ist, werde ich sehen. Aber es ist ja für mich auch kein Wettrennen, bei dem es um die Spitzenzeit von A nach B geht. Der EuroVelo13, der so genannte Iron-Curtain-Trail (Eiserner Vorhang), von Kirkenes bis zum Schwarzen Meer ist im Großen und Ganzen der, den ich verfolgen will. Bis eben habe ich das auch getan, aber da die Grenze der Finnen zu den Russen ohnehin komplett geschlossen ist und eben diese Landschaft mich nicht anspricht, habe ich schon ziemlich lange geplant, alternativ dazu in Norwegen und Schweden bis in den Süden zu fahren, um dann von Stockholm über Helsinki aus wieder aufzugleisen. Für einen Umweg bin ich doch gerne zu haben. Das alles mache ich aber nicht mehr in diesem Jahr. Kaum bin ich also heute Richtung Norden abgebogen, habe ich den Wind im Rücken und fliege für die nächsten vier Kilometer in Richtung eines kleinen Campingplatzes in Kaamanen, auf dem ich für meine Verhältnisse ja sehr feudal eine kleine Holzhütte für die Nacht nehme und am Abend in dem kleinen Restaurant einen großen Salat. Die A nach B-Sprinter treffe ich draußen vor der Hütte an: Es läuft gerade ein Radrennen von Italien bis zum Nordkap. 4000 km sind in gut 13 Tagen zu bewältigen, es hat sich ein Feld von 350 Startern aufgemacht, in Berlin kamen noch mal 150 dazu. Um so etwas mache ich gerne einen großen Bogen, zolle den Kämpfern für ihre täglichen circa 300 Kilometer aber größten Respekt. Und soeben erfahre ich, dass das seit Jahren geplante und vorbereitete Versetzen der hölzernen Kirche in Kiruna um einige Kilometer just in anderthalb Wochen passieren soll. Dass dieses weltweit aufsehenerregende Spektakel jetzt im Sommer stattfinden soll, weiß ich schon lange, nur der Termin stand im Winter, als ich vor Ort war, noch nicht fest. Dieses Highlight möchte ich besuchen und werde das in der mir verbleibenden Zeit wohl auch gut schaffen. Wenn ich jetzt schlafe.Read more