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  • Day 61

    Erste Zeit

    November 9, 2022 in Ghana ⋅ ⛅ 28 °C

    Ich heiße Jascha Hoffmann und Euch herzlich Willkommen zu meinem nächsten Blogeintrag!

    Um mal nicht alles in Wochen, Monate oder Jahre einzugrenzen, freue ich mich, euch mitteilen zu können, dass die erste Zeit meines FSJs (da ham mers wieder) vergangen ist und sie mich problemvoll gemeistert hat.

    Es ist mein bisher längster Aufenthalt weg von “Zuhause”. Weg von Euch. Mein Zeitgefühl verhält sich ambivalent, denn einerseits kämpfe ich immer noch gegen die Unmenge an mich überfallenden Eindrücken an, was mich in die erste Woche zurückversetzt. Auf der anderen Seite, im Hinblick auf Deutschland, fühlt es sich so an, als wenn ich mein letztes Schnitzel vor zwei Jahren gegessen hätte. Deshalb kommt es immer darauf an, wann ihr mich fragt. Abends, den ereignisreichen Tag verarbeitend, fühle ich mich wie frisch gelandet und beim Blick aufs Handy nach dem Aufstehen erschreckt mich das marschierende Datum.

    Krank sein in Ghana ist kein Witz. Letztens habe ich einen Magen-Darm Virus umher getragen und verzweifelte zwischenzeitlich daran, dass die Lebensmittel die ich zu mir nahm, egal ob flüssig oder fest, höchstens eine Stunde ihrer Zeit opferten, bis sie von meinem Körper gelangweilt waren und zu ihrem ursprünglichen Eingang zurückschossen.

    Zwei Tage lang, lag ich im Krankenhaus und habe mich in Form eines über mir hängenden Plastikbeutels ernährt. Es war beängstigend, 48 Stunden lang eine Infusion nach der Anderen gespritzt zu bekommen und den Mund nur zum Sprechen zu öffnen.

    Mein Körper brauchte eine Woche bis er sich erholt hat. Trotzdem ging es mir nicht sofort wieder gut, denn ich habe auch gemerkt, wie meine Psyche unter der Krankheit gelitten hat. Auch wenn sich bestens, wirklich bestens, um mich gekümmert wurde, ich immer eine liebevolle Person in meiner Nähe hatte und die Krankenschwestern, trotz zwölfstündiger Nachtschicht, lächelnd die Beutel auswechselten, habe ich mich das erste Mal unwohl gefühlt. Unwohl, weil ich lieber mit mir bekannten Gerichten, Magen-Roulette spielen wollte. Unwohl, weil ich das erste mal “Heimweh” bekommen habe.

    Warum ich “Zuhause” und “Heimweh” in Anführungszeichen einsperre? Obwohl ich mein einmetervierzig breites Bett, Zwieback, meine, mir Zitronentee hochbringende Mama und vieles mehr vermisste, entspricht “Heimweh” nicht der Wahrheit. Denn mein Heim befindet sich jetzt viertausend Kilometer südlich von den mir fehlenden Dingen. Mein Zuhause ist Ghana. Und das gilt es zu realisieren.

    Es ist herausfordernd und anstrengend, aber ich bin fest davon überzeugt, dass es richtig ist und auch wenn ich ab und an überfordert bin und das Gefühl habe, keine Fortschritte, sondern eher Schritte zurück zu machen, sind diese Kleinigkeiten in meiner Sprache, Beweis dafür, dass ich eben doch fortschreite und mich einlebe.

    Ein weiteres, alltäglicheres Beispiel ist das Essenholen. Anfangs war es schwierig, Essenstände erstmal zu identifizieren und dann noch von anderen zu unterscheiden, denn die meist weiblichen Verkäuferinnen, schildern ihren Stand und ihre Speisekarte nicht aus, sondern kochen die Gerichte am Straßenrand und verkaufen dann mündlich. Jetzt, auch wo ich meine Gegend immer besser kenne, fallen mir kleine Details auf, die mich eine Bäckerei von einem Fufuladen (babamäßiges Gericht) unterscheiden lassen. Vor paar Wochen hatte ich, oder wir als Freiwillige allgemein, zusätzlich das Problem, dass wir nicht wussten wie viel wir bestellen sollen. Beispiel: Man bestellt nicht ein halbes oder ganzes Laib Brot, sondern den halben oder den gesamten Preis. Aus “Ein Laib Vollkornbrot, geschnitten bitte”, wird “Please, can I have Wheatbread, 14 Cedis (ungefähr ein Euro)” Sobald man also weiß, wie viel das ganze Laib Brot kostet, kann man rumspielen und nur ein Teil des Brots bestellen. Wenn man aber den Gesamtpreis nicht kennt, eben weil es keine Preisschilder gibt, entstehen viele, auch noch durch Sprachbarrieren verschärfte, Missverständnisse.

    Mir ist aufgefallen, dass solche Kommunikationsschwierigkeiten ein versteckter Segen sind. Man ist nämlich nicht nur dazu gezwungen, täglich seine Comfortzone zu verlassen, um stammelnd auf das gewünschte Brot zu zeigen, was wiederum Selbstvertrauen aufbaut, sondern man befindet sich auch automatisch immer in einem kulturellen Austausch, denn man kann nicht an einem Display bestellen, mit Karte zahlen und schließlich sein Essen wortlos an der Theke abholen.

    Lasst euch davon aber nicht voreinnehmen, denn in anderen Ecken Accras bekomme ich auf einmal das komisch-gewohnte Gefühl, im Industriegebiet Nellingens zu sitzen und ein McSundae Karamell auszulöffeln. Dann ruft mir die Realität wieder ins Gedächtnis, dass es global player, wie McDonalds wirklich auf dem ganzen Globus gibt.

    Was ich damit sagen möchte, ist, dass man hier an alles (und viel mehr) kommt und man theoretisch in den selben, zwar mit etwas abgeänderter Speisekarte, Fast Food Restaurants essen kann. Wenn ich daran denke, dass in meinem Koffer mehr als ein Liter deutsche Zahnpasta darauf wartet, endlich ausgepackt zu werden oder wenn ich mich an meine ewiglange Packliste erinnre, kann mein Zwei-Monate-in-Ghana-altes-Ich, gar nicht anders, als mein 24-Stunden-vor-Abflug-Ich, auszulachen.
    Falls jemand von euch vorhat nach Ghana zu reisen, entspann Dich.

    Zu guter Letzt, möchte ich euch noch einen Einblick in meinen Arbeitsalltag schenken.

    Wie der Name meiner Einsatzstelle, “DUNK”, verspricht, dreht sich vieles um Basketball. Aber nicht alles. Anfangs habe ich etwas am Projekt gezweifelt, vor allem weil mir aufgefallen ist, dass sobald man Leuten, außerhalb der nahen Umgebung, erklärt, dass man keinen Urlaub macht, sondern tatsächlich für eine Basketball-Bildungs-Organisation arbeitet, eher Fragezeichen, anstatt Glühbirnen über den Köpfen erscheinen. Nun bin ich fest davon überzeugt, dass DUNK nicht annähernd die Aufmerksamkeit bekommt, die es verdient. Mir fällt es an den Kindern und den hartarbeitenden Mitarbeitern auf. Unsere “Beneficaries” kleiden sich im Vergleich zu den anderen einheimischen Kindern gepflegter und weisen sie auf Fehlverhalten (zum Beispiel Müll rumliegen lassen) hin.

    Neben solchen Softskills erfahren sie natürlich auch übliche Bildung. In der Bücherei in Jamestown, die jeden Tag der 5-tägigen Woche geöffnet und beaufsichtigt ist, lernen die jungen Kinder das Lesen und die Älteren machen ihre Hausaufgaben.

    Dort durfte ich in der ersten Zeit kleineren Kindern die Wörter vorkauen und aufmerksam zuhörend, überprüfen, ob sie dem Wort einen Sinn zuweisen konnten und es entweder mit deutschem oder ghanaischem Akzent ausspucken. Falls nicht, habe ich das eigenartige Wort in noch kleinere Stücke gekaut und auf das dazugehörende Bild gezeigt. So konnten auch die komischsten Wörter geschluckt werden.

    Dies war ja ein Punkt in meiner damals ausgehändigten Job Description. Andere Punkte waren, Basketball zu coachen (assistieren), sowie, morgens im Büro, administrative Arbeit zu verrichten. Die Beschreibung war akkurat. Dennoch habe ich vor 3 Monaten gedacht, ich würde mich mehr auf dem Basketballplatz und in der Bücherei aufhalten.

    Vor ein paar Tagen hatte ich ein inspirierendes Gespräch mit meinem Chef, Mo, der mich realisieren lassen hat, dass jeder x-beliebige Jugendliche mit einem funktionierendem Schädel, etwas Verantwortung und ein wenig Basketballwissen, die damalige Vorstellung meiner Arbeit, erledigen könnte. Nun versuche ich das Basketball coachen und die Bücherei Aktivitäten, nicht als meine primären Aufgaben zu sehen, sondern als cooles Extra. Mir werden die Ressourcen bereitgestellt, selber Initative zu zeigen und diese in einem eigenem, kleinen, natürlich beaufsichtigtem, Projekt zu verwirklichen. Diese Realisation ist meine bisher größte Lernerfahrung und auch wenn ich mich noch nicht auf eine spezifische Projektidee festgelegt habe, spüre ich, wie ich die Herausforderung annehmen möchte.

    Mo und Ich glauben, dass ein großes Problem des weltwärts Freiwilligendienst, der fehlende Leistungsdruck ist.

    Ich kann nur von DUNK sprechen, aber durch die gerade beschriebene Flexibilität in meiner Arbeitsgestaltung fällt viel Verantwortung auf mich und meinen Willen, Initiative zu zeigen, zurück. Deshalb glaube ich, dass die nächsten Wochen sehr wichtig werden, da ich mein erstes Projekt in die Welt setzen möchte und der größte Teil meiner Arbeitszeit davon abhängig sein wird. Auf der anderen Seite, weiß ich, dass ich als Schüler zum Beispiel produktiver und noch ergebnisorientierter arbeiten würde, da ich extrinsischen Druck, durch die Notenverleihung spüren würde. Trotzdem habe ich das Verlangen, etwas beizutragen und, auch wenn es nur für ein klitzeskleines Projekt ist, unersetzlich und wertvoll, zu sein. Nebenher finden ja auch noch die Basketballaktivitäten statt.
    Diese Balance gibt mir die Möglichkeit, eine, in meinem Kopf herumschwirrende, Idee in etwas tatkräftiges zu verwandeln und, ohne dass ich von der auf mich zurollenden Verantwortung erschlagen werde, etwas hochziehen kann, von dem, die jugendorientierte und so leidenschaftliche Organisation, hoffentlich, profitieren kann. Bisher fühlt es sich nämlich noch so an, als ob ich DUNK, dafür dass sie mich liebevoll aufnehmen und bilden, nichts greifbares zurückgeben kann.

    Für mich ist DUNK eine Definition von Gemeinnützigkeit, da ich mit eigenen Augen sehe, wie die erarbeitenden Spendengelder so investiert werden, dass die Kinder und Jugendlichen, und sonst keiner, davon profitieren. Sei es mittels Trainingsequipment, Workshops, Turnieren, Kunststudio (https://www.instagram.com/slumartstudios/), Bücher, Stipendien oder Sonstigem. DUNK ist professionell und gut.

    Bisher habe ich mich morgens verschiedenen Aufgaben angenommen, wie zum Beispiel dem Basketball Inventar, Spielerprofile erstellen, Turniere zu planen oder die Bücherei intakt zu halten. Alles schön und gut, und sicherlich auch wertvoll, aber so langsam möchte ich anfangen, einen Fußabdruck zu treten.

    Euer Jascha

    https://www.dunkgrassroots.org
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