• Durch die Steppe von Oltenien

    September 20 in Romania ⋅ ⛅ 27 °C

    Wir fahren durch Oltenien in der Walachei im September. Die Ernte ist vorbei, die Landschaft trägt braune Stoppeln wie ein schlecht rasiertes Kinn. Quadratkilometer Monokultur, abgeerntet, ausgedörrt, leblos. Kein Baum, keine Hecke, kein Grünstreifen. Wer hier noch „fruchtbare Ebene“ sagt, hat seit Jahrzehnten nicht hingeschaut. Die Trockenheit in diesem Herbst ist extrem, obwohl die Ernte nach vielem Regen im Frühjahr gut war. Das neue Wetternormal bringt meist Extreme.

    Die Menschen hier haben entschieden, dass es so sein soll. Wälder wurden abgeschlagen,, weil Holz sofort Geld bringt. Wälder halten Regen, aber Regen, der im Boden versickert, lässt sich nicht verkaufen. Also fließt er jetzt oberflächlich ab, schwemmt Erde mit und verschwindet im Schwarzen Meer. Ergebnis: 453.000 Hektar Waldfläche sind in Rumänien seit 2001 verschwunden, jedes Jahr ein bisschen mehr. Offiziell gibt es Aufforstungsprogramme, in der Realität wachsen vor allem die Konten jener, die an EU-Fördergeldern verdienen.

    In den Ebenen sieht es nicht besser aus. Felder so groß wie Städte, alles Mais, alles Sonnenblume. Kein Platz für Bäume oder Sträucher, die Wind bremsen oder Feuchtigkeit halten könnten. Das bringt kurzfristig hohe Erträge und EU-Subventionen, die pro Hektar gezahlt werden. Also pflügt man alles um, solange es noch etwas hergibt. Der Preis? 80.000 bis 100.000 Hektar in Oltenien sind bereits zur Steppe geworden – ein Stück Steppe mitten in Europa. In Dăbuleni, Dolj und Teleorman weht der Sand schon über die Straßen.

    Und die Politik? Sie liefert das passende Theaterstück: Versicherungsprogramme gegen Dürreschäden, die kaum umgesetzt sind. Milliarden für die Wasserwirtschaft, die durch Korruption verdampfen wie Regentropfen auf heißem Asphalt. Die Leitungen verlieren bis zu 40 Prozent des Wassers durch Lecks, aber das ist egal – schließlich kann man Tankwagen schicken. So funktioniert Krisenmanagement hier: Man wartet, bis das Problem unübersehbar ist, und dann fährt ein Laster mit Wasser vor.

    Die Psychologie hinter all dem ist simpel: Bauern denken von Ernte zu Ernte, Politiker von Wahl zu Wahl. Alle wissen, dass es jedes Jahr ein bisschen schlimmer wird, aber niemand will der Erste sein, der an seinen eigenen Vorteil sägt. Die Jugend geht nach Bukarest oder ins Ausland, die Alten bleiben zurück und nicken müde, wenn der Brunnen im Sommer wieder austrocknet. Die Katastrophe kommt nicht als Schock, sondern in Raten. Genau deshalb wird sie akzeptiert.

    Und so sieht die Zukunft aus, ohne Pathos: Bis 2030 haben weite Teile der Walachei ihre Böden ausgezehrt. Bis 2040 werden ganze Landstriche aufgegeben, weil Landwirtschaft sich dort nicht mehr lohnt. Bis 2050 ist Oltenien im Kern eine Steppe. Erst dann, wenn das Land wertlos ist, wenn niemand mehr etwas daran verdient, kommen vielleicht (?) die Programme zur Renaturierung, die großen Aufforstungen, die schönen Projekte mit EU-Siegel. Bis dahin: weiter so.

    Wir fahren durch diese Landschaft und sehen keine Naturkatastrophe, sondern ein Menschenwerk. Kein Schicksal, kein „Klima allein“, sondern Entscheidungen, Interessen und Ignoranz. Es ist die sog. Sahara von Oltenien, und sie wächst nicht, weil die Sonne scheint, sondern weil Menschen sich dafür entschieden haben, dass Geld heute wichtiger ist als Lebensgrundlagen von morgen.
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