• 10. August

    10 augustus, Finland ⋅ ⛅ 17 °C

    Ein Sonntag nach so einer Nacht startet mit einem Hangover. Zumindest für den einen oder anderen, wie ich am Morgen höre. Ich habe zwar auch etwas länger ausgeschlafen, bin aber frei von jeglicher Pein und kann nach einem gemütlichen Frühstück und dem einen oder anderen Schwätzchen gegen zwölf losmachen. Mein Ziel ist heute Karigasniemi, dieser für mich so russisch klingende Ort an der Grenze zu Norwegen. Gute 70 km sind zu fahren, meine Tour nimmt mehr und mehr die Form eines Rundkurses an, geht es doch jetzt straff Richtung Westen und als ich kurz nach dem Aufbrechen die E75 auf die Inlandsstraße 92 verlasse, wird mir auch schon wieder das Nordkapp in gut 350 km ausgewiesen. Wenig Verkehr auf der Straße, dafür schon nach kurzer Zeit wieder mehr und mehr hügeliges Land. Auch wenn das schwerer zu beackern ist, habe ich doch mehr Freude an den weiteren Blicken und Aussichten über die grünen und in dieser Gegend noch immer bewaldeten Hügel. Diese Ruhe am Sonntag nutzen auch einige Bauarbeiter, um auf dieser Straße auf mehreren Kilometern Länge zu arbeiten. Ich dagegen arbeite mich in kleinen Gängen immer wieder die Hügel hoch, um dann für mehrere hundert oder noch mehr Meter auf der anderen Seite abzufahren und das Spiel von neuem zu beginnen. Dabei überholt mich auch heute wieder der eine oder andere Rennradler, es sind weiterhin viele Teilnehmer des Nordkapp-4000-Rennens unterwegs. Einer davon ist ein Malaysier, der auf einem gar nicht so sportlichen Rad unterwegs ist, ein offensichtlich recht altes Modell mit einem Stahlrahmen, das also eher die Tauglichkeit zum gemütlichen Reiserad hat. Er begleitet mich eine Zeit lang und ist scheinbar auf der Suche nach seinen Freunden, wohl nicht ganz sicher darüber, ob sie schon vor oder noch irgendwo hinter ihm sind. Lost in the Middle of Nowhere. Gegen halb zwei versuche ich mich in einem See in praktischer Erfrischung, scheitere aber an seiner Flachheit und lasse es damit bei ein paar abgekühlten Stelzen. Tolles Wetter, weite Sicht, hier und da ein paar Rentiere, ich bin völlig zufrieden und brauche bis auf ein paar kleinere Naschereien zwischendurch nicht mehr. Bei einer weiteren Pause treffe ich den Belgier Fred, an seiner Startnummer unschwer auch den Rennern zuzuordnen. Der mich aber deutlich darauf hinweist, dass das gar kein Rennen oder Wettkampf ist, sondern nur ein Event. Es gibt keinen Gewinner und die Veranstalter möchten ausdrücklich nicht, dass auf Teufel komm raus da hoch gerast wird. Von daher zieht sich das Feld der Fahrer auch soweit auf, dass zwischen zwei und drei Wochen vergehen, bis die letzten ankommen werden. Und da es in Italien gestartet ist, verstehe ich heute auch, warum ich in den letzten Tagen Unmengen von italienischen Wohnmobilen hier fahren sehe, teilweise im Tross mit 10-15 Fahrzeugen. Es sind wohl Angehörige und Freunde, die die Radlertour und das Abholen ihrer Liebsten in dieser Art kombinieren. Je länger sich der Tag zieht, desto bergiger wird es, auch wenn wir noch lange nicht von Bergen wie an der Westküste sprechen, aber immerhin werden die Blicke immer weiter und die Steigungen vor dem nächsten Gefälle kündigen Gutes an. Ab acht Prozent wird per Schild darauf hingewiesen, sonst würde ich es wohl manchmal gar nicht so merken. Gegen sechs habe ich dann den Grenzort mit der Zollstelle erreicht, orientiere mich erst mal nach dem für mich unerwartet geöffneten Supermarkt und wo ich vielleicht etwas zum Schlafen finde. Und dann ist da auch noch die kleine Kunstausstellung, von der mir Nora gestern erzählt hat und wo sie selbst einige ihrer Werke ausstellt. Wenn ich schon mal hier bin, will ich das natürlich sehen, auch wenn es vielleicht erst morgen möglich ist. Aus ihrer Nachricht sehe ich dann, dass es gute 15 km außerhalb ist und so mache ich mich auf, diesen schönen Umweg zumindest schon mal in einer Richtung zu befahren. Es zieht sich nämlich die ganze Zeit am Fluss Tana entlang, der kurz nach dem Städtchen aus dem Zusammenfluss von Kárášjohka und dem Inarijoki entsteht und in gut 150 Kilometern Entfernung in den Tanafjorden fließt. Breit und ruhig fließt er in weiten Bögen dahin, seine Ufer sind häufig mit hunderten Meter breiten Sandstränden gesäumt. Gegen acht erreiche ich dieses ziemlich weit außerhalb gelegene Grundstück, es ist ein Bed and Breakfast Hostel, in dem hauptsächlich in einem separaten Nebengebäude diese kleine Kunstausstellung ist. Der Servicemitarbeiter erklärt mir, dass die Räume ohnehin offen sind, ich mich in Ruhe dort umsehen kann. Und bin insbesondere bei Nora‘s Werken von dem mit dem Titel „Lauma“ (Herde) beeindruckt, das ihre Liebe zu den Pferden zeigt, von der sie mir gestern Abend schon erzählt hat. Während ich das tue, kommen nach einiger Zeit zwei Herren dazu, sie scheinen mit alldem vertraut zu sein und als wir ins Gespräch kommen, lerne ich Arto und Mika kennen. Einer ist sowas wie der Manager hier, der andere Komponist und während mir Arto das eine oder andere von hier und auch zur Ausstellung erzählt, spielt Mika auf dem Klavier zu meiner großen Freude. Ich kann wieder mal nicht anders, als daran zu denken, dass das Leben ein großes, niemals fertiggestelltes Puzzle ist, zu dem jeden Tag irgendjemand oder irgendetwas ein oder mehrere Teile dazu bringt. Ich bin noch eine ganze Weile in dieser gemütlichen Atmosphäre und interpretiere ganz für mich selbst, was Leute von hier, aber auch aus dem Irak, dem Oman oder von sonst wo auf der Welt gemalt und hier ausgestellt haben. In einer Gegend, die die Finnen gestern so oft als the Middle of Nowhere bezeichnet haben. Kommt also immer drauf an, von wo aus man es sieht. So gegen halb zehn mache ich mich dann wieder auf den Weg, fahre nur wenige Kilometer zurück und finde dann am Fluss nach etwas Suchen einen schönen Platz direkt neben dem Sandstrand. Auf der anderen Seite des Flusses ist ein Gehöft mit Pferden, die es hier in der Gegend gar nicht so oft gibt. Das soll sicher nochmal ein liebes Zeichen sein.Meer informatie